Schottland Referendum

Begonnen von MizuNoOto, 21:54:40 Mi. 17.September 2014

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MizuNoOto

Der katalanische Seperatismus ist mittlerweile reiner Wohlstandschauvinismus. Die nationalistische CiU senkt die Unternehmenssteuern und redet ihren Wählern ein, das Geld verschwände in Andalusien. Der Vlaams Belang und die Lega Nord sind typische neurechte Parteien, die gegen Einwanderer, Asylanten hetzen.

Ich habe mir die letzten Tage viele Artikel zu Schottland durchgelesen und muss sagen: Der schottische Seperatismus ist anders.

Das schottische Parlament hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass es kaum noch Privatschulen und kein einziges privates Krankenhaus mehr in Schottland gibt. England hat den NHS privatisiert und fördert Privatschulen finanziell massiv.

Schottland hat ein öffentliches Wohnungsbauprogramm, Enlgand fördert die Immobilienspekulation mit steuerlichen Anreizen.

Schottland setzt auf erneuerbare Energien, England auf Atomkraft.

Die Unabhängigkeitsbefürworter stehen klar links der Mitte. Einer ihrer erfolgreichsten Claims: Nie wieder Maggie Thatcher!


Wenn die unabhängigkeitsbefürwortenden Schotten merken: in der Union können sie ihre Politikvorstellungen nicht durchsetzen, dann drücke ich ihnen morgen die Daumen.

Mit Nationalismus scheint das ganze kaum zu tun zu haben. Die beiden unbeliebtesten Politiker in Schottland nach Thatcher in Langzeitwerten: Tony Blair und Gordon Brown. Beides Schotten.


Der größte Witz: als das Referendum angesetzt wurde, hatte die Unabhängigkeit keine Mehrheit. Doch dann kamen in allen Zeitungen und allen Fernsehsender bekannte Unternehmer und Banker zu Wort, die den Schotten erklärten, warum eine Unabhängigkeit katastrophal sei. Das war die Angst-Kampange der britische Regierung.
Bei den noch unentschlossenen Schotten hat diese Kampagne dann tatsächlich gewirkt.

http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/sep/16/media-shafted-people-scotland-journalists?CMP=fb_gu

Rudolf Rocker

Muß ehrlich zugeben das ich davon überhaupt keinen Schimmer hatte! :-X
Wollen die Schotten eigentlich in die EU?

dagobert

Zitat von: Rudolf Rocker am 22:53:16 Mi. 17.September 2014
Muß ehrlich zugeben das ich davon überhaupt keinen Schimmer hatte! :-X
Ich auch nicht.
In der EU wären die Schotten mit dieser Politik wohl nicht besonders gut aufgehoben. Brüssel würde alles wieder kaputt machen. Privatisierung über alles.
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

Rudolf Rocker

Genau das war auch mein Gedanke!

Troll

Danke für den Beitrag!
Die allgemeinen deutschen Medien geben da nichts her, alle die eine Politik abseits der EU-Vorgaben machen und das auch noch erfolgreich, und noch schlimmer, positiv für die Bevölkerung, werden niedergemacht oder totgeschwiegen.
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

schwarzrot

Vor ein paar wochen wurde in SpOn und Taz immer mal wieder eingestreut, dass es auch um eine abstimmung gegen die, von Thatcher durchgeknüppelte, neoliberale politik geht.

ZitatGerade in der ehemaligen Labour-Stadt Dundee ist das ein wichtiger Aspekt. Sie war einst bekannt für den Schiffsbau, für den Walfang und für die Herstellung von Jute, ein blühendes Industriezentrum an der schottischen Küste. Davon ist kaum etwas geblieben, die Stadt wirbt inzwischen mit zwei großen Einkaufszentren in der Fußgängerzone. Die Menschen auf der Straße, an den Wahlkampfständen, in der Zwei-Zimmer-Wohnung: Sie reden viel von den alten Zeiten. Und dass sich etwas ändern müsse, wenn auch die Zukunft wieder golden werden soll in Dundee.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/schottland-referendum-zur-unabhaengigkeit-dundee-gilt-als-yes-city-a-992077.html

ZitatEine Liebesheirat war es nicht: Als die schottische Elite vor gut 300 Jahren für die Allianz mit England eintrat, ging das einfache Volk auf die Barrikaden. In mehreren Städten kam es zu Protestkundgebungen, eilig verhängte das schottische Parlament das Kriegsrecht, um der Lage Herr zu werden.
...
einestages: Warum können die Schotten die Engländer eigentlich nicht ausstehen?

Weber: In der Summe haben die Menschen im Land gar nichts gegen die Engländer - die Aversion richtet sich eher gegen die Zentrale London. Die Schotten treibt die archaische Angst des kleinen Bruders um, zu kurz zu kommen, ungerecht behandelt, immer wieder benachteiligt zu werden. Es herrscht ein uraltes, weit verbreitetes Gefühl, von dem großen Nachbarn im Süden über den Tisch gezogen worden zu sein.
...
Weber: Die Schotten waren militärisch schwach - und ökonomisch am Boden. Das schottische Kolonialabenteuer in Panama war gründlich gescheitert, die Elite des Landes hatte fast ihr gesamtes Vermögen verloren. Die Engländer nutzten diese Schwäche, dieses kleine Zeitfenster, geschickt aus, um das schottische Königreich an sich zu binden.

einestages: Das einfache Volk wollte die Union mit England um jeden Preis verhindern...

Weber: ...doch die Adeligen setzten sich durch: London versprach im Unionsvertrag, die finanziellen Verluste des Panama-Desasters auszugleichen. Und für die schottische Wirtschaft öffnete sich ein gewaltiger Markt. Das kleine Land profitierte von der globalen Wirtschaftsmacht des Nachbarn.
...
Weber: Eine zentrale Rolle spielen die gewaltigen Erdölfunde vor der schottischen Küste Ende der Sechzigerjahre. Plötzlich fühlten sich die Schotten stark - und finanziell in der Lage, allein klarzukommen.

einestages: Etwa zeitgleich kam Margaret Thatcher an die Macht, für viele schottische Nationalisten bis heute die Inkarnation des Bösen. Warum?

Weber: Die Politik Thatchers war eine Politik der Stärkung der Londoner City als internationaler Finanzplatz und der Ausrichtung oft an den Interessen der City, verbunden mit einer schonungslosen Deindustrialisierungspolitik. Bergwerke und Werften wurden stillgelegt, die Arbeitslosigkeit stieg. Das schürte den Groll der Schotten.

einestages: Dazu kommt ein religiös bedingter Unterschied beider Mentalitäten.

Weber: In Schottland herrscht traditionell der gemeinschaftsbezogene und in gewissem Sinne egalitäre Calvinismus vor - in England der eher individualistisch und hierarchisch geprägte anglikanische Protestantismus. Die Schotten ticken einfach anders.
...
http://www.spiegel.de/einestages/schottland-referendum-wurzeln-der-england-feindschaft-a-991717.html

Inzwischen (seit dem die YES-unabhängikeitsbefürworter über denen, der pro-London-Fraktion liegen) dominieren aber 'kommentare' und 'berichte', die die YES-seite als dumme halbstarke darstellen wollen, oder vor den 'folgen' warnen.
Ein highlight bildet dieser (saublöde) Taz-'bericht', der solche epochalen fragen klärt wie: "Würde der Schottland-Urlaub teurer werden?":

ZitatNiemand ist so naiv anzunehmen, dass man als unabhängiges Land tun und lassen könne, was man wolle. Die Restriktionen bleiben dieselben, die Macht der Märkte und des Kapitals machen auch vor einem unabhängigen Schottland nicht halt. Aber was ändert sich, wenn die Schotten ,,Yes" wählen? Hier ein paar Fragen und Antworten zu wichtigen und weniger wichtigen Folgen einer Scheidung vom Königreich.

1. Was bedeutet eigentlich Unabhängigkeit?

Der große Augenblick einer Veränderung zum Besseren wird nicht stattfinden. Aber kleinere Schritte sind durchaus möglich: Der Konflikt zwischen öffentlichem und privatem Interesse kann in andere Bahnen gelenkt werden. In einem kleinen Land wie Schottland, in dem die Armut sich ausbreitet und immer mehr Suppenküchen gebraucht werden, wären Bürgerrechte und mehr soziale Gerechtigkeit leichter einzufordern.

Geht es schief, ist allerdings niemand mehr da, dem man die Schuld geben kann. Bei vielen Schotten hat sich die Gewissheit breitgemacht, dass alles schön sein könnte, wenn der böse Nachbar einen nur ließe.

Irgendwann wird man erkennen, dass man vielleicht doch nicht so großartig ist, wie man dachte. Aber das gehört wohl zum Erwachsenwerden. Der irische Literaturnobelpreisträger William Butler Yeats drückte es einst so aus: ,,In dem Moment, in dem eine Nation ihre intellektuelle Reife erlangt, wird sie zunehmend stolz und hört auf, eitel zu sein, und wenn sie zunehmend stolz wird, versteckt sie ihre Fehler nicht."
KOTZ! Immerhin:
ZitatWelche Chancen böten sich für Schottland?

Wenn man die Energie, die aus der Anfangseuphorie nach einem Ja entspringt, dazu nutzt, etwas Neues zu schaffen, könnte es interessant werden. Expremierministerin Margaret Thatcher hat in den 1980er Jahren eine Deindustrialisierung und Hinwendung zur Privatisierung in Gang gesetzt, die vor allem Schottland, aber auch Nordengland und Wales betrafen.

Damit wurde der Zusammenschluss mit England zur Bürde. Schottland entwickelte sich immer weiter nach links, je ungleicher die Gesellschaft aufgrund der von London verfügten Kürzungen wurde. Die Labour Party setzte die neoliberale Politik und die Entfremdung nahtlos fort. Sie zog 2003 in den Golfkrieg, den 38 Prozent der Engländer, aber 65 Prozent der Schotten ablehnten. Beginnt Salmond wie versprochen mit dem Aufbau einer fairen und gerechteren Gesellschaft, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Schafft er nur einen neuen Staat nach altem Muster, kann man die Sache abhaken.
http://taz.de/Was-passiert-wenn--/!146178/
"In der bürgerlichen Gesellschaft kriegen manche Gruppen dick in die Fresse. Damit aber nicht genug, man wirft ihnen auch noch vor, dass ihr Gesicht hässlich sei." aus: Mizu no Oto

Wieder aktuell: Bertolt Brecht

Troll

ZitatSchottland stellt die Systemfrage

Heute stimmen die Schotten über ihre Zukunft ab. Dabei geht es um weit mehr als ,,nur" die Frage der formellen Unabhängigkeit. Schottland vs. Großbritannien – das ist auch die das Duell der sozialen Marktwirtschaft gegen den Neoliberalismus und schlussendlich auch das Duell zwischen einer gerechteren Gesellschaft und einem Turbokapitalismus, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Doch selbst wenn die Schotten Großbritannien ,,farewell" sagen, ist der Erfolg ihres Kampfes für Selbstbestimmung und Gerechtigkeit keinesfalls garantiert. Denn es gibt zahlreiche wichtige Detailfragen, die nach wie vor ungeklärt sind. Von Jens Berger.
....

Quelle: NDS
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Dieter Hildebrandt
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Jiddu Krishnamurti

rebelflori

Ich finde das Referendum hat ein paar intressante Ideen über die man mal diskutieren könnte. Finde voll geil das alle die in Schottland leben können, auch Wählen können. Könnte man so was nicht auch bei uns für Volksentscheide einführen?

Rudolf Rocker


schwarzrot

Die nächsten 10 jahre verloren, mit 'there is no alternative'/'alternativlos'.  kotz

Aber es wird knapper für den neokapitalismus a la Thatcher-Blair-Cameron-Merkel.
Wenn Schottland nicht so kalt,windig +regnerisch wäre, würd ich mir das mal anschauen.
Besser als hier langsam in einen Russlandfeldzug gezogen zu werden.

Rudi, tust du mir nen gefallen? Verzichte doch bitte auf 'tagesschau'/öff.propagandarundfunkverlinkungen, wenns nicht wirklich notwendig ist (abstimmungsergebnisse finden sich auch auf allen tageszeitungs-sites), sonst heisst es am ende noch, 'beitragsservice'-gelderpressung wäre ok, weil Ard/Zdf/toitschalndfunk wären ja im 'internet' und würden für die willens'bildung' benötigt.  :-*
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Kuddel

ZitatRoyalisten und der Rest der herrschenden Klasse können aufatmen. Die Unabhängigkeitsbewegung der Schotten wurde erstickt. Zwar nicht mehr wie früher mit nackter Gewalt, nein, der moderne Kapitalismus ist zivilisiert geworden. Es reicht ein Zettel bei jeder Lohnabrechnung, dass im Falle der Unabhängigkeit die Arbeitsplätze verloren gehen und ein dezenter Hinweis darauf, dass dann auch die Renten futsch sind.

Und schon steht der abhängige Bürger wieder brav auf der Seite der Macht und leckt treu das gebende Händchen.

Dass trotz der massiven Bedrohungen immerhin noch ~ 45 % für die Unabhängigkeit stimmten, ist erstaunlich.

Eine Lehre jedenfalls lässt sich aus dem Vorgang ziehen:

Ähnlich wie in Griechenland, wo ein Votum der Bürger gleich im Keim erstickt wurde, haben Demokratie und Freiheit in der EU keine Chance, solange die Mehrheit der Bürger finanziell abhängig ist.

Abhängig von wem, das ist egal. Der Staat ist nicht besser als Unternehmen, beide sind Teil des kapitalistischen Herrschaftssystems.

Erst in jeder Weise unabhängige Menschen können frei für ihre Rechte eintreten. Das zu verhindern, dafür steht die EU-Riege, das zu ermöglichen, dafür stehen alle Anarchisten und solche, die es nun endlich werden wollen ...
https://www.freitag.de/autoren/mopperkopp/das-erpresste-no

schwarzrot

ZitatFür den Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Volker Treier, ist der Ausgang des Referendums eine Erleichterung. "Deutsche und europäische Unternehmen können aufatmen", sagte er. "Es stand mehr auf dem Spiel als der Freiheitswille der Schotten."
http://www.spiegel.de/politik/ausland/schottland-referendum-live-die-entscheidung-in-grossbritannien-a-992400.html
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dagobert

Link gelöscht, da Video nicht mehr vorhanden.
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Troll

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Was stimmt in dem Bild nicht?




Zu gewinnen gibt es, wie für den Wähler: NICHTS!
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Jiddu Krishnamurti

BGS

Ich wollte es zuerst kaum glauben. Fällt mir immer noch schwer. Welch ein Betrug -plump und superdreist.

Kann mit den vorhandenen Beweisen nicht die ganze "Abstimmung" angefochten werden?!

MfG

BGS
"Ceterum censeo, Berolinensis esse delendam"

https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.1020.html#lastPost
(:DAS SINKENDE SCHIFF DEUTSCHLAND ENDGÜLTIG VERLASSEN!)

Rudolf Rocker

Ich bin mir nicht ganz sicher, vermute aber das die Behauptung, das bei der Wahl betrogen wurde, nichts anderes als pure Verschwörungstheorie ist. (Mit ein paar schönen gefakten Bildern und Videos.)

Jedenfalls finde ich zu diesem Thema nur etwas auf Verschwörungsseiten aber nicht auf der Referendums- Homepage. Schon merkwürdig, oder?

BGS

In der Tat merkwürdig. Da sieht man mal wieder, daß sich verwirrte Verschwörungstheoretiker allerorten quasi jedes Themas zu bemächtigen versuchen.

Gruselig.

MfG

BGS
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https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.1020.html#lastPost
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Troll

Gibt es überhaupt eine Wahl wo nicht irgend jemand der Unterlegenen Partei oder deren Anhänger Wahlbetrug schreit? Und das Internet ist der perfekte Ort dafür.
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Dieter Hildebrandt
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schwarzrot

Cameron verarscht sie alle:

ZitatDebatte Referendum in Schottland
Eine Frage der Demografie

Geschickt hat der britische Premier Cameron die Schotten ausgetrickst. Gerade für die Jüngeren ist die Frage der Abspaltung deshalb noch nicht abgehakt.


Bereits am Freitagmorgen dämmerte es vielen Schotten, dass sie wieder mal hereingelegt worden waren. Vor dem Referendum über Schottlands Unabhängigkeit am Donnerstag versprachen die Parteichefs der Tories, Liberaldemokraten und der Labour Party vollmundig ,,devo max" – also die größtmögliche Übertragung der Macht auf das Regionalparlament in Edinburgh. Deshalb sagten 55 Prozent der Schotten Nein zur Unabhängigkeit.

Prompt modifizierte der britische Premierminister David Cameron seine Zusage: Weitere Selbstbestimmungsrechte für Schottland kämen nur im Rahmen einer Reform des Wahlsystems in Westminster infrage. Wenn die Schotten mehr Macht wollen, sollen ihre Unterhaus-Abgeordneten nicht mehr bei Themen mitreden dürfen, die England betreffen.

Damit hat Cameron die schottische Debatte flugs zu einem britischen Wahlkampfthema gegen die Labour Party umgebogen. Labour-Chef Ed Miliband kann diesen Vorschlag nicht annehmen, das weiß auch Cameron. Sollte Labour überhaupt die britischen Parlamentswahlen im Mai gewinnen, dann nur knapp – darauf deuten jedenfalls die Meinungsumfragen hin. In dem Fall wäre die Partei im Unterhaus auf ihre schottischen und walisischen Abgeordneten angewiesen. Dürften die bei englischen Themen nicht mehr mitstimmen, könnte Miliband sein Kabinett auf einen Außen- und einen Verteidigungsminister beschränken. Alle anderen Bereiche würden entweder von den Regionalparlamenten in Edinburgh, Cardiff und Belfast entschieden oder – bei englischen Themen – von den Tories, die im Unterhaus die Mehrheit hätten.

Wie soll man jetzt noch eine Übereinkunft finden zwischen den verschiedenen Protagonisten, die allesamt völlig unterschiedliche Interessen haben? Immerhin geht es ja um das Fortbestehen des Vereinigten Königreichs und die Form, die es haben soll. Der Streit zwischen Cameron und Miliband dominierte am Wochenende die Berichterstattung, Schottland war da längst in den Hintergrund getreten. Miliband monierte, dass Cameron es riskiere, die ,,Koalition für das Vereinigte Königreich", die das Referendum in Schottland gewonnen hatte, geradewegs wieder zu zerstören.
Ressentiments gegen Schotten

Es ist erbärmlich, wie schnell Cameron vor seinen rechten Hinterbänklern eingeknickt ist. Die wiederum treibt die Angst vor dem Rechtsaußen Nigel Farage von der United Kingdom Independence Party (Ukip). Der bestimmt nun die Agenda, denn er schürt die englischen Ressentiments gegen weitere Selbstbestimmungsrechte und mehr Geld für die Schotten.

Cameron agiert, als ob es das Recht der Tories wäre, die (ungeschriebene) britische Verfassung nach eigenem Gutdünken zurechtzubiegen und den Staat im Interesse einer einzigen Partei zu organisieren. Für die Absicht, sein Versprechen an die Schotten plötzlich mit der Bedingung zu verknüpfen, dass die schottischen Unterhausabgeordneten zu Parlamentarieren zweiter Klasse degradiert werden, gibt es einen Begriff: Gerrymandering.

Der Name kommt von Elridge Gerry, dem ehemaligen Gouverneur von Massachusetts, der 1812 die Wahlkreise in einer Weise einteilte, die einem Wahlbetrug gleichkam. Der Wahlkreis Essex im Nordosten des US-amerikanischen Staates sah schließlich wie ein Salamander aus, deshalb hieß Gerrys Gaunertrick zunächst ,,Salamandering". Das geprellte Stimmvieh meinte jedoch, dass dem Gouverneur für diese Unverschämtheit ein Denkmal gesetzt werden müsse, und fortan hieß eine solche Praxis Gerrymandering.

Der ,,Liebesbrief" von 215 prominenten Engländern, der die Schotten zum Verbleib im Vereinigten Königreich bewegen sollte, war ebenfalls eine zynische und egoistische Aktion. Der Brief ist von Dan Snow initiiert worden, dessen Stiefvater fast 400 Quadratkilometer Land in Schottland besitzt. Camerons Stiefschwiegervater besitzt ebenfalls große Ländereien in Schottland. Keiner der Unterzeichner hatte sich früher um Schottland gekümmert.
Das Problem von Labour

Die Labour Party hat sich mit ihrem Engagement gegen die Unabhängigkeit keinen Gefallen getan. Sie hat sich vor Camerons Karren spannen lassen, weil die Tories in Schottland so verhasst sind, dass eine Einmischung der Ja-Seite Zulauf verschafft hätte. Nun steht man da wie ein begossener Pudel. Es fällt auch auf Labour zurück, dass die Zusagen nicht eingehalten werden. Darüber hinaus macht es bei den englischen Wählern einen schlechten Eindruck, wenn die Partei gegen englisches Selbstbestimmungsrecht argumentiert. Das hat Cameron glänzend hinbekommen.

Doch dieser ,,föderale Ansatz" kann nicht funktionieren, wenn ein Teil 85 Prozent des Landes ausmacht und die restlichen 15 Prozent auf die anderen drei Teile verteilt sind, zumal ja England keine homogene Einheit, sondern ein extrem zentralisierter Staat ist: Es gibt London und den reichen Südosten, und es gibt den durch Deindustrialisierung, Privatisierung und niedrige Löhne gebeutelten Norden.

Die Anhänger der schottischen Unabhängigkeit haben zwar das Referendum verloren, aber dank Camerons Taktiererei ist das Thema keineswegs ,,für eine Generation abgehakt", wie sich der britische Premierminister zunächst gefreut hatte.
Tausende treten der SNP bei

Es ist einerseits eine demografische Frage, denn die Generation über 65 hat mit deutlicher Mehrheit gegen die Unabhängigkeit gestimmt, doch darüber hinaus hat die SNP (Scottish National Party) – früher eine kleine nationalistische Partei – es geschafft, zu einem Sammelbecken progressiver Kräfte zu werden und auch Immigranten anzulocken. Das ist Labour schon lange nicht mehr gelungen.

Nach dem Referendum schoss die Mitgliederzahl der SNP in die Höhe: Am Wochenende traten fast 10.000 neue Mitglieder in die Partei ein, insgesamt sind es nun gut 35.000. Auch die Grünen und die Socialist Party, die ebenfalls für die Unabhängigkeit eintraten, verzeichneten erheblichen Zulauf. Das Interesse an Politik und der Wunsch nach Unabhängigkeit sind also keineswegs abgeebbt – im Gegenteil. Wenn morgen noch mal gewählt würde, ginge das Referendum dank der gebrochenen Versprechen durch.
http://taz.de/Debatte-Referendum-in-Schottland/!146472/
"In der bürgerlichen Gesellschaft kriegen manche Gruppen dick in die Fresse. Damit aber nicht genug, man wirft ihnen auch noch vor, dass ihr Gesicht hässlich sei." aus: Mizu no Oto

Wieder aktuell: Bertolt Brecht

Rudolf Rocker

Das hätte ich denen auch schon vorher sagen können! >:(

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