58+ Regelung - Hartz IV und die Jahre bis zur Rente

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 22:05:54 Di. 18.Januar 2005

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

Wilddieb Stuelpner

MDR, Sendung "exakt": 58+ Regelung - Hartz IV und die Jahre bis zur Rente

exakt vom 18.01.2005

Manuskript des Beitrages von Barbara Dobke, Gwenda Walk

Die Bundesregierung startete die sog. 58+ Regelung, mit der Arbeitnehmer schon vor der Rente aus dem Beruf ausscheiden können. Doch seit Hartz IV gilt das nicht mehr.

O-Ton: Christel Galle

"Also, wir haben gedacht, das darf doch nicht wahr sein. Uns fehlt ja, wenn ich das jetzt mal so überschlage, ich glaube, 500 bis 600 Euro."

Christel und Claus Galle fühlen sich vom Staat verschaukelt. Denn vor anderthalb Jahren schlossen die beiden mit dem Arbeitsamt einen Deal, den die Politik jetzt platzen ließ: Das Paar sollte Platz machen für Jüngere, verzichtete auf einen neuen Job, dafür sollten sie bis zur Rente Arbeitslosengeld beziehungsweise –hilfe bekommen. 58er-Regelung hieß das damals. Claus Galle erinnert sich noch genau, wie er zur Unterschrift gedrängt wurde, als er sich 2003 arbeitslos meldete.

O-Ton: Christel Galle

"Er hat mit sofort das Schreiben hingeschoben, das werde ich nie vergessen, das ist so jemand mit Bart gewesen, der tippt am Computer mit einem Finger, also den würde ich auch sofort wieder erkennen. Sie haben nur positives. Der hat mir das sofort hin geschoben. Denke, ja, nur positives. Ich bin ja auch ein gläubiger Mensch, da habe ich das Ding unterschrieben."

Durch Hartz IV ist dieser Vereinbarung jetzt die Grundlage entzogen worden: Denn statt Arbeitslosenhilfe gibt es ALG-II. Für die Galles heißt das: Zwischen 20 und 30 Prozent weniger, als sie sich ursprünglich auf grund geltender Gesetze ausgerechnet hatten.

Rückblende: Die 58er-Regelung wurde bereits Mitte der 80er Jahre eingeführt. Als Reaktion auf Massenproteste wegen der Wirtschaftskrise. Innerhalb kurzer Zeit verdoppelte sich die Arbeitslosenzahl auf über 2,5 Millionen. Die Umfragewerte der Regierung Kohl im Keller. Damals bewährte sich die neue Regelung zum ersten Mal. Die Arbeitslosenquote wurde geschönt. Wer unterschrieb, tauchte schließlich nicht mehr in der Statistik auf.

16 Jahre später - 2002. Diesmal ist es Kanzler Schröder, dessen Wiederwahl in frage gestellt ist. Die Arbeitslosenzahl hat die Vier-Millionen-Grenze überschritten. Und wieder wird die 58er-Regelung massiv eingesetzt. Führende Wirtschaftswissenschaftler registrieren in der Folge: Satte 16 Prozent weniger Altersarbeitslosigkeit. Auf Hunderttausende war massiver Druck ausgeübt worden. Auch exakt berichtete darüber:

exakt vom 03.09.2002

"Dass es in den Ämtern offenbar Druck gibt, die Älteren los zu werden, zeigt ein interner Runderlass der Bundesanstalt für Arbeit. Darin heißt es: Nicht zuletzt unter Entlastungsgesichtspunkten ist daher darauf hinzuwirken, dass ein möglichst großer Anteil des in Frage kommenden Personenkreises die Regelung ... in Anspruch nimmt. Und dass mit allen Mitteln."

O-Ton: Rüdiger Mikeska, Vizevorsitzender ALV Deutschland

"Einzelbeispiele gehen dahin, dass da natürlich den Betroffenen nachgewiesen wird, Zuweisungen von besonders schwerer körperlicher Arbeit zum Beispiel, oder aber auch von einem erhöhten Nachweis von eigenen Bemühungen in der Bewerbung pro Monat, dass man die also überdimensional hochschraubt um ihn dann letztendlich doch zu nötigen in der eigenen Erkenntnis die Unterschrift unter die Erklärung zu setzen."

"Unterschrift um jeden Preis für eine bessere Statistik."

Bis zum vergangenen Jahr wurde die 58er-Regelung massiv eingesetzt. Auch die Galles unterschrieben. Finanziell war das ganze damals für den ehemaligen Berufskraftfahrer und die Kassiererin akzeptabel. Durch zusätzliche Minijobs konnten die beiden die Lücke zwischen Arbeitslosenhilfe und früherem Einkommen nahezu schließen. Von knapp 1.400 Euro glaubten sie bis zur Rente leben zu können. Durch Hartz IV sind daraus jetzt gerade mal 1.000 Euro geworden. Wenn im übernächsten Jahr befristete Zuschlage wegfallen, werden es noch einmal 150 Euro weniger. Und dass geht an die Substanz.

O-Töne: Claus Galle und Christel Galle

"..ich brauchte letztlich Zähne, die kamen fast 600 Euro. Als Arbeitsloser, die musste ich bezahlen, so oder so, also ob ich da nun in Raten oder nicht, die muss ich bezahlen."

"Das wird ja auch nicht anders.."

"ich brauche die ganz dringend.. - kann ich nicht mal beißen.."

Die Galles haben keine Chance, diesem Dilemma zu entfliehen. Zwar könnten sie theoretisch aus der 58er-Regelung aussteigen und sich wieder um einen Job bemühen – doch praktisch sind ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt nach zwei Jahren ohne Job inzwischen gleich Null.

O-Ton: Claus Galle

"..mit 59 – ich werde dieses Jahr 60 – ist nichts. Und in unserem Gebiet auch nichts."

Vielleicht wäre ja die vorzeitige Beantragung der Rente eine Alternative. Die Galles auf den Weg zu Beraterin Claudia Woyand. Doch die macht eine traurige Rechnung auf:

O-Töne: Claudia Woyand, Rentenberaterin und Claus Galle

"Wenn sie im Juni diesen Jahres also in Rente gehen würden, das hieße noch 5 Monate das ALGII, dann ist natürlich das Problem, dass sie 18 Prozent Abschläge hätten, .."

"18 Prozent..?!´"

"..das ist circa 1/5 ihrer kompletten Rente was sie einbüßen würden. Das wären dann brutto immer noch ungefähr 470 Euro übrig."

"470 Euro..?"

"Jo, das ist natürlich wenig."

18 Prozent weniger Rente. Das bliebe so bis ans Ende ihrer Tage – Ein Ding der Unmöglichkeit. Inzwischen haben auch Politiker von Regierung und Opposition eingesehen, dass sie rund 400.000 Betroffene nicht so einfach im Regen stehen lassen können.

O-Ton: Dr. Reiner Haselhoff, (CDU) Staatssekretär Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt

"Wir haben einen Kompromiss mit dem Bundesarbeitsminister herbeigeführt. Herr Clement hat über die Bundesarbeitsagentur durchstellen lassen, dass es möglich ist, dass für die Älteren, also ab 58-jährigen, besondere Maßnahmefelder organisiert werden. Und dass soll sich orientieren, an dem Programm ,Aktiv zur Rente' – was schon in Sachsen-Anhalt läuft."

In der Praxis heißt das: Den Betroffenen könnte als Ausgleich ein zeitlich unbefristeter Ein-Euro-Job angeboten werden. Parkfegen bis zur Rente – und selbst dann würden sie ihr ehemals errechnetes Einkommen nicht erreichen. - Schöne Aussichten.

Für die Galles ist das nicht akzeptabel: Sie wollen, wie Tausende andere auch, notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

zuletzt aktualisiert: 18. Januar 2005 | 21:37

Pinnswin

SoVD hat eine Verfassungsklage zur 58er-Regelung eingereicht
ZitatDer SoVD unterstützt die Verfassungsklage eines Mitglieds, das
die 58er-Regelung unterschrieben hatte und im Zuge von Hartz IV
schlechter gestellt wurde. Wie viele Arbeitslose über 58 Jahre hatte
der Kläger vor der Einführung von Hartz IV eine Vereinbarung mit dem
Arbeitsamt abgeschlossen, wonach er bis zum Rentenbeginn Arbeitslosenhilfe
erhalten sollte. Doch mit dem Inkrafttreten von Hartz IV im Januar 2005
erhielt dieser Personenkreis statt der Arbeitslosenhilfe nur noch das
niedrigere Arbeitslosengeld II. Der Kläger erhielt aufgrund der veränderten
Berechnungsgrundsätze keinen Cent mehr.
Dies ist nach Auffassung des SoVD ein verfassungswidriger Eingriff in
vermögenswerte Rechtspositionen. Außerdem wurde der Vertrauensschutz
verletzt. Mit der Verfassungsbeschwerde, die im September 2007 eingelegt
wurde, soll ein Grundsatzurteil gegen die damalige Schlechterstellung
erreicht werden
(Az.: 1 BvR 2628/07).
http://www.sovd.de/aktuelles-hartziv.0.html
Das Ende Der Welt brach Anno Domini 1420 doch nicht herein.
Obwohl vieles darauf hin deutete, das es kaeme... A. Sapkowski

  • Chefduzen Spendenbutton