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Industrie & Handwerk & Agrar => Industrie und Handwerk bundesweit => Thema gestartet von: Fritz Linow am 15:08:40 Do. 02.Februar 2017

Titel: Hella KGaA Hueck & Co: ein stinknormaler Automobilzulieferer
Beitrag von: Fritz Linow am 15:08:40 Do. 02.Februar 2017
Volkswagen bezeichnet die Hella KGaA Hueck & Co aus Lippstadt als einen der wichtigsten Geschäftspartner in Sachen Lichttechnologie. Mit einem Firmengeflecht von weltweit knapp 200 Standorten und 30.000 Beschäftigten ist das ,,Familienunternehmen" ein Globalplayer.

Hella ist in Besitz der Familien Röpke und Hueck und Nachfahren, wobei letztere noch eine weitere Zuliefererfirma in Lüdenscheid und ein Vermögen von ca. 1.4 Milliarden hat. Es ist logisch, dass das nicht alleine durch Innovation und Glück erwirtschaftet wurde, sondern auch mit all den Methoden, die der Kapitalismus halt so zur Verfügung stellt und die gerne in der offiziellen Firmengeschichtsschreibung unter den Teppich gekehrt werden.

Grundsätzlich waren mittelständische Unternehmen der NSDAP schon sehr früh zugeneigt, da sie sich nach der Wirtschaftkrise von deren Programm Unterstützung und Aufträge erhofften. So ist es nicht verwunderlich, dass Hella ab 1936 Zulieferer für den Protokäfer von Porsche war. Die Umstellung der Hueck'schen Betriebe auf die Rüstungsproduktion erfolgte freiwillig und auch die endgültige Unterstellung unter das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition wurde gerne in Kauf genommen, da dadurch zum Beispiel auch der Maschinenpark günstig erneuert werden konnte. Konsequenterweise befand sich zu Kriegsende auf dem Werksgelände von Hella ein SS-Außenlager von Buchenwald.

Viele Unternehmen ziehen sich heutzutage auf die Position zurück, dass sie nichts dagegen machen konnten, weil es eine SS-Angelegenheit war, verschweigen dabei aber gerne die eigene Rolle in der Zeit von '33 bis '45. So ist auch die Firmengeschichte von Hella und der Sippe Hueck recht intransparent, weshalb man nur spekulieren kann.

Die Entnazifizierung in Lüdenscheid, der Heimat der Familie Hueck, verlief anfangs recht rigoros, so dass der erste Oberbürgermeister bei der britischen Verwaltung eine Neubesetzung des Entnazifizierungs-Hauptausschusses bewirkte:
Der Oberbürgermeister ,,stellte in Frage, ob solche Personen, die durch ihre politische Einstellung eine Verbindung zu dem Land bekunden, das die Evakuierung von Millionen Menschen zuläßt, deren einziges Verbrechen es ist, Deutsche zu sein, ein Recht zur Verurteilung ehemaliger NSDAP-Mitglieder hätten." (Der Reidemeister, Nr. 61, 1975, S. 483)
Der Oberbürgermeister war Richard Hueck, Industrieller und Mitglied der bekennenden Kirche, wodurch er als unbescholten galt.

Wie dem auch sei, die Umstellung von der Rüstungsproduktion hin zu einem zivilen Automobilzulieferer fiel nach 1945 leicht und im Windschatten von Volkswagen und anderen Autobauern wuchs auch Hella KGaA Hueck & Co., so dass weitere Arbeitskräfte benötigt wurden. Da man sich nun leider an die neuen Spielregeln halten musste, bediente man sich der nächstbilligen Möglichkeit, nämlich der Zwangsarbeit von Heimkindern.
An dieser Stelle sei nochmal Martin Mitchell für den Hinweis gedankt.
http://www.chefduzen.de/index.php?PHPSESSID=5dc97f7ecfb4ca79103b031625171b2a&topic=10331.msg325971#msg325971 (http://www.chefduzen.de/index.php?PHPSESSID=5dc97f7ecfb4ca79103b031625171b2a&topic=10331.msg325971#msg325971)

Eine typische Lampe von Hella für Volkswagen aus den 50ern:

(https://abload.de/img/vw-hella-leuchteqcawp.jpeg) (http://abload.de/image.php?img=vw-hella-leuchteqcawp.jpeg)

Eine Produktionslinie für Hella mit zur Zwangsarbeit verdonnerten Heimkindern:


(https://abload.de/img/in-einem-heim-internfaxn9.jpeg) (http://abload.de/image.php?img=in-einem-heim-internfaxn9.jpeg)

Wenn überhaupt wurden bisher nur absurd geringe Entschädigungszahlungen geleistet, zum Beispiel 9000 Euro. Insofern wirkt es zynisch, wenn 2014/15 dem Aufsichtsratsmitglied und Mitglied der Sippschaft Christoph Thomas für Beratungs- und Betreuungsdienstleistungen im Rahmen der Planung von zwei Betriebskindergärten knapp 300.000 Euro zugestanden wurde.
https://www.hella.com/hella-com/assets/media/2015_HELLA_Geschaeftsbericht_Einzelabschluss_geschuetzt.pdf (https://www.hella.com/hella-com/assets/media/2015_HELLA_Geschaeftsbericht_Einzelabschluss_geschuetzt.pdf) 

Die Gier nach billigen Arbeitskräften wurde in den 60ern durch ,,Gastarbeiter" befriedigt. Auch bei Hella waren ca. 3000 Spanier, Griechen, Jugoslawen und andere beschäftigt, was immerhin 40% der Gesamtbeschäftigten in Lippstadt ausmachte. Das Familienunternehmen bediente sich also massiv dieses gewinnträchtigen Modells, setzte aber nochmal einen drauf, indem es die ,,Gastarbeiter" unter absolut unwürdigen Bedingungen leben und arbeiten ließ. So kam es 1973 zu einem viertägigen wilden Streik, bei dem es nur um 50 Pfennig mehr ging, gegen den die Unternehmensführung aber mit allen Mitteln vorzugehen bereit war. Letztendlich wurden die Forderungen tatsächlich durchgesetzt, wobei im SPIEGEL 30/1973 steht:
Die Polizisten, so einige Betriebsräte, seien "grimmig bereit" gewesen, für deutsche Ordnung zu sorgen, die Gastarbeiter hingegen "sammelten bereits Steine".

Die Polizisten waren nicht nur bereit, sondern handelten auch:

(https://abload.de/img/polizeieinsatzhellauyboi.png) (http://abload.de/image.php?img=polizeieinsatzhellauyboi.png) 

Es kamen Knüppel und Hunde zum Einsatz, es gab Verletzte. Die Sippschaft um Hueck und Röpke hätte es erst gar nicht so weit kommen zu lassen brauchen, hätte sie auch nur einen gewissen Restanstand an den Tag gelegt.

Zum wilden Streik bei Hella in Lippstadt zum Beispiel hier: http://www.mao-projekt.de/BRD/NRW/ARN/Lippstadt.shtml (http://www.mao-projekt.de/BRD/NRW/ARN/Lippstadt.shtml)

In den darauf folgenden Jahrzehnten wurde die Firma global aufgestellt, was bedeutet, dass man sich dort niederlässt, wo auch die Autobauer ihr Unwesen treiben. Die Fliege reist dem Haufen hinterher.
Um in Lippstadt und Umgebung die Arbeitskraft möglichst billig zu halten, hat Hella 2002 eine eigene Leihklitsche gegründet: Avitea GmbH. Man bezeichnet sich als ,,atmendes Unternehmen".

Das Rumgejammer vieler Zulieferer, dass es nicht anders möglich sei, die Arbeitsplätze zu erhalten, gehört größtenteils zur Schau. Die deutschen, aber auch alle anderen Autobauer und Zulieferer bilden seit jeher eine Schicksalsgemeinschaft, die beständig daran herumschraubt, wie man am besten Milliarden scheffelt, ohne dass gemerkt wird, dass dabei über Leichen gegangen wird, und wie man das ganze als Erfolgsgarant für uns alle am besten verkauft. In Verbindung mit einer gewissen pathologischen Frömmigkeit wie bei der Familie Hueck entsteht so ein übles Gebräu, das die Sinne vernebelt und ohne das die Welt eine bessere wäre.
Titel: Re:Hella KGaA Hueck & Co: ein stinknormaler Automobilzulieferer
Beitrag von: counselor am 19:57:04 Do. 02.Februar 2017
Sehr interessant! Danke!
Titel: Re: Hella KGaA Hueck & Co: ein stinknormaler Automobilzulieferer
Beitrag von: Fritz Linow am 11:38:44 Mi. 24.November 2021
Zitat23.11.21
»Wir hatten diese Ungerechtigkeiten satt«

Am 16. Juli 1973 begann ein »wilder Streik« beim Autozulieferer Hella in Lippstadt. Ein Gespräch mit der damaligen Mitinitiatorin Irina Vavitsa
(...)
https://www.jungewelt.de/artikel/415142.arbeitskampf-wir-hatten-diese-ungerechtigkeiten-satt.html
Titel: Re: Hella KGaA Hueck & Co: ein stinknormaler Automobilzulieferer
Beitrag von: Fritz Linow am 12:06:40 Mi. 08.Dezember 2021
Zur Sippe Hella KGaA Hueck & Co gehörte übrigens auch der Jurist Alfred Hueck, der zusammen mit Nipperdey die Reste des Weimarer Arbeitsrechts beseitigte, das ,,Führerprinzip" in den Betrieben verankerte und Arbeitnehmer als ,,Gefolgsleute" bestimmte.
Titel: Re: Hella KGaA Hueck & Co: ein stinknormaler Automobilzulieferer
Beitrag von: Kuddel am 12:11:09 Mi. 08.Dezember 2021
Die reaktionare Kontinuität und die kriminellen Netzwerke der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer sollten viel mehr skandalisiert werden!