Krankenkassen: Schwerer Schlag für Betriebsrentner

Begonnen von Kater, 21:30:31 Do. 10.April 2008

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Kater

ZitatKrankenkassen: Schwerer Schlag für Betriebsrentner

Gesundheit im Alter wird teuer: Für die Betriebsrente dürfen die Krankenkassen den vollen Satz abrechnen, bei Direktversicherungen wird noch verhandelt.
Von Marco Völklein
 
In den Geschäftsstellen des Sozialverbandes VdK blieb es am Montag ruhig. So richtig scheint noch niemand bemerkt zu haben, dass das Bundesverfassungsgericht am Freitag einen Beschluss fasste, der Millionen von Betriebsrentnern die Hoffnung auf etwas mehr Geld nahm. Das Gericht hatte eine Klage von sechs Rentnern nicht angenommen. Die wollten sich dagegen wehren, dass sie seit 2004 den vollen Krankenkassenbeitrag auf ihre Betriebsrenten zahlen müssen. Denn bis Ende 2003 hatten die Kranken- und Pflegekassen nur den halben Beitragssatz verlangt. Die Süddeutsche Zeitung klärt die wichtigsten Fragen.

Warum müssen Betriebsrentner seit Januar 2004 mehr zahlen?
Um den gesetzlichen Krankenkassen aus ihrer finanziellen Klemme zu helfen, hatte die Bundesregierung im Zuge der Gesundheitsreform entschieden, dass Rentner auf Versorgungsbezüge den vollen Krankenkassenbeitrag zahlen müssen. "In wirtschaftlich schwierigen Zeiten'', so Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) damals, müssten auch Rentner "ihren Beitrag leisten, um die Leistungsfähigkeit der sozialen Krankenversicherung zu erhalten''. Zuvor hatten Empfänger von Betriebsrenten den halben Beitragssatz gezahlt. Ähnlich ist es auch immer noch bei den gesetzlichen Renten: Hier übernimmt der Rentenversicherungsträger den halben Beitrag. Der volle Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten bringt den Krankenkassen rund 1,6 Milliarden Euro Mehreinnahmen pro Jahr, so die Bundesregierung.
 
Wie viel zahlen Rentner seither mehr?
Der Sozialverband VdK hat eine Beispielrechnung erstellt: Ein Rentner, der jeden Monat 1000 Euro aus der gesetzlichen Rente und 300 Euro aus einer Betriebsrente, zahlt seit Januar 2004 jeden Monat 21 Euro mehr in die Kranken- und 8,50 Euro mehr in die Pflegekasse. Das ergibt im Jahr eine Mehrbelastung von 354 Euro. Wer mehr Betriebsrente erhält, zahlt auch mehr an die Kassen.

Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?
Die Karlsruher Richter nahmen die Klage mangels Erfolgsaussichten nicht an (Az. 1 BvR 2137/06). Der volle Beitragssatz sei gerechtfertigt und könne Rentnern zugemutet werden, so das Gericht. Damit bestätigte es eine entsprechende Entscheidung des Bundessozialgerichts. Die Regelung verstoße weder gegen das Gebot der Gleichbehandlung noch gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit. Das Gesundheitswesen werde durch den medizinischen Fortschritt und die zunehmende Zahl älterer Menschen immer teurer, fanden die Richter. Deckten die Beitragszahlungen der Rentner 1973 noch 70 Prozent der von ihnen in Anspruch genommenen Kassenleistungen seien es heute nur noch 43 Prozent. Den Betrieben, die eine Altersversorgung anböten, könne eine teilweise Übernahme von Kassenbeiträgen nicht zugemutet werden, so das Gericht.

Wie geht es jetzt weiter?
Die Juristen der Sozialverbände VdK und SoVD denken derzeit über das weitere Vorgehen nach. "Wir werden die Entscheidung genau prüfen'', sagte VdK-Präsident Walter Hirrlinger der SZ. "Offenbar spielen die Begriffe Verhältnismäßigkeit und Nachhaltigkeit keine Rolle mehr.'' Möglich wäre zum Beispiel eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Beim Bundesverfassungsgericht sind außerdem noch zwei weitere Verfahren anhängig. In einem Fall geht es um Altersvorsorge-Absicherungen, die von Arbeitnehmern über den Arbeitgeber abgeschlossen und bespart wurden - diese umfassen vor allem Direktversicherungen (Az. 1 BvR 1924/07). Die Verbände hoffen nun, dass die Richter in diesem Fall anders urteilen als bei den Betriebsrenten - und dies zumindest einem Teil der Betroffenen neue Spielräume eröffnet.

Worum genau geht es im Streit um die Direktversicherungen?
Hier haben zwei Rentner Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie argumentieren unter anderem, dass sie zunächst über den Arbeitgeber Beiträge gezahlt haben. Nachdem sie aus einem Betrieb ausgeschieden waren, wurden die Beiträge nicht mehr vom neuen Arbeitgeber gezahlt. Vielmehr leisteten sie die Beiträge aus ihrem Nettoeinkommen. Und auf dieses wurden bereits Krankenkassenbeiträge gezahlt - die Auszahlungen aus der Direktversicherung müssten also genauer betrachtet und zumindest aufgeteilt werden. Nur für den Teil, der in der Einzahlphase über den Arbeitgeber abgewickelt wurde, müssten nun im Alter Krankenkassenbeiträge gezahlt werden, sagen sie. Das Landessozialgericht Stuttgart hatte einer Klägerin mit einer ähnlichen Argumentation Recht gegeben - allerdings hatte sie zunächst privat begonnen, eine Direktversicherung zu besparen und die Beiträge erst später über den Arbeitgeber gezahlt (Az. L 4 P 1312/07). Also gerade andersherum als im Fall der beiden Rentner in Karlsruhe. Der VdK spricht dennoch von einem "Hoffnungsschimmer''. Entscheiden werden die Verfassungsrichter darüber wohl erst 2009.
 
Wie viele Rentner sind betroffen?
Der VdK geht von rund vier Millionen Rentnern aus, die Betriebsrenten bekommen. Rechnet man noch die Besitzer von Direktversicherungen und anderen Vorsorgeformen ein, gehen Schätzungen bis zu zehn Millionen. Mittelbar betroffen sind jedoch noch viel mehr Menschen: Denn Arbeitnehmer, die jetzt bereits die seit 2002 staatlich geförderte betriebliche Altersvorsorge nutzen, werden auf die Zahlungen daraus im Alter die vollen Kranken- und Pflegebeiträge abführen müssen. Und das sind laut Schätzungen derzeit knapp 16 Millionen Menschen.

http://www.sueddeutsche.de/finanzen/artikel/151/167667/

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