Hartz IV-Mietobergrenzen verfassungswidrig?

Begonnen von dagobert, 17:08:37 Sa. 03.Januar 2015

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dagobert

Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht wegen "Mietobergrenzen" für "Hartz-IV"-Bezieher

Das Sozialgericht Mainz hat mit Beschluss (Az. S 3 AS 130/14) ein Verfahren zu den sogenannten Mietobergrenzen bei Hartz IV ausgesetzt. Die Sozialrichter halten § 22 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II für verfassungswidrig und hat die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt.

Damit ist jetzt eine Entscheidung des BVerfG zu der Frage zu erwarten, ob die Regelung der § 22 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II ("soweit diese angemessen sind") vor dem Hintergrund des Karlsruher Hartz-IV-Urteils vom 9.2.2010 noch als mit der Verfassung vereinbar gelten kann (vgl. unsere Verfassungsbeschwerden vom 3.3.2014, anhängig unter 1 BvR 617/14 und vom 3.4.2014, anhängig unter 1 BvR 944/14).
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

Hochseefischer

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das BVerG zu dem Schluss kommt, dass der  § 22 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II ("soweit diese angemessen sind") vom Gesetzgeber zu streichen ist. Denn dann würde ja das hier übrig bleiben im § 22 Abs. 1 Satz 1:

ZitatBedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt.

Das würde ja bedeuten, dass jede x-beliebige Höhe der KdU übernommen werden müsste. Miete ich mir also als Einzelperson vor dem Bezug von ALG II ne Villa in einer noblen Gegend an - das JC müsste dann die kompletten Villa-KdU übernehmen? Nee, dazu wird es nicht kommen.

Was aber könnte das BVerG dem Gesetzgeber als neu zu schaffende Regelung im § 22 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II aufgeben?

Rudolf Rocker


Hochseefischer

Zitat von: Rudolf Rocker am 11:08:11 So. 04.Januar 2015
Vielleicht den Mietspiegel?

Hm. Ist doch richtig, dass nicht jede Kommune einen Mietspiegel hat, oder? Dann müsste jede Kommune verpflichtet werden so einen Mietspiegel zu erstellen, und würde das nicht wieder Anlass zu Manipulationen geben durch die lokalen Behörden, zu Lasten der ALG-II-Anspruchsberechtigten?

Außerdem gibt es da noch den § 22a SGB II ("Satzungsermächtigung"). Sein erster Satz im 1. Absatz lautet:

ZitatDie Länder können die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz ermächtigen oder verpflichten, durch Satzung zu bestimmen, in welcher Höhe Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet angemessen sind.

http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__22a.html

Falls die Mietspiegel-Thematik in den § 22 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II einfließen würde, dann müsste auch der oben genannte § 22a SGB II ("Satzungsermächtigung") modifiziert bzw. abgeschafft werden.

dagobert

Zitat von: dagobert am 17:08:37 Sa. 03.Januar 2015
Hartz IV-Mietobergrenzen verfassungswidrig?
Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht wegen "Mietobergrenzen" für "Hartz-IV"-Bezieher
Dazu gibt's hier im Forum noch mehr:
http://www.chefduzen.de/index.php?topic=28545.0
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

dagobert

Zitat von: dagobert am 17:08:37 Sa. 03.Januar 2015
Damit ist jetzt eine Entscheidung des BVerfG zu der Frage zu erwarten, ob die Regelung der § 22 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II ("soweit diese angemessen sind") vor dem Hintergrund des Karlsruher Hartz-IV-Urteils vom 9.2.2010 noch als mit der Verfassung vereinbar gelten kann (vgl. unsere Verfassungsbeschwerden vom 3.3.2014, anhängig unter 1 BvR 617/14 und vom 3.4.2014, anhängig unter 1 BvR 944/14).
:-X
ZitatWesentliche Erwägungen der Kammer:

1. Die mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen einer Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II greifen nicht durch. Die Regelung genügt der Pflicht des Gesetzgebers, einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen.

a) Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleistet das gesamte menschenwürdige Existenzminimum, zu dessen Sicherung auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu decken sind. Das Grundgesetz gibt keinen exakt bezifferten Anspruch auf Sozialleistungen vor. Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss aber durch ein Gesetz gesichert sein, das einen konkreten Leistungsanspruch enthält.

b) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung normiert hat. Zwar betrifft diese Bedarfsposition die grundlegende Lebenssituation eines Menschen. Doch ergibt sich daraus nicht, dass auch jedwede Unterkunft im Falle einer Bedürftigkeit staatlich zu finanzieren und Mietkosten unbegrenzt zu erstatten wären.

c) Der Gesetzgeber durfte den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit verwenden, um die Kostenübernahme für Unterkunft und Heizung zu begrenzen. Was hier als ,,angemessen" zu verstehen ist, lässt sich durch Auslegung und insbesondere unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und der weiteren Regelungen des Sozialgesetzbuches ausreichend bestimmen. Danach ist der konkrete Bedarf der Leistungsberechtigten einzelfallbezogen zu ermitteln. Dabei gehen die Fachgerichte davon aus, dass anhand der im unteren Preissegment für vergleichbare Wohnungen am Wohnort der Leistungsberechtigten marktüblichen Wohnungsmieten ermittelt werden kann, welche Kosten konkret angemessen sind und übernommen werden müssen.

2. Mit separatem Beschluss hat die Kammer festgestellt, dass die Vorlagen des Sozialgerichts Mainz unzulässig sind. Es fehlte eine hinreichende Darlegung durch das vorlegende Gericht, dass und wie die Anspruchsgrundlage ausgelegt werden kann, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu entsprechen.
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-096.html

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rk20171010_1bvr061714.html
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/lk20171006_1bvl000215.html
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Thomas Mann, 1936

dagobert

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Onkel Tom

Zitat aus dem Link :

Zitat
...
»Die Beschwerdeführerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie bewohnt alleine eine 77 qm große Wohnung, für die das Jobcenter die Miet- und Heizkosten zunächst vollständig und seit 2008 nur teilweise übernahm. Ihre Klage auf vollständige Kostenübernahme wies das Sozialgericht ab; Berufung und Revision blieben erfolglos. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde trägt sie vor, in ihrem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt zu sein.
...

Nach dieser Bestandsaufnahme her, konnte es ja auch nicht funzen, die Grenzen
von "Angemessenheit" zu knacken, zumal schon laaange vor H4 die Wohnfläche
für eine Einzelperson auf maximal 45 Quadratmeter begrenzt wurde,

Klaro, das Wohnungen mit "Hartz-4-Kompatibelität" gerade in den Ballungsgebieten
nicht meht zu finden sind, aber muss ausgerechnet jemand klagen, wo es offensichtlich
ist, das dessen Wohnfläche 45 qm übersteigt ?

Hand vor der Stirn klatsch  :P
Lass Dich nicht verhartzen !

counselor

Genau das ist das Problem: Es gibt zu wenig kleine preisgünstige Wohnungen. Eine Folge Merkelscher Politik, wonach der Markt es schon richten wird.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

dagobert

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Thomas Mann, 1936

dagobert

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Thomas Mann, 1936

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