Ultimatum als Arbeitskampfmittel

Begonnen von xyu, 00:52:49 Di. 16.Oktober 2012

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xyu

zwei interessante berichte aus dem saarland:
ZitatWenn das Auto streikt
Ver.di Saar experimentiert erfolgreich mit neuen Methoden, Unternehmen unter Druck zu setzen und Beschäftigte zu aktivieren
Von Daniel Behruzi

Jahrelang stellte das Management des Fachdienstes Selbstbestimmtes Wohnen beim Saarländischen Schwesternverband (SSV) auf stur. Schon seit 2007 fordern die Beschäftigten, die chronisch psychisch kranke Menschen in ihrem Zuhause unterstützen, einen erhöhten Zuschuß für die Nutzung privater Pkw. In der vergangenen Woche stimmte der Verband endlich zu, pro Vollzeitkraft eine Prämie von jährlich 1000 Euro zu zahlen. Zuvor hatte die Belegschaft mit Unterstützung von ver.di ein Ultimatum gestellt: Sollte der SSV nicht bis zum 15. Oktober einlenken, würden sich alle 14 Beschäftigten weigern, ihre Privatfahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Diese Strategie wirkte - und könnte durchaus Nachahmer in anderen Betrieben finden.

Vor fünf Jahren hatten Beschäftigte und Betriebsrat erstmals die Forderung nach erhöhten Fahrtkostenzuschüssen erhoben. Doch von den SSV-Managern wurden sie schlicht ignoriert. Dabei hat sich das Problem seither noch deutlich verschärft. Angesichts drastisch gestiegener Benzinpreise - aber auch von Versicherungskosten, Steuern und anderen Ausgaben - reicht die bislang gezahlte Kilometerpauschale von 30 Cent sowie eine Tankfüllung von 44 Euro im Monat längst nicht mehr zur Kostendeckung. Allein im vergangenen Jahr seien die Spritpreise um 13,9 Prozent gestiegen, während die allgemeinen Lebenshaltungskosten um 2,6 Prozent zunahmen, rechnete ver.di vor. Mit Unterstützung der Gewerkschaft forderten die Beschäftigten deshalb eine Zulage von monatlich 200 Euro.

In einem Schreiben forderte ver.di-Sekretär Michael Quetting den Vorstand des Schwesternverbandes im August dieses Jahres erneut auf, sich zu bewegen. Die Benachteiligung gegenüber anderen Beschäftigten - beispielsweise erhalten Bedienstete des Saarlands ebenso wie in vielen anderen Bundesländern 35 Cent pro Kilometer - müsse beendet werden. Das Resultat war dasselbe wie bei den vorangegangenen Appellen: keins. Daraufhin einigten sich die Beschäftigten, unter ihnen Sozialarbeiter, Heilerziehungspfleger, Erzieherinnen, Ergotherapeuten und Krankenschwestern, auf das Ultimatum. Sie versprachen sich gegenseitig, ihre Privat-Pkw ab dem 15. Oktober nicht mehr für Dienstfahrten zu nutzen. Laut Arbeitsvertrag sind sie dazu auch nicht verpflichtet. »Die Kolleginnen und Kollegen werden am Montag ganz normal zum Dienst kommen«, kündigte ver.di in einem Flugblatt an. »Sie sind arbeitsbereit. Wenn der Schwesternverband Dienstfahrzeuge bereitstellt, wird selbstverständlich der üblichen Arbeit nachgegangen.« Die Gewerkschaft werde vor Ort sein, um zu verhindern, daß Beschäftigte unter Druck gesetzt werden.
Darauf ließ es SSV-Chef Thomas Dane - der zu dem Ultimatum zuvor noch erklärt hatte, er »kenne dieses Fremdwort nicht« - dann doch lieber nicht ankommen. Am Mittwoch vergangener Woche akzeptierte er in einem Gespräch mit allen betroffenen Mitarbeitern und im Beisein des ver.di-Sekretärs Michael Quetting sowie des Betriebsratsvorsitzenden Eugen Zemella einen Kompromiß: Ab November erhalten Vollzeitbeschäftigte eine Jahresprämie von 1000 Euro. Im Gegenzug müssen sie bei Dienstfahrten ein magnetisches Werbeschild für den Schwesternverband am Fahrzeug anbringen. Außerdem sollen in den kommenden Monaten weitere Dienstfahrzeuge angeschafft und Beschäftigte bei Bedarf beim Kauf eines neuen Wagens mit kostengünstigen Darlehen des SSV unterstützt werden. Die bisherige Kilometerpauschale und die monatliche Tankfüllung bleiben erhalten.

»Die Kolleginnen und Kollegen haben diesen Kompromiß einstimmig akzeptiert. Durch ihre mutige Aktion haben sie eine extra Prämie von 1000 Euro im Jahr durchgesetzt«, erklärte Quetting gegenüber junge Welt. Die Verhandlungen seien von den Beschäftigten selbst geführt worden, betonte er. »Ver.di war nur der Schutzschild.« Entscheidend sei gewesen, daß sich die Betroffenen untereinander verpflichtet hätten, im Zweifelsfall nicht auszuscheren und die Nutzung ihres Privat-Pkw tatsächlich zu verweigern.

Quetting hält diese Kampfform auch anderswo für sinnvoll. Im Saarland habe ver.di mit der Methode bereits einiges durchgesetzt: In einem Altenheim versprach die Geschäftsführung infolge eines Ultimatums die Schaffung von zweieinhalb neuen Stellen, in einem Krankenhausoperationssaal wurden überlange Schichten verkürzt. »Das Ultimatum kann eine sehr effektive Kampfform unterhalb des regulären Streiks sein, die auch in Zeiten der tariflichen Friedenspflicht möglich ist«, so Quetting.
http://www.jungewelt.de/2012/10-16/056.php

Zitat
Das Pflege-Ultimatum von Mettlach
Pflegekräfte beschlossen ein Ultimatum, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Der Arbeitgeber musste es erfüllen. Ein Beispiel, das Schule machen könnte.

Mettlach, ein kleiner Ort, dort, wo die Saar ihre berühmte Schleife dreht. Dort gibt es eine kleine DRK-Klinik, das Geriatrische Kompetenzzentrum. Dahinter verbergen sich ein Seniorenheim, Betten für eine akutgeriatrische Behandlung und eine geriatrische Rehabilitation. Und dort gibt es eine aktive ver.di-Betriebsgruppe und natürlich auch einen Betriebsrat mit ver.dianerinnen.

Die Arbeitssituation für die Pflege in der DRK-Klinik Mettlach war unerträglich geworden. Rufen aus dem Frei wurde zur Selbstverständlichkeit.Dienstpläne werden viel zu spät veröffentlicht und dann nur zu Teilen genehmigt. Man wurde während des Urlaubs zum Dienst gerufen, Doppelschichten mussten gefahren werden, die Zuständigkeiten waren nicht klar geregelt und die Überstunden häuften sich zum Berg.

Seit über einem Jahr machte die ver.di-Betriebsgruppe die Arbeitszeit­frage in der Pflege zum Thema, es gab eine Betriebsversammlung, mehrere Sitzungen der Vertrauensleute, Bemühungen des Betriebsrates, beim Arbeitgeber auf Veränderung zu drängen. ver.di startete die Aktion »Mein Frei gehört mir«. Einige sagten nun auch Nein, wenn die Pflegedienstleitung anrief. Die meisten kamen aber doch, weil die Bewohner und Patienten ja versorgt werden müssen. Wie kommt man in einer solchen Situation zu einer Lösung? Den Kolleginnen wurde der Rücken gestärkt. Lob für ihr solidarisches Verhalten knüpfte an das Berufsverständnis der Kolleginnen an und nahm die Dienstplanschreiberinnen mit ins Boot. Und man wollte das kollektive Handeln aller Pflegenden.

Und so gab es am 26. Januar vier Teilversammlungen für die Pflege und im Anschluss eine Beratung der ver.di- Gruppe. Man beschloss das Mettlacher Pflege-Ultimatum: »Mit Verlaub, auch wir Pflegende haben Rechte. Unsere Geduld ist am Ende.« So heißt es im Ultimatum. Und man sammelte in der kommenden Woche bei allen Pflegenden Unterschriften unter folgende Erklärung: »Wir lassen dem Arbeitgeber bis zum 1. Mai 2011 Zeit, die Probleme in den Griff zu bekommen. Sollte er die Zustände nicht ändern, dann werden wir ab diesem Datum nicht mehr aus dem Frei kommen, dann werden wir nicht mehr den Mangel organisieren, keine Vertretung für ausgefallene Kolleginnen und Kollegen besorgen und die Verantwortung ablehnen.«

80 Prozent der Kolleginnen unterschrieben die Verpflichtung. Gleichzeitig erklärten die anderen Beschäftigten des Hauses ihre Solidarität mittels einer eigenen Erklärung, die auch unterschrieben wurde.

Die ver.di-Betriebsgruppe ging nach einem gezielten Eskalations- und Aufklärungskonzept vor. Jede Woche gab es Flugblätter und Aufkleber, auf denen die Wochen des Ultimatums runtergezählt wurden. Alle Pflegekräfte trugen diesen Aufkleber, stets betreut von den ver.di-Vertrauensleuten. Für den 1. Mai war eine ver.di-Notgruppe in Planung. Kolleginnen anderer Häuser hätten die Versorgung der Bewohner und Patienten übernommen. Das wäre für den Arbeitgeber peinlich geworden. Und so kam es zu Verhandlungen mit dem Arbeitgeber. Die Geschäftsführer der DRK-Trägergesellschaft Südwest, Bernd Decker und Thomas Wels, kamen ausgerechnet an Weiberfastnacht aus Mainz nach Mettlach. Das Ultimatum wurde erfüllt. Der Dienstplan wird zukünftig einen Monat vor Gültigkeit – genehmigt von Arbeitgeber und Betriebsrat – rechtsgültig aushängen. Für den Pflegebereich wurde erstmals eine Mindestbesetzung für die einzelnen Schichten in den Bereichen festgelegt. Arbeitgeber und ver.di sind sich einig, dass es für das »Rufen aus dem Frei« einen materiellen Strafzoll geben wird – über die Höhe wird noch verhandelt.

Kein schlechtes Ergebnis, wie die ver.di-Vertrauensleute gemeinsam mit dem Betriebsrat feststellten und wie dies auch auf einer eiligst einberufenen Betriebsversammlung deutlich wurde. Selbstbewusste Pflegekräfte machten dort klar, dass man jederzeit wieder ein Ultimatum auflegen könnte, wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht ändern.

Michael Quetting
http://drei.verdi.de/2011/ausgabe-38/aktiv/seite-6/das-pflege-ultimatum-von-mettlach

xyu

Am 27. Juni fand in Kassel der Ratschlag ,,Pflege am Boden? Politische und gewerkschaftliche Strategien gegen den Pflegenotstand in Krankenhäusern" organisiert von der Bundestagsfraktion der Linken statt (siehe: http://www.linksfraktion.de/krankenhausratschlag )
Die Veranstaltung war recht gut besucht.
In einem Workshop war auch das Ultimatum als Arbeitskampfmittel Thema, wozu Michael Quetting, ver.di-Gewerkschaftssekretär aus Saarbrücken,  anhand mehrerer Beispiele etwas erzählte.


Teilweise kamen auch Beispiele aus den Stuttgarter und Berliner Uni-Kliniken, von denen ebenfalls Leute dort waren.

Im Folgenden ein wenig stichpunktartig Mitgeschriebenes:

- Grundprinzip ist: Arbeit nach Vorschrift führt zum Zusammenbruch des Mangel-Systems – ,,Erfolg durch Nichtstun"

Im Saarland wurde so vorgegangen:
- Situation erfassen
- konkrete Forderung benennen
- Vertrag untereinander (unterschriebene Selbstverpflichtung, das Ultimatum umzusetzen), die Unterschriften bleiben gegenüber der Leitung geheim, gehen nur an ver.di und stellen einen Auftrag an die Gewerkschaft dar, die Forderung öffentlich zu machen.
- im Restbetrieb werden Solidaritätsunterschriften gesammelt
- Aufstellen eines Eskalationsplans (z.B. erst betriebsöffentliche, dann öffentliche Aktionen...), dieser wird dem Arbeitgeber zugespielt, damit der weiß was ihn bei Nicht-Einlenken erwarten könnte
- niemand wird allein gelassen! Die KollegInnen, die unterschrieben haben bekommen eine Art Schutzbrief/ Urkunde/ Notrufkarte, auf der ist eine Telefonnr. Angegeben, wo rund um die Uhr jemand von der Gewerkschaft erreicht werden kann
(gemeint ist für die Nachtzeit dann wahrscheinlich ein AB)
- Der Betriebsrat arbeitet unterstützend im Hintergrund (z.B. Nicht-Zustimmung zu Leiharbeit, Führen von Gesprächen,...)
- weiteres Grundprinzip: es handelt sich nicht um individuell (=vereinzelt) geführte Aktionen und auch nicht um Stellvertreterpolitik – der Erfolg steht und fällt damit, dass die Leute ihren gegenseitig eingegangenen ,,Vertrag" umsetzen, um die gemeinsam beschlossene Forderung zu erreichen.
In der Charité (Uniklinik Berlin) wo es ähnliche Aktionen (genannt Notrufaktionen gab) waren teilweise größere Gruppen von Beschäftigten der betroffenen Stationen an den Gesprächen mit der Leitung beteiligt.

Beispiele:

- Mettlach (geriatrische DRK-Klinik): Hier waren die Forderungen eine Mindestbesetzung, das Aushängen des Dienstplans einen Monat im Voraus und eine zusätzliche Vergütung für das ,,Holen aus dem Frei".
Im Januar wurde das Ultimatum mit Termin 1. Mai an die Geschäftsleitung bekanntgegeben. Am 1. März gab es eine Einigung.
Siehe auch http://drei.verdi.de/2011/ausgabe-38/aktiv/seite-6/das-pflege-ultimatum-von-mettlach

- OP-Station Saarbrücken: hier war die Forderung: keine überlangen Schichten. Ebenfalls erfolgreich.
- Völklinger Krankenhaus: hier wurde die Bezahlung der Umkleidezeiten durchgesetzt.

- Fachdienst Selbstbestimmtes Wohnen (ambulanter Dienst):
Hier wurde angedroht, nicht mehr die eigenen PKW für die Arbeit zu benutzen, es wurde eine vierstelliger Zuschuss pro Jahr durchgesetzt.
Die Verhandlungen wurden in der Gruppe geführt.

-Seniorenzentrum Dimmelsbach:
Hier war die Forderung:
-mehr KollegInnen

Angedroht wurde:
-Arbeit nach Vorschrift
-keine Doku
-nicht mehr Einspringen

Ergebnis:
-Einstellung von zwei zusätzlichen Pflegekräften (bei insgesamt 50 MitarbeiterInnen)

Hier kam die Frage aus dem Publikum, ob der Verzicht auf Dokumentation nicht arbeitsrechtlich problermatisch eine Arbeitsverweigerung sei.
Die Antwort war, dass es der Vorteil sei, dass ja ver.di dazu aufrufe (ähnlich wie beim Streik) und somit die rechtliche Verantwortung übernehme und die Beschäftigten schütze. Und: ,,Wenn ich überlastet bin, kann ich ja nicht alle Tätigkeiten machen."

Ein Beispiel einer Eskalationsstrategie in der Charité:
-im ersten Schritt wurde angedroht nicht mehr einzuspringen
-im zweiten Schritt wurde angedroht, Ämter und Aufgaben (z.B. Hygienebeauftragte, Praxisanleitung,...) niederzulegen.
- Ergebnis: Erhöhung der Vollkräftezahl
Angefangen wurde hier mit einer Station, dann folgten weitere, später ein ganzes Klinikzentrum mit 6 Stationen.

Ein wichtiger Punkt in der Diskussion war noch der einstimmige Rat, dass man sich nicht auf Kostendiskussionen einlassen solle, dabei sei die Logik bei den Forderungen nach mehr Gehalt bzw. mehr Personal dieselbe, bei der Charité habe man beides nacheinander gemacht.
Charité: 2011 trotz Defizit von 56 Millionen Euro die Forderung nach 300 Euro mehr Gehalt pro Monat aufgestellt und [einen guten kompromiss] gewonnen (durch Streik).
,,Die schwarze Null ist nicht unser Ziel."
Mehr Infos zur Charité: http://www.mehr-krankenhauspersonal.de
Die Forderung nach einem Personalschlüssel von 1 PK zu 5 Patienten sei bei dem geltenden Gesetz in Kalifornien abgeschaut, das auch erst nach vielen Jahren von Arbeitskämpfen Gesetz geworden sei.

Noch eine Anmerkung: Auch wenn die in diesem Thread gebrachten Beispiele allesamt aus dem Bereich der Pflegearbeit stammen, so ist eine Wirksamkeit dieses "niedrigschwelligen" Arbeitskampfmittels  auch in ganz anderen Bereichen (und auch in anderen Organisationsformen) vorstellbar und wird sicherlich auch bereits angewendet.

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