Kassiererin streikt – Kaiser's kündigt

Begonnen von ManOfConstantSorrow, 13:46:16 Di. 17.Juni 2008

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Annekathrin

Der nunmehr letzte Prozeßschritt steht am 10. Juni 2010 vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt an.
Infos zur Auseinandersetzung um Bagatellkündigungen auf der Soliseite bei labournet: http://www.labournet.de/branchen/dienstleistung/eh/kaisers.html
und zum Termin selbst beim Infoladen Erfurt: http://sabotnik.blogsport.de/2010/05/27/10-juni-erfurt-solidaritaet-mit-emmely/.
Dass du dich wehren musst, wenn du nicht untergehen willst...
http://kskjena.blogsport.de/

admin

Ich erhielt gerade folgende Nachricht:

ZitatWir trauern um Barbara Emme ("Emmely")

Unsere Mitkämpferin und Freundin Emmely ist vorgestern gestorben - ihr großes Herz hat versagt.

Ich habe Emmely mehrmals getroffen. Beim letzten Mal haben wir uns ausführlich unterhalten, über Gott und die Welt und auch über chefduzen. Ich habe mir einige Threads im Forum über Emmely durchgelesen und gemerkt, daß der Eindruck, den man von ihr hat, ihrer Person nicht gerecht wird. Naja, man hatte schließlich auch nur den Kram aus den Medien als Grundlage. Sie war keinesfalls die Kassiererin, die sich mit ihrem Arbeitgeber identifizierte und einfach nur "ihren Job" zurückhaben wollte. Ich habe sie als wirklich beeindruckenden Menschen kennengelernt, eine Ostberliner Malocherin, die sich nix bieten ließ, voller Witz und Elan und wie in der Meldung oben bereits erwähnt: einem großen Herz. Sie hat sich gegen Verdi durchsetzen müssen bei der Organisierung einer Arbeitnehmervertretung bei Kaisers, beließ es nicht beim betrieblichen Tellerrand, sie engierte sich auch bei internationalen Themen und stellte dieses Wirtschaftssystem insgesamt in Frage. All das war nicht aus der Presse zu erfahren.

Sie war etwa in meinem Alter. Auch das erschreckt. Man findet keine gescheiten Worte.

Menschen mit so viel Humor und Elan wie Emmely, gibt es viel zu wenige und sie hinterlassen eine große Lücke.
Ich bin traurig.

admin

ZitatGekündigte Supermarktkassiererin
Emmely ist tot

Barbara Emme starb an Herzversagen. Bekannt wurde sie durch ihren Kampf gegen eine unberechtigte Kündigung. Es ging um einen 1,30 Euro Pfandbon.



2010 gewann Barbara Emme gegen die Supermarktkette Kaiser's vor dem Bundesarbeitsgericht.

Am Dienstag ist Barbara Emme im Alter von 57 Jahren in Berlin an Herzversagen gestorben. Unter diesem Namen kennen die Frau wenige. Doch als aufmüpfige Kassiererin Emmely wurde sie bundesweit bekannt.

Grund war der lange Atem, mit dem sich die Frau gegen ihre Kündigung wehrte. Sie wollte nicht akzeptieren, dass im Februar 2008 die Supermarktkette Kaiser's sie fristlos hinauswarf, weil sie angeblich zwei Leergutbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst hatte, die in einer Filiale von KundInnen liegen gelassen wurden. Emme hatte diese Vorwürfe jedoch immer wieder bestritten.

Sie fand Unterstützung bei linken AktivistInnen, die 2008 als kritische KundInnen die VerkäuferInnen beim Arbeitskampf im Einzelhandel unterstützten. Der Aliasname wurde im Solidaritätskreis gemeinsam mit der Kassiererin kreiert und wurde bald bundesweit bekannt.

In den nächsten zwei Jahren gelang es der kleinen Gruppe nicht nur, die Kündigung bundesweit zu skandalisieren. In Talkshows diskutierten PolitikerInnen und JuristInnen über die Verdachtskündigungen als Instrument, missliebige ArbeitnehmerInnen loszuwerden. Nachdem Emmely in mehreren juristischen Instanzen verloren hatte, erklärte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt im Juni 2010 die Kündigung für unwirksam. Zwölf Tage später bekam sie wie gewünscht eine Stelle in einem Kaiser's in ihrem Wohnviertel in Berlin-Hohenschönhausen.

Emme stammte aus einer Arbeiterfamilie aus Mecklenburg, wurde in der DDR groß, machte dort eine Ausbildung als ,,Fachverkäuferin für Waren des täglichen Bedarfs". Auch nach ihren juristischen Sieg blieb Emmely politisch aktiv, beteiligte sich an einem Film und zwei Büchern über ihren Fall. Sie wurde auch zu politischen und sozialen Meetings nach Paris, Spanien und Venezuela eingeladen.

Sie sei in einer Zeit der Entsolidarisierung im Neoliberalismus zum Symbol dafür geworden, dass man sich auch heute noch wehren und sogar gewinnen kann, erklärten AktivistInnen ihres Solidaritätskomitees in einer Nachbetrachtung, warum die Kündigung der Berliner Kassiererin so viele Menschen bewegte und ihr Tod nun Menschen in aller Welt traurig macht.
http://www.taz.de/Gekuendigte-Supermarktkassiererin/!157087/

Jetzt sind überall Nachrufe zu finden, selbst in der Springerpresse:
http://www.bild.de/regional/berlin/tod/kassiererin-emmely-ist-gestorben-40304874.bild.html
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kaiser-s-kassiererin-emmely-ist-tot-a-1025602.html
http://www.n-tv.de/panorama/Kassiererin-stirbt-an-Herzversagen-article14781041.html
http://www.welt.de/vermischtes/article138788898/Kassiererin-Emmely-mit-nur-57-Jahren-gestorben.html
http://www.focus.de/politik/deutschland/deutschland-ticker-beim-spielen-angeschossen-jetzt-spricht-der-junge_id_4570310.html

eichkatz

Ich möchte an die Nachrufe gerne noch einen anhängen: Der express hat in seiner aktuellen Ausgabe 3/4 2015 Gedanken und Erinnerungen von Menschen gesammelt, die ihr in ihrem Kampf begegnet sind. Einer davon beschreibt sehr klar und zurückgenommen ihre Erfahrung, dass schon die Entscheidung, in den Konflikt zu gehen und die eigene Würde zu verteidigen, das Leben zum Besseren verändern kann. Nicht muss, aber kann.
Gregor Zattlers Text hat mich berührt und ich möchte ihn an euch weitergeben.

"Über Emmely wird immer wieder berichtet, wie unbeirrbar und überwiegend optimistisch sie den Kampf um `ihr Recht`, wie sie sich ausdrückte, gegen alle Widrigkeiten führte. Das ist meist lobend gemeint, für mich als Mitglied des Komitees `Solidarität mit Emmely` war diese Haltung Emmelys aber auch belastend, weil ich die ganze Zeit über davon ausging, dass sie am Ende vor Gericht verlieren würde und mich fragte, ob sie durch den ständigen Zuspruch in den Solikreisen in der Wahrnehmung ihrer Sittuation behindert werden könnte (das war kurz nachdem sie ein Abfindungsangebot ausgeschlagen hatte).
Ich fürchtete, dass sie am Ende mit Hartz IV dastehen und psychisch in ein großes Loch fallen könnte, und ging weiter davon aus, dass die Solistrukturen das nicht dauerhaft würden auffangen können. Das war wahrscheinlich auch eine Projektion meiner eigenen Ängste auf sie. In der Hektik und Betriebsamkeit der Arbeit des Soli-Komitees war das schlecht anzusprechen. Erst im Dezember 2008 ergab sich die Gelegenheit, darüber mal in Ruhe zu reden und Emmely erstaunte mich durch eine überaus detaillierte Schilderung der Vorteile, die die Entwicklung der Situation soweit bereits für sie erbracht hatte: Die Kontakte in der Familie seien intensiviert, sie erfahre Zuspruch in der Familie, von den Nachbarn, auf dem Campingplatz und auf den Veranstaltungen. Vor allem aber habe sie ganz neue Kreise kennengelernt und damit ihr bis dato unbekannte Kulturen, Verhaltensweisen und Diskussionsweisen. Der letzte Punkt war ihr in diesem Gespräch besonders wichtig. Sie hat all das auch als ein intellektuelles Abenteuer verstanden, das sie um Erfahrungen und Kontakte bereichert hatte, um die sie auch eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht nicht bringen können würde. Ich erinnere mich, dass ich mir am Ende des Gesprächs wünschte, ich könnte mir von ihrer Sichtweise ne Scheibe abschneiden."
Gregor Zattler war Mitglied des Komitees "Solidarität mit Emmely", Berlin

Soweit. Auch die übrigen Erinnerungen in derAusgabe finde ich lesenswert.

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