Streichung von Regelsatz UND KdU

Begonnen von mousekiller, 13:57:20 Mo. 19.Oktober 2009

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mousekiller

Folgendes Problem:

KdU UND Regelsatz wurden mit der Begründung § 31 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1b und Abs. 6 SGB ll für drei Monate gestrichen. Somit droht logischerweise Obdachlosigkeit. Person: 24 Jahre.

Ist das überhaupt rechtens?

Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

Wilddieb Stuelpner

Wenn man zweimal zum selben Anlaß abstraft, so ist das praktiziertes Unrecht.

Es ist schon Unrecht den weit unterhalb des Existenzminimums liegenden Alg-II-Regelsatz zu kürzen und somit die amtliche Grundlage zum Selbstmord zu verordnen. Noch schlimmer ist die KdU-Kürzung, die zur Obdachlosigkeit zwingt, weil nach geltendem bundesdeutschem Verbrechermietrecht bei zweimaligen Mietausfällen die Räumungsklage durch den Vermieter folgen wird.

In beiden Fällen trampelt die BRD auf Menschenrechten im Interesse der Unternehmer straffrei rum.

Die richtige Strafe wäre endlich mal eine zumutbare Arbeitsvermittlung in eine dauerhaft, tariflich bezahlte, sv-pflichtversicherte Vollerwerbsarbeit. So was wäre endlich mal angemessen und in die richtige Richtung abzielend. Alles andere ist Heuchelei, Hinterhältigkeit und Zynismus, verursacht durch Beamtenbüttel des Kapitals.


MizuNoOto

Leider ja. Seit dem 1.1.07 entfallen bei U25 schon bei der zweiten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres Regelsatz und KdU komplett.
Der Leistungsträger kann aber bei Wohlverhalten die KdU weiterzahlen. Kann. Ob eine Ermessensreduzierung auf null vorliegt, dürfte jeder Richter anders sehen.

Da Obdachlosigkeit droht, lebt der U25 wohl alleine? Sonst könnte man es hiermit probieren: http://www.chefduzen.de/index.php/topic,19545.msg178294.html#msg178294

Außerdem sind die meisten Sanktionen angeblich sowieso rechtswidrig. Gibt es hier einen Ansatzpunkt?

Wenn er wirklich obdachlos werden sollte, würde ich mal gucken, was der SB so für Hobbys hat. Im Wald joggen? Es werden viel zu wenig SBs langsam totgeprügelt.

mousekiller

Er wird definitiv obdachlos. Seine Eltern wollen ihn nicht wieder aufnehmen. Ich hab heut erst mal hilfsweise einen Widerspruch im Sinne von Nötigung formuliert, da er ja durch den gänzlichen Entzug der Leistungen gezwungen ist, Kredite aufzunehmen, die er eh nicht zurückzahlen kann. Abgesehen von der Tatsache, dass ja eine Krankenversicherungspflicht besteht und er auch wegen fehlender Mittel seine EGV nicht einhalten kann. GG 1 auch gleich mit reingepackt. Morgen hat er eh einen Termin, ich hab ihn angewiesen, das Schriftstück am Empfang abzugeben und sich das abstempeln zu lassen.
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

MizuNoOto


Tja, aber so aus der Ferne betrachtet sieht der Widerspruch nicht sehr erfolgsversprechend aus.
Ohne den Fall zu kennen, am erfolgsversprechendsten ist es immer, anzuzweifeln, dass überhaupt eine Pflichtverletzung vorliegt. Ich weiß ja nicht, was dein Bekannter gemacht hat, aber ist die Beweislage des Leistungsträgers wirklich ausreichend?

Zur Obdachlosigkeit: Ich habe im Immobilienteil der SZ am Freitag gelesen, eine Zwangsräumung koste den Vermieter im Schnitt 15 000 Euro. Vielleicht ist er ja kooperationsbereit.

schwarzrot

Bei der krankenversicherungspflicht hilft es, wenn er es hinbekommt, mindestens lebensmittelmarken/sachspenden vom amt zu bekommen:
Dann erhält er vom amt 'leistung' und ist somt auch übers amt wieder versichert (aufpassen, dass er das belegen kann).

Wie Mizu schrieb, SBs können die sanktion aussetzen, wenn ein (von denen) 'erwünschtes verhalten' eintritt.
Dieses dann schriftlich machen und den SB auffordern, von der sanktion abzusehen.

Ansonsten sehe ich es wie Mizu. ein SB der es hinbekommt einen ihm anvertrauten obdachlos zu machen, gehört nicht in diesen job und auch die welt kann gut auf so ein arschloch verzichten.
"In der bürgerlichen Gesellschaft kriegen manche Gruppen dick in die Fresse. Damit aber nicht genug, man wirft ihnen auch noch vor, dass ihr Gesicht hässlich sei." aus: Mizu no Oto

Wieder aktuell: Bertolt Brecht

Wilddieb Stuelpner

Zitat von: schwarzrot am 12:32:52 Di. 20.Oktober 2009
... Wie Mizu schrieb, SBs können die sanktion aussetzen, wenn ein (von denen) 'erwünschtes verhalten' eintritt.
Dieses dann schriftlich machen und den SB auffordern, von der sanktion abzusehen. ...

Man kann also ausgesetzte Sanktionen  mit einem Fahrverbot vergleichen, daß man auch auf den Urlaub verschieben kann und somit den erziehenden Charakter verliert. Im Gegensatz zum Fahrverbot bleibt die volle Sanktionswirkung auch nach Verschiebung immer noch da. Das reine Verschieben ist bei beiden gleich, aber die Wirkungskraft verschwindet bei dem einen und bleibt beim anderen immer noch.

mousekiller

Naja, nach dem was er mir erzählt hat, hat er die Sanktionen selbst verschuldet.
Und ich glaube auch nicht, dass seine Arge Gnade vor Recht ergehen lässt. Das müssen dort echt scharfe Hunde sein.

Problem dabei ist, dass er Schwierigkeiten hat, den Inhalt der Schreiben zu verstehen. Er leidet zwar nicht direkt unter Legasthenie, aber sobald die Wörter mehr als zwölf Buchstaben haben, wirds halt schwer. Ich hab ihn erst mal angewiesen, mir zukünftig die Schreiben zu zeigen, wenn er was nicht versteht.

Hinzu kommt, dass er seit seinem zwölften Lebensjahr extremen psychischen Druck durch seine Eltern ausgesetzt war (Scheidungskind, Mutter wollte ihn nicht, beim Vater war er wegen der neuen Frau nur fünftes Rad am Wagen). Letztens hatte ich das "Glück", mal einem Gespräch zwischen ihm und seiner Mutter zuzuhören. Das war echt nicht mehr feierlich... All das hat dazu geführt, dass er extrem unsicher geworden ist und sich nicht mehr traut, auch nur "piep" zu sagen. Ich versuche jetzt quasi, ihn wie ein kleines Kind an der Hand zu nehmen und zu zeigen, dass man auch zurückschlagen darf. Ich bin schon heilfroh, dass er wenigstens mir soweit vertraut, dass er mir von seinen Problemen erzählt. Dauert halt nur seine Zeit...
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

MizuNoOto



Hallo, die Frage ist nicht, ob er eine Pflichtverletzung begangen hat, sondern ob die ARGE eine Pflichtverletzung beweisen kann. Kann Sie?

Ein weiterer Ansatzpunkt wäre die fehlende Rechtsfolgenbelehrung. Wenn dein Bekannter funktioneller Analphabet ist (dafür gibt es standarisierte Tests), dann hätte er mündlich belehrt werden müssen (SG Lüneburg, Beschl. v. 04.04.2007 - S 24 AS 342/07 ER). Gibt es in den Akten einen Verweis über mündliche Belehrung?


Die Frage ist jetzt, wie die Kündigung des Mietvertrages wegen Zahlungsverzugs vermieden werden kann, wenn dein Bekannter im einstweiligen Rechtsschutz erst in einigen Monaten Erfolg hat. Hier ist eine Kooperation mit dem Vermieter unumgänglich, aber alles andere als aussichtlos, wenn der Vermieter ein betriebswirtschaftlich denkender Mensch ist, und dein Bekannter nicht bei einem öffentlichen Wohnungsunternehmen zu Gast ist, wo die Schwestern der Arbeitsamttanten über sein Schicksal entscheiden. Aber auch die haben Vorgesetzte.

Auf jeden Fall versuchen! Diese Schweine dürfen nicht immer gewinnen.



mousekiller

Danke Mizu, genau so etwas haben ich als Argumentationshilfe gesucht. Hoffen wir, das es weiterhilft.
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

MizuNoOto


Ich würde mich aber nicht nur darauf verlassen, sondern mehrgleisig fahren. Kann die ARGE die Pflichtverletzung beweisen? Dazu Akteneinsicht nehmen.

Außerdem muss deinem Bekannten klar sein, dass ein freiwilliges Einlenken der ARGE nicht zu erwarten ist. Sage ich nur, damit er nicht nach dem Widerspruchsverfahren resigniert. Man könnte überlegen, ob man nicht zu aggresivauftreten sollte, um sich nicht die Möglichkeit einer Sanktionsrücknahme bei Wohlverhalten zu verbauen. Aber wenn das scharfe Hunde sind...
Weiterhin: Falls dein Bekannter Wohlverhalten zeigen will, darf das auf keinen Fall die Argumentation, es hätte keine Pflichtverletzung gegeben, unterlaufen.
Die Menschenwürde würde ich weglassen. Die Gesetze sind nunmal so, und die ARGE hat nicht über ihre Verfassungskonfomität zu entscheiden. Lieber auf den aussichtsreichen Teil der Argumentation konzentrieren. Anders sähe es aus, wenn ihr es in der ARGE mit einem echten Demokraten zu tun hättet. Aber das wäre ein echtes Wunder.

Spätestens wenn geklagt wurde, würde ich den Vermieter informieren. Ohne dessen Kooperation wird deinem Bekannten nach zwei Monaten Sanktion gekündigt (§ 543 BGB). Ich würde mich auch unbedingt mal fachkundig beraten lassen, wie man dem Vermieter gegenüber argumentieren kann, sollte das notwendig werden. Man müsste schon im Vorraus ein Arsenal unangenehmer Maßnahmen in Aussicht stellen, auf die zu reagieren für den Vermieter kosten- zeit und arbeitsaufwändig ist.


mousekiller

Nunja gestern hat es eine sehr lange Verhandlung mit seiner SB gegeben. Endergebnis: er kriegt eine von der Arge wie auch immer gesponserte Stelle. Sollte er dort innerhalb sechs Wochen nicht auffällig werden (Verspätung, Nichterscheinen, etc. pp.) wird die Sanktion halbiert.
Damit er erst gar keine Verspätung riskiert, habe ich jetzt seine Freundin angesprochen, sie wird sein Weckdienst sein.

Das mit dem Vermieter werde ich mit ihm noch mal durchkauen. In allen Details.

Zumindest sieht es jetzt so aus, dass er nur 1 1/2 Monate in Mietrückstand geraten würde dadurch. Und das ist kein Grund für eine Kündigung.
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

Alan Smithee

Das Thema ist zwar schon 1 Monat alt, ich gebe jetzt trotzdem meinen Senf dazu ab.

Sehr viele Sanktionen kommen dadurch zustande, dass die Empfänger die Schreiben nicht richtig verstehen, oder aus gesundheitlichen (psychischen) Gründen gar nicht die auferlegten Verpflichtungen erfüllen können. Dabei sind gerade unter Hartz IV sehr viele Menschen, die gerade aus diesen Gründen arbeitslos sind.

Hier zeigt dieses Hartz IV-Konstrukt sein wahres Gesicht: ausselektieren von denjenigen, die sowieso keine Chancen heutzutage mehr haben. Es wird von den Arbeitslosen erwartet, dass sie studierte Juristen sind, damit sie zu ihren Leistungen kommen und sich gegen Willkür wehren können. Und ich will mal behaupten, dass selbst Fachanwälte für Sozialgesetz nie genau wissen, wo der Frosch die Locken hat....

Konkret zu einem Fall wie diesen: Wenn die SB herausgefunden haben, dass der U25 (und auch alle darüber) seine Schwachpunkte hat, und er sich nicht richtig wehren kann, sollte er schauen, dass er seine Schwächen, wegen denen er angeblich seine Pflichten nicht erfüllen kann, zu seiner Waffe macht...

Wenn er sich seine psychischen Defizite attestieren lässt (ich weiss, schlimm genug, dass man dazu gezwungen wird; aber die Obdachlosigkeit bedeutet gerade für solche Leute das absolute Aus..) dann hat auch der gewiefteste SB keine Chancen, denjenigen an den Karren zu fahren.
Sie werden es erfahrungsgemäß trotzdem weiter versuchen, was dann aber vor den Sozialgerichten keinen Bestand mehr hat.
...still dreaming of electric sheep...

mousekiller

Nun ja, er hat mittlerweile durch mich und seine Freundin sehr viel Unterstützung gefunden und er versucht auch ernsthaft, seine geistigen Defizite, die durchaus vorhanden sind, abzubauen. Das Problem ist halt, dass er gerade bei den Leuten, die ihm Halt geben könnten, nämlich seine Familie, keinen hat. Das ist traurig genug. Ein Pfarrer hat es mal so ausgedrückt: "Manchmal sind Freunde Gottes Entschuldigung für die Familie." In Zukunft werden wir beide weiter ein Auge auf ihm haben. Das schlimme ist ja, dass er trotz seiner Jugend und seines Berufes (Tischler) keinen Job findet. Und er erfüllt nun weiß Gott alle Anforderungen: jung, ungebunden, Führerschein.

Mittlerweile steckt er in einer Kommunalen Maßnahme, die zumindest seine KdU übernimmt, so dass die Gefahr der Obdachlosigkeit erst einmal abgewendet ist. Sollte er sich dort bewähren, können wir hoffen, dass die Sanktionszeit verkürzt wird.

Demzufolge möchte ich glatt behaupten: die Argen bemühen sich garnicht mehr um Vermittlung, Förderung undsoweiter. Sie verwalten nur noch und versuchen, so viele wie möglich aus dem Bezug herauszudrängen.

Um es mal mal mit dem (Max Liebermann zugeschriebenen) Spruch zu sagen: "Ick kann jarnich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!"
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

Alan Smithee

@mousekiller: ich finde es wirklich toll, dass du dich um den Jungen kümmerst. Und ich bin froh, dass es offensichtlich nicht ganz so schlimm für ihn gekommen ist.

Wie du geschrieben hast, bemühen sich die ARGEn gar nicht mehr um Vermittlung; kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Die Leute werden nur in mehr oder weniger (eher weniger) sinnvolle Maßnahme gesteckt, damit sie aus der Statistik sind, und sich die Maßnahmeträger ´ne goldene Nase dran verdienen können >:(  -und der ARGE petzen, wenn jemand angeblich nicht angemessen mitspielt, damit er sanktioniert werden kann....

Von echter Förderung kann hier gar keine Rede mehr sein. Das, was der Arbeitslose braucht, bekommt er nicht, und das was er nicht braucht, bekommt er garantiert.  >:(

Kümmere dich bitte weiterhin auch so gut um deinen Freund; wenn Hartz IV irgend etwas positives bewirkt hat, dann ist es die Solidarität unter den Betroffenen!
...still dreaming of electric sheep...

mousekiller

So mal wieder ein kleines Update in dem Fall. Datt Jungchen hat die Sanktion erfolgreich überstanden und geht Mitte des Jahres, weil nicht mehr U25 in den "normalen" Strafvollzug Vermittlung. Zwischenzeitlich hatte er einen Job. Nu kommts aber: sein Vermittlerin verlangte heute von ihm, dass er zum Frisör geht! Ich habs ihm gleich ausgeredet, weil Eingriff in die Persönlichkeit. Er wird nun gegenargumentieren, dass ihm das Geld für einen Frisörbesuch momentan fehlt, da von der Arge der Antrag noch nicht bearbeitet wurde, obwohl er ihn bereits Anfang Mai eingereicht hat.
Abgesehen davon wird er hoffentlich bald die Segel im Kaff Hannover streichen und zu seiner Freundin ziehen können, um sich dort um das zu erwartende gemeinsame Kind zu kümmern.
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

willnichtmehr

Zitat von: mousekiller am 12:39:26 Mo. 07.Juni 2010
... sein Vermittlerin verlangte heute von ihm, dass er zum Frisör geht!
Was nehmen sich diese P...nelken denn noch alles raus?  >:(
Ich fass es nicht!
Ich könnte schon wieder aus der Haut fahren!!!
Was bildet sich so eine Vermittlerin ein, wer sie ist?
Die soll mal schön ihren alten zu Hause so rumkomandieren, aber wahrscheinlich kriegt sie dann
kräftig auf die Finger.
Schade das so was niemand zu mir sagt.Ich hätte schon die richtige Antwort: Ich geh zum Frisör, aber erst wenn sie
beim Mang in der Bodenseeklinik waren.
Die Schnalle hätte sich was anhören können. :evil:
Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.
George Bernard Shaw

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