Arbeitslosigkeit und Rente - DRV informiert über Anrechnungszeiten

Begonnen von Kater, 11:44:52 Fr. 14.September 2007

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Kater

ZitatArbeitslosigkeit und Rente - DRV informiert über Anrechnungszeiten
ddp - Freitag, 14. September, 07:04 Uhr

Berlin (ddp.djn). Auch Arbeitslose zahlen in die Rentenkasse ein. Während des Bezugs von Arbeitslosengeld I gehen rund 80 Prozent des letzten Bruttogehalts in die Beitragsberechnung ein, so dass der Versicherungsbeitrag um etwa 20 Prozent niedriger ausfällt als unmittelbar vor der Arbeitslosigkeit. Für Hartz-IV-Empfänger überweist die zuständige Behörde pauschal 205 Euro pro Monat an die Rentenversicherung.

Darüber hinaus werden Monate oder Jahre ohne Beschäftigung auf verschiedene, für die Rente wichtige Versicherungszeiten angerechnet. Das gilt auch für Arbeitslose ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld I oder II, aber nur dann, wenn sie sich arbeitslos gemeldet haben.

Wie sich die Arbeitslosigkeit auf die spätere Rente im Detail auswirkt, lässt sich in einer Broschüre der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) nachlesen. Die Publikation «Arbeitslos - Keine Lücke im Alter» kann im Internet unter der Adresse //www.deutsche-rentenversicherung.de kostenfrei bestellt oder als pdf-Dokument geladen werden (Link Formulare & Publikationen - Info-Broschüren).

http://de.news.yahoo.com/ddp/20070914/tde-arbeitslosigkeit-und-rente-drv-infor-6ca0ec8_1.html

Wilddieb Stuelpner

Soll wohl den Arbeitslosen wieder einmal von der kriminellen Bundesregierung und Beamtenschaft der Gesetzlichen Rentenversicherung mit Hochglanzbroschüren und Plakataktionen durch volksverdummende Parolen die Angst vor der Altersverelendung und -verarmung genommen werden, damit sie bei den nächsten Wahlen wieder ihre Schlächter aus der CDU/CSU/FDP/SPD wählen?

205 Euro/Monat soll die Bundesagentur für Verarschungsarbeit und ARGE angeblich als Rentenversicherungsbeitrag in gütiger und menschenfreundlicher Weise für jeden Hartz-IV-Empfänger abführen?

Das dürfte wohl glatt gelogen sein, denn es klingt aus anderer Quelle völlig anders. Diese Agenturmeldung ist gar nicht allzu lange her:

"... Außerdem beschloss der Bundestag, dass das ALG II vom 1. Juli 2006 an bundesweit einheitlich monatlich 345 € beträgt und dass der Rentenbeitrag ab dem 1. Januar 2007 von derzeit 78 € auf 40 € abgesenkt wird. ..."

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitslosengeld_II

Zumeist muß man 35 rentenversicherungspflichtige Beitragsjahre nachweisen, um mit Renteneintrittsalter eine abschlagsfreie Altersrente beziehen zu können. Und die meisten Arbeitslosen werden diese 35 Jahre nicht schaffen, weil sie von der Bundesagentur für Arbeit und ARGE gezwungen werden, in eine dauernde, abschlagsbehaftete Frühverrentung zu gehen, egal, ob diese existiert oder nicht, weil man ab diesem Jahr die 58er Regelung ersatzlos gestrichen hat. Denen geht es doch nur um eins - Streichung der Alg-II-Leistungen für ältere Arbeitslose für die Restdauer von 58 bis schrittweise auf 67.

Und wer die 35 Jahre bis dahin nicht voll hat, bekommt im Klartext überhaupt nichts, sondern muß beim Sozialamt um Sozialgeld betteln, will er denn weiterleben. Und jedes Jahr Hartz IV hebt sich unter aktuellen Rentenbewertungsbedingungen die Altersrente höchstens um 4,xx Eur/Monat die Altersrente an, wobei die Lebenshaltungskosten gleichzeitig explodieren.

Und wem nutzt die Meldung von Rentenversicherungszeiten, wenn nicht gleichzeitig Rentenversicherungsbeiträge fließen?

Keinen. Im Gegenteil, so was mindert noch zusätzlich die Altersrente, da sie aus den bisherigen Nettodurchschnittlöhnen berechnet werden und diese Durchschnittsberechnung geht bekanntlich aus dem Bruch Nettolohnsumme / Rentenversicherungsbeitragszeit hervor. Wenn sich im Zähler nichts an Steigerungen tut, sondern als Zeit nur im Nenner, dann wird der Durchschnitt und damit die Altersrente immer kleiner, je mehr Rentenversicherungszeit gemeldet wird.

Die Meldung der Rentenversicherungszeiten ist nur in einer einigen Beziehung sinnvoll - um sich den Altersrentenanspruch zu sichern, nicht aber für die Berechnung der Rentenhöhe. Da wären höhere, abgeführte Rentenversicherungsbeiträge erstrebenswert und die entstehen bekanntlich nur durch tariflich bezahlte, sv-pflichtversicherte Arbeit.

Laut statistischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte erleben wir aber statt der Lohnerhöhungen und Erhöhungen der Sozialleistungen Orgien von Lohndumping, -wucher und Kürzung bzw. Verweigerung von Sozialleistungen, auch durch provozierte Sperrzeitgründe.

Apropos Werbung:

Aktuell wird ja der Bundeshaushalt 2008 im Deutschen Bundestag durchgekaut. Dabei ist der Linkspartei ein Posten von 1,1 Mio. Euro im Etat Arbeit und Soziales aufgefallen, der für neue Werbeorgien für Hartz IV vorgesehen sind, damit wieder Werbeagenturen unnütz fetter werden und die Große Koalition als Wundertäter lobpreisen.

Wilddieb Stuelpner

Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Oskar Lafontaine, Rede zum Bundeshaushalt 2008, Etat Arbeit und Soziales 2008 vom 12.09.2007: Wer hat Grund zur Zuversicht in Deutschland?

Oskar Lafontaine in der Haushaltsdebatte über den Etat des Kanzleramtes

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ,,Deutschland hat wieder allen Grund zur Zuversicht." Mit diesem Satz hat die Bundeskanzlerin ihre Erklärung zum Haushalt heute begonnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr zu Recht!)

Frau Bundeskanzlerin, wir würden diesem Satz gern zustimmen, wir können ihm aber nicht zustimmen, weil wir die Frage aufwerfen müssen: Wer ist ,,Deutschland"?

(Beifall bei der LINKEN – Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Ihr nicht!)

Verstehen Sie unter ,,Deutschland" auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu ,,Deutschland" auch die Rentnerinnen und Rentner, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu ,,Deutschland" auch die Empfänger sozialer Leistungen, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Und gehören zu ,,Deutschland" auch die 2,5 Millionen Kinder, die in Armut leben? Haben die Grund zur Zuversicht? Wen haben Sie denn gemeint, verehrte Frau Bundeskanzlerin, als Sie hier vollmundig von Zuversicht gesprochen haben?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich beginne mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und zitiere die Tageszeitung Die Welt, damit nicht irgendjemand auf die Idee kommt, ich würde hier oppositionelle Texte verbreiten, die böswillig verfasst seien, um Ihre tolle Bilanz infrage zu stellen. Sie konnten darin vorgestern über die Entwicklung des Arbeitsmarkts in Deutschland lesen:

Als ,,prekäre Beschäftigung" bezeichnen Soziologen unsichere, schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse. Nach Zahlen des DGB breitet sich die prekäre Beschäftigung immer weiter aus. So hat sich die Zahl der Zeitarbeiter seit 2003 auf 650 000 verdoppelt; 18 Prozent der Erwerbstätigen sind Minijobber, weitere 600 000 Menschen arbeiten als Ein-Euro-Jobber, und 440 000 Vollzeitbeschäftigte verdienen so wenig, dass sie auf Hartz IV angewiesen sind. Mit den Arbeitsmarktreformen sei ein ,,unerträgliches Maß" an Deregulierung erreicht worden, kritisiert der DGB.

Sie haben sich hier hingestellt und die Arbeitsmarktreformen als Grundlage für die Zuversicht Deutschlands dargestellt. Sie reden völlig über die Köpfe der Menschen hier in Deutschland hinweg.

(Beifall bei der LINKEN)

Millionen sind in prekären Arbeitsverhältnissen. Wir haben keinen Grund zur Zuversicht. – Falls die Menschen Sie jetzt sehen könnten, Frau Bundeskanzlerin, hätten sie kein Verständnis dafür, dass Sie an dieser Stelle lächeln.

Ich möchte hier noch einmal sagen, was prekäre Arbeitsverhältnisse eigentlich bedeuten; ihre Zahl nimmt weiter zu. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat einmal gesagt: Prekäre Arbeitsverhältnisse rauben den Menschen die Zukunftsplanung. – Das müsste jeder nachvollziehen können, der sich einmal die Mühe macht, das nachzuempfinden.

Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man noch genug Geld hat, um Nahrungsmittel einzukaufen? Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man Geld hat, um die Miete zu bezahlen? Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man Geld hat, um die Stromrechnung zu bezahlen? Und wie demütigend ist es für Eltern, wenn sie feststellen müssen, dass sie ihrem Kind den Schulausflug nicht bezahlen können? Das hat nichts mit Zuversicht zu tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)

Diese Menschen haben keine Zukunft. An dieser Stelle müssen wir mit Reformen beginnen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ergänzend ist hier noch auszuführen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vom Wohlstandszuwachs abgekoppelt sind. Seit zehn Jahren gibt es in Deutschland keinen realen Lohnzuwachs, und auch die relativ guten Tarifabschlüsse in diesem Jahr können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein anderer Prozess weitergeht, nämlich der Prozess der permanenten Lohnsenkung. Deswegen wäre es eine wichtige Reform, einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland durchzusetzen, wie in Frankreich 8,44 Euro. Was in Frankreich geht, geht auch in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Steffen Reiche (Cottbus) (SPD) und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Ausbeutung, die in Deutschland aufgrund Ihrer Zögerlichkeit und Ihrer Handlungsunfähigkeit nach wie vor Wirklichkeit ist, nicht zu beenden. Ein humanes Land, ein Land, in dem Zuversicht herrschen soll, muss die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beenden, die für unter 2 Euro beschäftigt werden. Wo leben wir eigentlich, meine sehr geehrten Damen und Herren?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Zum zweiten Punkt, den Rentnerinnen und Rentnern. Wenn sie Ihnen zugehört haben, werden sie nicht unbedingt Ihre Auffassung geteilt haben, dass sie Grund zur Zuversicht haben. Die Rentnerinnen und Rentner mussten in den letzten Jahren Nullrunden verkraften. Sie haben in diesem Jahr eine lächerliche Erhöhung bekommen, die noch nicht einmal die Preissteigerung ausgleicht. Wenn man mit Rentnerinnen und Rentnern spricht, dann wird man nicht hören, dass sie dies als Grund zur Zuversicht empfinden.

Aber an einer Stelle ist Ihre Bemerkung geradezu obszön, nämlich dann, wenn es um die Zukunftserwartung derjenigen Menschen in Deutschland geht, die niedrige Löhne haben. Die OECD hat festgestellt, dass diese Menschen – die Zahl nimmt zu; es sind Millionen – die schlechteste Rentenerwartung aller Industriestaaten haben. Das ist doch kein Grund zur Zuversicht, sondern der Nachweis, dass Ihre Rentenpolitik total gescheitert ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wenn alle seriösen Prognosen nachweisen, dass immer mehr Rentnerinnen und Rentner in Zukunft Armutsrenten haben werden – das sind nicht 10 Prozent; das sind nicht 20 Prozent; das sind mehr –, dann ist völlig unvorstellbar, wieso Sie sich hier hinstellen und sagen können: Deutschland hat Grund zur Zuversicht.

Wir müssen die Rentenformel in Deutschland wiederherstellen. Die Dämpfungsfaktoren müssen wieder zurückgenommen werden. Der Rückschritt in das vorletzte Jahrhundert war ein sozialer Kahlschlag ersten Ranges. Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, haben einen Anspruch auf armutsfeste Rente. Die Linke wird nicht aufhören, dies hier immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun komme ich zu den Menschen, die arbeitslos sind. Es sind immer noch – hierin stimme ich Ihnen zu – viel zu viele, die in Deutschland arbeitslos sind. Aber wir können nicht darüber hinwegsehen, dass die Lebensbedingungen dieser Menschen durch Ihre verfehlte Politik, die Sie hier auch noch ausdrücklich gelobt haben, erheblich beschädigt worden sind. Sie haben gelobt, dass man beispielsweise die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erheblich gekürzt hat. Sie haben gelobt, dass man Hartz IV durchsetzt und beispielsweise Menschen zwingt, zu Bedingungen zu arbeiten, zu denen sie vorher nicht arbeiten mussten. Sie haben gelobt, dass man Menschen ihr Vermögen nimmt, das sie fürs Alter gespart haben. Das alles haben Sie hier gesagt. Glauben Sie tatsächlich, diese Menschen hätten Grund zur Zuversicht?

Wenn jemand Angst hat, arbeitslos zu werden, über 50 ist und dann gleich nach einem Jahr nach Hartz IV zurückfällt, hat er keinen Grund zur Zuversicht; dann hat er Angst. Deshalb muss Hartz IV weg, deshalb muss es überwunden werden, und ein erster Schritt dazu wäre ein längerer Bezug von Arbeitslosengeld, wie es im Übrigen auch viele Kollegen aus den Koalitionsfraktionen öfter gefordert haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Im Übrigen, um noch ein aktuelles Thema aufzugreifen: Sie haben die Zahlen hier ausgebreitet, aber zu den prekären Arbeitsverhältnissen gehört eben auch die Leiharbeit. Ich sage hier einmal, was Leiharbeit heißt. Kürzlich hat mir der Betriebsratsvorsitzende eines Metallbetriebes in Saarbrücken gesagt, dass der niedrigste Lohn in der Belegschaft 15 Euro pro Stunde ist, dass aber die Leiharbeiter mit der Hälfte dessen entlohnt werden, nämlich 7,50 Euro pro Stunde. Dies betrifft nicht nur einen einzelnen Betrieb. Diese Methode, Kosten zu senken, breitet sich immer weiter aus. Stimmen Sie doch dem Antrag der Linken zu, endlich durchzusetzen, dass Leiharbeiter genauso wie die Stammbelegschaft bezahlt werden müssen! Dann würden Sie hier einmal eine Reform durchführen, die diesen Namen verdient.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun komme ich zur Kinderarmut. Wie können Sie bei 2,5 Millionen Kindern, die in Armut leben, sagen, Deutschland habe Grund zur Zuversicht? Sind Millionen Kinder nicht auch Deutschland? Wäre es nicht unsere Aufgabe, eben für diese Kinder etwas zu tun? Warum gab es in der Sommerpause Diskussionen aus den Koalitionsfraktionen, man solle den Kinderzuschlag erhöhen?

Wir haben diese Diskussion begrüßt. Aber warum ist dem nichts gefolgt? Warum lehnen Sie den Antrag der Linken ständig ab, den Kinderzuschlag zu erhöhen?

(Swen Schulz (Spandau) (SPD): Kinderbetreuung, Herr Lafontaine!)

Das, was in diesem Antrag enthalten ist, wäre wirklich einmal ein Fortschritt für Millionen Kinder, die in Deutschland in Armut leben.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun haben Sie hier mit viel Stolz verkündet – oder der Referent hat es Ihnen aufgeschrieben –,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Pfui! Schäbig!)

dass wir eine niedrige Staatsquote haben. Ich habe hier schon mehrfach an Sie die Frage gestellt, welche Steuer- und Abgabenquote Sie eigentlich für Deutschland anstreben. Das ist eine Kernfrage jeder Haushaltsberatung. Wenn man die nicht beantworten kann, sollte man eigentlich nicht zum Haushalt sprechen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Oberlehrer Napoleon!)

Die Antwort auf diese Frage bestimmt ja letztendlich die Möglichkeiten, was man in Deutschland tun kann, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Eines ist auf jeden Fall klar: Wenn die Politik der Umverteilung von unten nach oben – Mehrwertsteuererhöhung plus Unternehmensteuersenkung – fortgesetzt wird, dann verarmen immer mehr Menschen in Deutschland, sehen keine Zukunft mehr in Deutschland und haben keine Zuversicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wir wollen natürlich auch an die Facharbeiter und die Kleinbetriebe denken. Deshalb möchte ich hier noch einmal einen Vorschlag wiederholen, den ich schon in zwei früheren Debatten vorgetragen habe: Wir wollen den sogenannten Bauch im Steuertarif beseitigen; wir wollen einen linearen Steuertarif. Dieser lineare Steuertarif würde Facharbeiter und Kleinbetriebe entlasten. Jedem, der wie der Bundesfinanzminister sagt, das könnten wir uns jetzt nicht erlauben, halte ich entgegen: Dann müssen wir eben den Spitzensteuersatz wieder anheben, um so die Verluste auszugleichen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Auf jeden Fall ist es nicht zulässig, Facharbeiter und Kleinbetriebe überproportional zu belasten.
Dies wäre nun wirklich eine Struktur- bzw. Steuerreform, die ökonomische Wirkung entfalten und insbesondere diejenigen belohnen würde, die in Deutschland etwas leisten. Leistung lohnt sich in Deutschland schon lange nicht mehr. Sie lohnt sich nicht für diejenigen, die trotz einer Vollzeitbeschäftigung auf Hartz IV angewiesen sind, und sie lohnt sich nicht für die Facharbeiter, die überproportional zur Kasse gebeten werden. Leistung soll sich wieder lohnen in Deutschland. Damit würden wir die Kräfte freisetzen, die den wirtschaftlichen Aufschwung in Gang bringen können.

(Beifall bei der LINKEN)

An ein Zweites möchte ich in diesem Zusammenhang noch erinnern: Die Unternehmensteuer muss natürlich so gestaltet werden, dass Investitionen begünstigt werden. Ich fordere hier noch einmal für meine Fraktion, die degressive Abschreibung wieder einzuführen. Es ist unsinnig, mit der Gießkanne Steuergeschenke zu verteilen. Sinnvoll wäre es, den investierenden Unternehmer zu belohnen und beispielsweise den spekulierenden zu bestrafen und zur Kasse zu bitten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Das wäre eine sinnvolle Steuerreform. Deshalb habe ich dies hier noch einmal angesprochen.
Nächster Punkt: Obwohl da und dort etwas getan wird, liegt die Quote der öffentlichen Investitionen in Deutschland viel zu niedrig. Wir haben es immer wieder angemahnt: Wer wirklich für die Zukunft vorsorgen will, muss die Quote der öffentlichen Investitionen in Deutschland anheben. Da gibt es ein Maß, an dem sich jeder orientieren kann: Das ist das Maß der Europäischen Gemeinschaft. Deutschland als moderner Industriestaat sollte doch den Ehrgeiz haben, bei den öffentlichen Investitionen in Infrastruktur zumindest den Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen. Das ist doch nicht zu viel verlangt. An dieser Stelle war das systematische Kürzen von Investitionen aus Spargründen falsch. Mit öffentlichen Investitionen sichert man auch die Zukunft. Wir fordern: Zieht mit dem europäischen Durchschnitt gleich!

(Beifall bei der LINKEN)

Nächster Punkt: Bei den Bildungsausgaben sollten wir den Ehrgeiz haben, nicht den Durchschnitt der Ausgaben in den OECD-Staaten zu erreichen, sondern vielleicht noch etwas mehr.

(Otto Fricke (FDP): Da dann doch mehr?)

Wir wurden einmal von einer französischen Schriftstellerin als Land der Dichter und Denker bezeichnet. Ich weiß nicht, ob sie das heute noch so formulieren würde, wenn sie denn noch leben würde. Auf jeden Fall können wir eines nicht zulassen, nämlich dass die Bildungsausgaben ständig unter dem Durchschnitt der Ausgaben in den OECD-Staaten liegen. Wir müssen an dieser Stelle etwas tun. Hier ist das fröhliche Bekenntnis zu einer niedrigen Staatsquote völlig fehl am Platz. Wir sollten mit Blick auf diesen Bereich eine höhere Staatsquote anstreben und mehr Ausgaben für Bildung tätigen; dann würden wir auch bei PISA nicht derartige Ergebnisse erzielen.

(Beifall bei der LINKEN)

Können Sie sich vorstellen, dass irgendein Regierungschef eines nordischen Staates hier einen entsprechenden Vortrag halten würde? Was glauben Sie, warum in Dänemark, Schweden und Finnland weitaus bessere Bildungsergebnisse erreicht wurden? Etwa, weil die eine niedrige Staatsquote haben und wenig Geld für Bildung ausgeben? Auf eine solche Idee käme dort niemand. Ich rate dazu, doch einmal die Schülerweisheit anzuwenden, dass man, wenn man selbst nicht weiß, wie es gemacht wird, beim Nachbarn, der es besser weiß, abschreiben sollte. An dieser Stelle wäre das dringend geboten, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun haben Sie, verehrte Frau Bundeskanzlerin, gar nichts dazu gesagt, dass man international nicht mehr der Auffassung ist, dass die Konjunktur sehr gut läuft. Vielleicht war das in der Presse heute Morgen noch nicht deutlich genug. Denn international wird mittlerweile darauf hingewiesen, dass die amerikanische Hypothekenkrise Auswirkungen auf die Weltkonjunktur hat. Mittlerweile beraten andere Staaten bereits Gegenmaßnahmen. Deshalb rate ich dazu, dass auch wir überlegen, was wir tun können, um solche Krisenentwicklungen zu vermeiden.

Nun haben Sie hier gesagt – das ist lobenswert; vor Jahren wurde das von Ihrer Partei noch als völliger Unsinn verworfen –, wir bräuchten einen internationalen Ordnungsrahmen. Ich kann dem nur zustimmen. Wir brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen, der der Weltwirtschaft Regeln auferlegt, nach denen sie funktioniert. Solche Regeln fordern wir schon seit vielen Jahren. Nur genügt es dann nicht, wenn man brav mehr Transparenz fordert. Meinen Sie, irgendein Hedgefonds interessiert sich für solche braven Forderungen? Meinen Sie, irgendeine Private-Equity-Gesellschaft interessiert sich dafür?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Nein, wir brauchen Regeln, nach denen die internationalen Finanztransaktionen abgewickelt werden; sonst werden wir niemals Ordnung in die Weltfinanzmärkte bekommen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wir hätten von Ihnen gern wenigstens eine Andeutung gehört, wie Sie sich das vorstellen. Ich frage Sie: Sind Sie beispielsweise für die Stabilisierung der Wechselkurse, wie es die Bretton-Woods-Kommission, an der Leute wie Lambsdorff, Pöhl und andere mitgewirkt haben, schon vor vielen Jahren vorgeschlagen hat? Wenn ja, wie wollen Sie dies erreichen? Oder wollen Sie weiterhin der weltweiten Spekulation Tür und Tor öffnen? Sind Sie bereit, wie es etwa James Tobin vorgeschlagen hat und wie es auch viele Staatsmänner der Welt gefordert haben, die internationalen Finanztransaktionen durch eine Steuer einzudämmen?

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Alles alte Hüte, Herr Lafontaine!)

Sind Sie bereit, zur Regulierung des internationalen Kapitalverkehrs andere Regeln vorzuschlagen? Wir hätten gern irgendetwas dazu gehört. Lediglich mehr Transparenz zu fordern, ist angesichts der Zustände auf den internationalen Finanzmärkten schlicht naiv.

(Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter (CDU/CSU): Transparenz ist die Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Märkten!)

Das gilt im Übrigen auch für die Europäische Gemeinschaft. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, dass die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Sarkozy besser sind als das, was von Ihrer Regierung geäußert wird. Wenn beispielsweise der französische Staatspräsident und viele andere fordern, die Europäische Zentralbank nicht nur auf Preisstabilität zu verpflichten, sondern auch auf Wachstum und Beschäftigung, dann hat er recht. Wenn Sie den antiquierten Standpunkt der Preisstabilität vertreten, dann haben Sie unrecht. Europa hat in den letzten Jahren Wachstumseinbußen gehabt, weil die Europäische Zentralbank es nicht der amerikanischen Notenbank gleichgetan hat. Es wäre gut, wenn Sie Ihren Standpunkt an dieser Stelle revidieren und auf Frankreich zugehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise fordert, eine europäische Wirtschaftsregierung einzusetzen, um die Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten zu koordinieren, dann findet er unsere Unterstützung. Bei immer enger verflochtenen europäischen Volkswirtschaften ist das nur logisch. Es wäre sinnvoll, die Investitionen und die Finanzpolitik aufeinander abzustimmen, ebenso die Lohnpolitik, damit das Lohndumping nicht fortgesetzt wird. Sinnvoll wäre auch, die Steuerpolitik abzustimmen; dazu hätten wir ebenfalls gern etwas gehört. Wir brauchen eine Steuerharmonisierung in Europa, damit das Dumping an der Steuerfront nicht fortgesetzt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise etwas zum Stabilitätspakt sagt, dann sollte man ihn nicht so abbügeln, wie es laut Presse jetzt geschehen ist. Wir hatten schon einmal eine Regierung, der man sagen musste, dass eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich vielleicht besser sei als das ständige Schüren von Konflikten; das liegt schon etwas zurück. Irgendwann hat man das gelernt. An dieser Stelle rate ich dringend dazu, einen engeren Schulterschluss mit Frankreich zu suchen.

Aus Zeitgründen nur noch ein paar Worte zur Außenpolitik. Wir, die Fraktion Die Linke, befürworten eine andere Außenpolitik. Wir befürworten eine Außenpolitik, die das Völkerrecht zu ihrer Grundlage macht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Es ist auf Dauer nicht hinnehmbar, dass Deutschland das Völkerrecht nicht zur Grundlage der Außenpolitik macht.
Ich beginne mit dem Irakkrieg. Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass Sie am Irakkrieg mittelbar beteiligt sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass dies ein Bruch des Völkerrechts ist. Sie tun so, als ginge Sie das alles nichts an. Es ist etwas Neues in Deutschland, dass eine Regierung von einem höchsten Gericht bescheinigt bekommt, das Völkerrecht zu brechen, und dass sie dafür nur ein Achselzucken übrig hat. Das ist eine Fehlentwicklung, die korrigiert werden muss.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Dasselbe gilt für Afghanistan. Es genügt nicht, auf ISAF zu verweisen. Wir müssen auch ,,Enduring Freedom" und den Tornadoeinsatz in diesem Hause diskutieren. Daran darf man sich nicht vorbeimogeln. Es ist ja richtig, dass das eine oder andere von den Soldaten in Afghanistan positiv auf den Weg gebracht worden ist. Wer wollte das bestreiten? Für meine Fraktion aber ist es nicht hinnehmbar – ich sage dies hier noch einmal in aller Klarheit –, dass auf der Grundlage von Fotos, die mithilfe deutscher Tornados aufgenommen werden, unschuldige Menschen umgebracht werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wenn dies nicht der Fall ist, dann seien Sie Frau genug, sich hier hinzustellen und zu sagen: Das stimmt nicht; die von diesen Tornados aus aufgenommenen Fotos werden nicht für die NATO-Bombardierungen verwandt. Solange Sie dies aber nicht sagen können, ist die Vorgehensweise, die in den letzten Monaten an den Tag gelegt worden ist, völlig unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wir reklamieren nach wie vor eine Außenpolitik, die ein Kanzler im Deutschen Bundestag einmal mit dem Wort ,,Gewaltverzicht" begründet hat. Das Wort ,,Gewaltverzicht" ist in den letzten Jahren aus der öffentlichen Diskussion in Deutschland verschwunden; das muss Gründe haben. Für den Fall, dass jemand eine begrenzte Auslegung des Wortes ,,Gewaltverzicht" vortragen möchte, sage ich: Dieser Kanzler hat das Wort nicht nur auf den Ost-West-Konflikt bezogen. Nein, dieser Kanzler hat das Wort ,,Gewaltverzicht" für den Frieden auf der ganzen Welt formuliert. Es gilt auch für die Lösung von Konflikten in Afghanistan, im Irak oder sonst wo.

(Beifall bei der LINKEN)

Gewaltverzicht sollte die Grundlage der deutschen Außenpolitik sein. Wir sollten uns an einer Tradition orientieren, die nach meiner Auffassung die gebündelte Schlussfolgerung aus unserer Geschichte im letzten Jahrhundert ist. Wenn es darum geht, den Frieden in der Welt zu erreichen, dann sollte sich Deutschland auf den Satz verpflichten: Von deutschem Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

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