Mobilcom Call-Center in Kiel

Begonnen von DeppVomDienst, 22:27:24 Mo. 12.Mai 2003

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DeppVomDienst

In der April-Ausgabe (*) des Magazins "Gegenwind" war ein Artikel über die Zustände im (mittlerweile geschlossenen) Call-Center der Mobilcom in Kiel. Da wohl kaum jemand dieses Magazin abonniert hat, hier der Artikel ungekürzt:


ZitatMOBILCOM
BUSINESS AS USUAL?

Die schlechte Wirtschaftslage in Kombination mit massivem Stellenabbau macht sich durch eine Flut von Klagen an den Arbeitsgerichten bemerkbar. Die aktuelle Diskussion, den Kündigungsschutz aufzuweichen, ist nur ein Symptom, wie die Lage auf dem Arbeitsmarkt genutzt wird, wirtschaftliche Schwierigkeiten ausschließlich auf den Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszutragen.
Gerade in Kiel häufen sich in den letzten Monaten die schlechten Nachrichten: Stellenabbau bei Heidelberger, HDW, Caterpillar oder Schließung der Call-Center von Comdirect-Bank und der Mobilcom. Im Falle des Mobilcom-Callcenters in Kiel, bei dem seit dem 31.12.2002 alle Leitungen tot sind, sind zur Zeit knapp 40 Klagen beim Arbeitsgericht Kiel anhängig. Business as usual, Kündigungsschutzklagen, um Abfindungen herauszuschlagen? Mitnichten. Wer sich dort die Vorgeschichte genauer betrachtet, findet ein offensichtlich besonders perfides Beispiel, wie ein mittlerweile steuersubventionierter ehemaliger Star der New Economy an Arbeitsgesetzen vorbei auf Kosten der zumeist studentischen Belegschaft wirtschaftete.

Februar 2002: Einige Mitarbeiter des  später geschlossenen Mobilcom Call-Centers laden zu einer Betriebsversammlung ein, um einen Wahlausschuß zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl am Standort Kiel einzusetzen. Was war vorgefallen?
Über das Intranet erfuhren die Mitarbeiter in Kiel nach und nach, daß offensichtlich in der Zentrale in Büdelsdorf völlig andere Arbeitsbedingungen bei gleicher Arbeit herrschten. So wurden dort Abendzuschläge, Anwesenheitsprämien, Weihnachtsgeld und Lohnerhöhungen bezahlt, die nie am Standort Kiel umgesetzt wurden. Etwaige Nachfragen von Call-Center Agents, warum dies denn so sei, wurden unisono von Vorgesetzten damit beantwortet, daß die in Büdelsdorf vom dortigen Betriebsrat ausgehandelten Betriebsvereinbarungen nicht für Kiel gültig seien und der Betriebsrat nicht für Kiel zuständig sei. Analog dazu war in Kiel der Büdelsdorfer Betriebsrat zu keiner Zeit in Erscheinung getreten; selbst die interne Mail-Adresse des Betriebsrates war nicht für die "normalen" Agents freigeschaltet. Darüber hinaus wurden in Kiel Arbeitschutzgesetze - anders als in den meisten anderen Kieler Call-Centern - mißachtet, beispielsweise die Bildschirmarbeitsverordnung, die besagt, daß bei überwiegender Arbeit am Bildschirm stündliche Ruhepausen von 5-10 Minuten eingelegt werden müssen.

Die Geschäftsleitung des Kieler Call-Centers zog nun alle Register, um eine Betriebsratswahl in Kiel zu verhindern. Zunächst wurden die Aushänge für die Betriebsratswahl von der Geschäftsleitung entfernt, mußten aber später unter Aufsicht einer verdi-Sekretärin wieder aufgehängt werden. In Folge wurde den unterzeichnenden Mitarbeitern "Sonderarbeiten" wie Aktensortieren oder das manuelle Erstellen sinnloser Statistiken aufgebrummt und die Abteilung E-Commerce, aus der die "Störenfriede" kamen, kurzerhand aufgelöst.
Die rund zweihundert anwesenden Beschäftigten auf der Betriebsversammlung im März leiteten nichtsdestotrotz mit großer Mehrheit mit der Einsetzung eines Wahlvorstands die Betriebsratswahl ein, wobei eine Kollegin, die sich für die Wahl stark gemacht hatte, ein paar Tage später die Nachricht erhielt, daß ihr Vertrag leider nicht verlängert werden könne.
Die Geschäftsleitung ließ dies nicht auf sich beruhen, und erwirkte mit mehreren Anwälten und leitenden Mtarbeitern aus Büdelsdorf im Schlepptau vor dem Arbeitsgericht in Kiel eine einstweilige Verfügung, daß der Kieler Wahlvorstand seine Arbeit einzustellen habe. Begründung: Der Büdelsdorfer Betriebsrat ist auch für Kiel zuständig. In einer eidesstattlichen Versicherung erklärte der Call-Center-Geschäftsführer Hauke Mees, daß "die zwischen Geschäftsführung und einheitlichem Betriebsrat ausgehandelten Gehaltsrunden auf die Mitarbeiter des CCK Anwendung finden".

Die Wut unter den Kieler Agents wich der Erkenntnis, daß sich die Mobilcom mit dieser einstweiligen Verfügung ein klassisches Eigentor geschossen hatte. In der Folge nahmen sich über 100 Agents einen Anwalt, um die Nachzahlung der bisher verweigerten Zulagen einzufordern. Zunächst reagierte die Mobilcom mit dem altbekannten Muster: Repressionsversuche wie Schichtkürzungen und andere Schikanen gegen die betreffenden Agents. Die Agents wiederum schufen sich ein paßwortgeschütztes Internetforum, um sich gegenseitig über die neusten Maßnahmen der Geschäftsleitung zu informieren.


Da die Mobilcom scheinbar keine vernünftige juristische Handhabe gegen die offensichtlich nicht unberechtigten Forderungen der Agents aufbieten konnte, versuchte nun der damalige Büdelsdorfer Betriebsratsvorsitzende Teufel beim Anwalt der Agents "den Preis zu drücken" und drohte damit, sich auf die Seite der Arbeitgeber zu schlagen, falls die Agents nicht auf einen Teil der Forderungen verzichten würden.

Die Mobilcom versuchte es nun mit einem Spiel auf Zeit, Fristverlängerungen für die Prüfung der Forderungen wurden erbeten und zunächst gewährt, bis letztlich nach dem ergebnislosen Verstreichen sämtlicher Fristen mittlerweile 36 Agents ihre Klage vor dem Arbeitsgericht einreichten.
Zu dieser Zeit gab ein ehemaliger Abteilungsleiter eine eidessattliche Erklärung ab, die, sollte sie sich inhaltlich erhärten lassen, wohl auch die Staatsanwaltschaft beschäftigen wird und die Mobilcom in einem besonders trüben Licht erscheinen läßt:
In der eidesstattlichen Versicherung, die dem GEGENWIND vorliegt, heißt es, daß die in Kiel beschäftigten Aushilfen bewußt über ihre Rechte getäuscht wurden. Wörtlich:
"Zwischen uns Vorgesetzten herrschte Einigkeit darüber, daß wir aus Loyalität dem Unternehmen gegenüber alle Ansprüche von Mitarbeiterinnen / Mitarbeitern "abblocken" wollten, gleichgültig wie berechtigt diese waren. Alle Vorgesetzten Mitarbeiter hatten ein wirtschaftliches Interesse daran, die Rendite für die Firma so hoch wie möglich werden zu lassen. Wir haben deshalb auch einige Meetings abgehalten. Wir haben dabei die Übereinkunft erzielt, uns so wie von mir eben beschrieben zu verhalten. Es war eben nicht nur das Ziel der einzelnen vorgesetzten Mitarbeiter, sondern der Geschäftsleitung, das so verfahren werden sollte. Herr Frank Meier, der damalige Geschäftsführer, hat uns dies empfohlen und uns darin bestärkt. Unsere moralischen Wertvorstellungen haben wir mehr oder weniger mißachtet; der von der Arbeitgeberin immer wieder gewährte finanzielle Anreiz überwog."
Und weiter zur Geschichte des Call-Centers:
"Die Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter erhielten einen Anstellungsvertrag mit einer zweimonatigen Probezeit. Dabei war aber der Geschäftsleitung von vornherein klar, daß nach den zwei Monaten ein neuer Vertrag mit einer Laufzeit von 6 Monaten abgeschlossen werden sollte. Grund für diese Maßnahme war der, daß in den ersten 2 Monaten die Arbeitskraft des studentischen Mitarbeiters total "ausgelutscht" werden sollte und konnte. Es ging darum, die Bestimmung, wonach Studenten lediglich 20 Stunden / wöchentlich Arbeiten durften, zu umgehen. - Nach der zweiten Phase, dem Abschluß mit einer Laufzeit von 6 Monaten, achteten wir von der Geschäftsleitung bzw. den entsprechenden beauftragten Mitarbeitern darauf, daß auf keinen Fall eine längere Anstellungszeit als 2 Jahre insgesamt eintreten durfte. Bis auf wenige Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter wurde dies so wie geplant gehandhabt. "

Mit den 36 Klagen, die zur Zeit am Kieler Arbeitsgericht anhängig sind, sind mittlerweile 4 Richter und Richterinnen befaßt. Sämtliche arbeitsgerichtliche Schlichtungsversuche (Güteverhandlungen) sind ohne Ergebnis verlaufen. Die Mobilcom bezeichnet mittlerweile pauschal sämtliche Ansprüche der Kläger als unberechtigt und weist die in der zitierten eidesstattlichen Versicherung gemachten Aussagen als unwahr zurück. Die ersten Hauptverhandlungen wurden vom Gericht auf Anfang April terminiert.

Das Call-Center wurde im Zuge der "Restrukturierung" der Mobilcom zum Jahresende geschlossen. Man kann darüber spekulieren, ob hier lediglich betriebswirtschaftliche Gründe den Ausschlag gaben. Aber auf jeden Fall bleibt ein fader Beigeschmack übrig, was die hohen Staatsbürgschaften (ergo: Subventionen) zur Rettung der Mobilcom angeht. Business as usual? Gute Frage.

(*)Ergänzung: April 2003 natürlich!

Vielleicht kann jemand folgende Fragen beantworten:

-gab es kontakte zwischen den Kielern und denen aus Büdelsdorf?
 (ich meine diejenigen, die bessere arbeitsbedingungen wollten)

-gibt es das paßwortgeschützte interne Forum der "Rebellen" noch?

-gibt es noch kontakte unter denjenigen, die versucht haben sich zu     wehren?

-wie fing es an mit dem internetforum und dem Versuch einen Betriebsrat zu gründen?

DeppVomDienst

Zitat-gab es kontakte zwischen den Kielern und denen aus Büdelsdorf?
(ich meine diejenigen, die bessere arbeitsbedingungen wollten)
Leider nicht, das war quasi auch Teil des Problems: Die Mobilcom hat darauf geachtet, dass zwischen Kiel und Büdelsdorf "nicht zu viel" Kontakt entstand, sei es durch getrennte Weihnachtsfeiern, sei es, dass Büdelsdorfer Mail-Adressen i.d.R. intern (!) nicht freigeschaltet waren oder auch dass das Kieler Call-Center eine Zeit lang als eigenständige Firma auftrat (wobei laut späterem Arbeitsgerichtsurteil der Büdelsdorfer Betriebsrat immer noch zuständig war). Und Teil des Problems war ja auch gerade, dass in Büdelsdorf eben NICHT die merkwürdigen Arbeitsbedingungen herrschten, wie in Kiel. Bis zu dem Zeitpunkt, wo ausgelöst durch Managmentfehler (ein gewisser Herr Schmidt) die Karre dann spektakulär und medienwirksam im Dreck war, hat man auch aus Büdelsdorf in Sachen Arbeitnehmervertretung überhaupt nichts gehört. Der Büdelsdorfer Betriebsrat, in dem die IG Metall lediglich "pro forma" drin war, ist, wie im Artikel angedeutet, ein großer Teil des Problems: Man hat die Probleme in Kiel schlichtweg ignoriert und sich durch Aktienoptionen und Beförderungen kaufen lassen ...

Zitat-gibt es das paßwortgeschützte interne Forum der "Rebellen" noch?
Ja. Allerdings ist es der Mobilcom offensichtlich mehrmals gelungen, in das Forum einzubrechen und läßt ihren Anwalt frecherweise auch noch vor dem Arbeitsgericht Passagen von passwortgeschützten, quasi privaten Forenbeiträgen, vor Gericht zitieren. Ein ****** ***** ist das!!! (Selbstzensur, um dem Admin Ärger zu ersparen)

Zitat-gibt es noch kontakte unter denjenigen, die versucht haben sich zu wehren?
Ja, durch das Forum oder bei Gerichtsterminen, die dann zu Happenings werden ;-)

Zitat-wie fing es an mit dem internetforum und dem Versuch einen Betriebsrat zu gründen?
Puh, lange Geschichte ... ich muß erst mal frühstücken ... später mehr ...

Zitat von: "DeppVomDienst"
Zitat
Zitat-wie fing es an mit dem internetforum und dem Versuch einen Betriebsrat zu gründen?
Puh, lange Geschichte ... ich muß erst mal frühstücken ... später mehr ...

Na, immernochnicht zuende gefrühstückt?

Wie hat es denn nun alles angefangen?

DeppVomDienst

Jaja, habs nicht vergessen. Wetter ist aber gerade zu schön, ich muß ersteinmal im Garten den Grill anschmeißen ... Fortsetzung folgt.

ManOfConstantSorrow

Nun haben wir zwar immernoch nicht erfahren, wie es bei Mobilcom in Kiel alles angefangen hat, ich habe derwei aber Meldungen gefunden, daß der Computer auch anderswo hilfsmittel beim Arbeitskampf ist:

ZitatDer oberste Gerichtshof in Californien hat dem ehemaligen INTEL Mitarbeit das Recht zugestanden, daß er seine Meinung an viele email Adressen bei INTEL verteilt und damit einen exemplarischen Sieg der Meinungsfreiheit in US Firmen erreicht.

Allein gegen INTEL. Die Meinungsfreiheit hat in einem Gerichtsverfahren, das INTEL gegen seinen früheren Mitarbeiter angestrengt hat, gesiegt und der Schuß gegen den kleinen Mitarbeiter ist für INTEL nach hinten losgegangen. Herausgekommen ist ein beispielloses Urteil, das die Meinungsfreiheit auch in US Konzernen garantiert.

aus: Netzwerk IT



http://www.netzwerkit.de/themen/gesetze/Meinungsfreiheit/view
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

30.01.2004  14:05 Uhr

Großanleger wieder an mobilcom-Aktien interessiert

FRANKFURT (dpa-AFX) - In lebhaftem Handel haben die Aktien von mobilcom am Freitag 6,48 Prozent auf 16,44 Euro gewonnen. Händler verwiesen auf das Interesse institutioneller Anleger. Zugleich gewann der TecDAX bis 13.50 Uhr um 1,08 Prozent auf 620,61 Punkte.

"Die institutionellen Anleger interessieren sich wieder dafür", sagte ein Händler einer Frankfurter Großbank. Bei den jüngsten Anlegerkonferenzen seien besonders die Präsentationen des Büdelsdorfer Unternehmens stark besucht gewesen. Offenbar finde eine Neubewertung statt, nachdem die großen Telefongesellschaften wie France Telecom und Deutsche Telekom wieder steigende Bilanzen vorwiesen.

Zudem sei beim Börsengang des französischen Internetanbieters Iliad die Nachfrage mehrfach höher als die Anzahl der angebotenen Aktien gewesen, sagte der Händler. Dies führe auch bei der freenet-Aktie zu einer Neubewertung. mobilcom hält gegenwärtig 52,89 Prozent der Anteile am zweitgrößten deutschen Internetanbieter freenet.

DeppVomDienst

Tja, die Justiz malt manchmal gaaaaz langsam. Wen es interessiert:

Nachdem es letzes Jahr in der ersten Instanz vor dem Kieler Arbeitsgericht einen Teilerfolg gab, findet am 3. August vor dem Landesarbeitsgericht Kiel die erste Berufungsverhandlung von ehemaligen Callcenter-Agents gegen die Mobilcom statt. Der Termin ist um 9.30 Uhr angesetzt und findet im LAG Schleswig-Holstein, I. Stock, Saal 13, Deliusstraße 22 in Kiel statt.

Das wär doch auch 'ne feine Schulungsveranstaltung für ehemalige und aktive Frenetten, oder?

Persönlich bin ich mittlerweile dem lieben Ex-Arbeitgeber fast schon milde gegenüber gestimmt ... die Mobilcom war zu ihrer "besten" Zeit (*räusper*) meiner Meinung nach noch harmlos gegen das, was sich die Tochterfirma des "Gerhard-Schmid-Ziehsohns" (Welt, 4.1.2003) heute so leistet ...

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