ZEIT.DE Lidl Duzen und Dissen

Begonnen von vinci, 08:24:17 Mo. 04.Juli 2016

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

vinci

Passt ja gut zum Namen dieses Forums:

http://www.zeit.de/karriere/beruf/2016-06/lidl-duzen-chef-mitarbeiter-hierarchie/komplettansicht

Immer mehr Konzerne führen das Duzen ein. Das mag lockerflockig wirken, doch ein Personalpronomen kann nicht das Machtgefälle zwischen Managern und Lohnarbeiter einebnen.
Von Patrick Spät

"Ich kann mich nicht erinnern, jemals mit Ihnen Schweine gehütet zu haben." Bis in die 1960er Jahre war diese Redewendung noch geläufig: als empörte Antwort auf unerwünschtes Duzen. Dass Klaus Gehrig mit jedem seiner 375.000 Mitarbeiter schon mal Schweine gehütet hat, ist eher fraglich. Gehrig leitet die Schwarz-Gruppe und ist Aufsichtsratschef von Lidl und Kaufland. Angetan vom Tages-Du beim Golfspielen wollte Gehrig auch außerhalb des Grüns nicht mehr zum Sie zurückkehren. Deshalb erließ er nun quasi per Dekret das unternehmensweite Du.

In der Schwarz-Gruppe dürfen sich ab sofort alle untereinander duzen, egal ob Chef oder Kassiererin. Dürfen ist natürlich zu viel gesagt. Denn Klaus, äh, Herr Gehrig sieht die Sache so: "Es gibt keinen Zwang. Aber klar ist: Wer sich nicht duzt, isoliert sich. Das sind nicht die Leute, die wir brauchen." Also doch Zwang. Wer sich das Du verbittet, ist bei der Schwarz-Gruppe unerwünscht und wird den Druck der Chefs spüren. Neben den altbekannten Leistungszwang gesellt sich nun der Kumpelzwang. Versendet Gehrig bald an alle seine Mitarbeiter eine Freundschaftsanfrage auf Facebook?

Klar, deutsche Manager sind alles andere als fresh und wollen auch mal Mark Zuckerberg spielen. Und schließlich plant Lidl, 2018 in die USA zu expandieren. Da will man vielleicht mit dem Silicon Valley mithalten und sich lockerflockig duzen. Abgesehen davon ist das englische Du im Geschäftsleben dem Pluralis Majestatis entlehnt, die Menschen sprechen sich also mit einem "Ihr" in der 2. Person Plural an – mit dem deutschen Du ist das nur bedingt vergleichbar.

An sich ist das Du ja eine gute Sache: In einer Welt voll gespielter Wichtigtuerei erdet es alle ein bisschen. In kleineren NGOs und Start-ups gehört das Duzen zum guten Ton – und passt dort auch meistens. Klarerweise duzen sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kleinen Landwirtschafts- oder Handwerksbetrieben. Und auch bei Lidl werden sich einige Lohnarbeiter bestimmt schon seit Jahren duzen – obwohl private Kontakte unter den Beschäftigten bei Lidl ja unerwünscht sind. Wenn sich Kollegen mögen, steht einem Du natürlich nichts im Weg.
Problematisch ist etwas anderes: Die Schwarz-Gruppe ist ein streng hierarchischer Großkonzern mit über 85 Milliarden Euro Jahresumsatz. Betritt man das Foyer der Neckarsulmer Firmenzentrale, erblickt man in großen Lettern ein Zitat von Oliver Cromwell, der als englischer Feldherr den halben Erdball unterjochte: "Wer aufhört, besser zu sein, hört auf, gut zu sein."
Das Du für die Lohnsklaven

Der viertgrößte Lebensmittelhändler der Welt ist bekannt für seine Kommandostrukturen und feuerte in den letzten eineinhalb Jahren sechs widerspenstige Vorstände und einige Regalauffüller und Kassierer mehr, weil sie einen Betriebsrat gründen wollten. Das mag die Schwarz-Gruppe nämlich gar nicht: mündige und kritische Mitarbeiter, die sich gewerkschaftlich organisieren oder ihre Rechte einfordern. Deshalb wurden sie systematisch mit Überwachungskameras ausspioniert. Von Toilettengängen bis hin zu den Krankheitsgründen haben Lidl und Kaufland alles so penibel protokolliert, dass sogar der BND erblassen würde.

Im Jahr 2004 bekam die Schwarz-Gruppe den Big Brother Award für seinen "nahezu sklavenhalterischen Umgang" mit den Beschäftigten.

Dieser Konzern also bietet seinen Lohnsklaven jetzt das Du an. Aber ein simples Personalpronomen ist nun mal kein Ersatz für Arbeitsrechte und eine gerechte Bezahlung – da bleibt nämlich alles beim Alten: Die Kassiererinnen bekommen für ihre stressige und monotone Tätigkeit 11,50 Euro brutto, Klaus Gehrig und die anderen Vorstände jedoch einige Millionen pro Jahr.

Bereits im März 2016 hat der Vorstand der Otto-Group seinen 53.000 Beschäftigten das Du angeboten. Vorstandschef Hans-Otto Schrader sieht darin "eine Art Startschuss für unser Projekt Kulturwandel 4.0". Da bleibt einem ja die Spucke weg bei so viel Esprit. Ein "Kulturwandel" wäre es vielleicht, wenn die Otto-Group alle Lohnarbeiterinnen zu Miteigentümern erklärt und aus dem Konzern einen basisdemokratischen Kollektivbetrieb macht.

Natürlich verfolgen Großkonzerne, die das Du einführen, eine Strategie. Die Linguistin Elisabeth Wehling geht davon aus, "dass man sich durch soziale Inklusion – wie sie auch durch das Duzen entsteht – physisch wärmer und wohliger fühlt. Die Sprache geht direkt ins Gehirn und ändert unser körperliches Befinden. Und auch das Sozialverhalten unterliegt dem Diktat der Sprache: Wer täglich 'Du' anstatt 'Sie' sagt, der wird sich, ob er will oder nicht, seinen Kollegen und Chefs verbundener fühlen – und so handeln".

Angesichts dieser Strategie wundert es nicht, dass uns mittlerweile nicht nur der Möbelkonzern Ikea duzt, sondern selbst der Staat: "Grünzeug ist auch gesund für deine Karriere", heißt es in einem Werbespruch der Bundeswehr. Angela Merkel gestattet nur fünf Ministern ihrer Partei das Du. Und sie käme nie auf die Idee, die Bürgerinnen und Bürger zu duzen. Aber sie duzt penetrant erwachsene Flüchtlinge. Merkel schafft dadurch, bewusst oder unbewusst, ein Machtgefälle: ich Bundeskanzlerin, du hilfesuchender Asylbewerber. Damit verkindlicht Merkel die geflüchteten Menschen – sie redet nicht auf Augenhöhe mit ihnen, sondern schaut auf sie herab. Dasselbe passiert in einem Großkonzern, in dem per Dekret das Duzen eingeführt wird: Die Beschäftigten werden nicht für voll genommen.

Das unehrliche, kumpelhafte Du

"Wir unterstützen und fördern unsere Mitarbeiter in ihrer fachlichen und persönlichen Entwicklung", heißt es auf der Firmenseite von Lidl.

Doch die Lohnarbeiter verlieren, nach der Überwachungsorgie von Lidl und Kaufland, einen weiteren Schutzraum des Respekts: die imaginäre Grenzlinie des förmlichen Siezens. Überschreitet der Chef per selbst erlassenem Dekret diese Linie, wird das Duzen zum Dissen: Seit 2000 steht "dissen", das vom englischen disrespect kommt, im Duden. Es heißt so viel wie "herabwürdigen" und "respektlos behandeln".

Ein Personalpronomen kann nicht übertünchen, dass die Machtverhältnisse zementiert bleiben. Im Arbeitsalltag ist es ungleich schwieriger, mit dem Chef auf Augenhöhe zu diskutieren, wenn man sich duzt. Jeder Widerstand verfängt sich im Plüsch der Pseudofamilienatmosphäre und verpufft. Kündigungen und kritische Gespräche im Betrieb verlangen nach einem distanzierten Sie und nicht nach einem kumpelhaften Du, dessen Unehrlichkeit ohnehin allen klar ist. Schließlich empfinden die meisten Arbeitnehmer hierzulande eine große Distanz zu ihren Chefs und Betrieben, wie eine Gallup-Studie zeigt: "Fast ein Viertel (24 Prozent) der Beschäftigten in Deutschland hat innerlich bereits gekündigt. 61 Prozent machen Dienst nach Vorschrift. Nur 15 Prozent der Mitarbeiter haben eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber und sind bereit, sich freiwillig für dessen Ziele einzusetzen."

Das Problem des Duzens verläuft natürlich zweigleisig: Es geht nicht nur darum, dass die Lohnarbeiter sich das Du des Chefs verbitten. Umgekehrt wollen auch viele gar nicht ihren Chef duzen. Sie reden ja nicht mit dem besten Freund über die Fußballergebnisse – sie diskutieren mit ihrem Chef über Arbeitsaufträge und führen Gehaltsverhandlungen.

Von Gleichwertigkeit kann nicht die Rede sein

Im Mittelalter war es unter den Bauern, Handwerkern und Händlern – also unter 90 Prozent der Bevölkerung – gängig, sich gegenseitig zu duzen, auch unter Fremden. Das Sie kam vom Adel, der sich vom Pöbel distanzieren wollte. Noch im 19. Jahrhundert wetterte Jacob Grimm gegen die "schwüle Luft galanter Höflichkeit", die das mittelalterliche Du abgelöst hatte. Erntehelfer oder Hausangestellte wurden bis in die Nachkriegszeit von ihren Vorgesetzten geduzt, mussten aber zurücksiezen. Dieses Ungleichgewicht ist heutzutage immerhin fast verschwunden: Zwar gibt es auch in der Schule eine merkwürdige Konstellation aus Kindern, die ihre Lehrer siezen und zurückgeduzt werden, doch zumindest auf geschäftlicher Ebene herrschte bislang das Sie vor. Zu Recht.

Das Siezen passt zum Kapitalismus, denn es symbolisiert den Graben zwischen Lohnarbeitern und Chefs, zwischen Besitzlosen und Profiteuren. Diesen unüberwindbaren Graben vordergründig zu verwässern, ist falsch. Es geht beim Sie um mehr als nur Manieren. Denn egal ob mürrischer Chef der alten Schule oder Kumpelchef der New Economy: Wer die Fabrik oder das Büro kontrolliert, der kontrolliert auch die Menschen. Daran ändert kein "Kulturwandel 4.0" etwas. Die Großkonzerne hüllen sich in Plüsch und stellen Kickertische in den Pausenräumen auf, bieten Vertrauenszeit an, bewerben ihre angeblich flachen Hierarchien und führen das Du ein. Doch hinter der Fassade sind sie immer noch stachlig. Und deshalb ist das Du ein Diss.

Troll

Dieses Zwangsduzen war schon immer fürn Arsch, es bessert sich dadurch rein gar nichts, ich wollte meine diversen Chefs gar nicht duzen, es gab relativ Symphatische als auch Arschlöcher darunter, ein "du" hätte nichts geändert.
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

Rudolf Rocker

1."Du blödes Arschloch!"
2."Sie blödes Arschloch!"
Was hört sich besser an?
Stimmen Sie ab und gewinnen sie ein Arbeitslos der MLPD- Klassenkampflotterie! ;D

PaulaLina

Also ich finde das Duzen so ne Sache ist!
Momentan scheint es super modern zu sein und immer nicht weit vom Thema "Flache Hierarchien" entfernt  ;D
Meiner Meinung nach kommt das ganz auf den Chef an, ist er nett Duze ich ihn gerne. Ist er es aber nicht, möchte ich doch gerne eine gewissen Distanz wahren und lieber beim Sie bleiben.

Aber wie reagiert man denn eigentlich wenn einem der Chef das Du anbietet und man da eigentlich gar keine Lust drauf hat?

Rudolf Rocker

Moin PaulaLina!
In meiner Branche arbeitet man häufig in relativ kleinen Firmen, in denen der Chef manchmal auch selbst noch mitarbeitet. Das macht das Betriebsklima automatisch ziemlich familiär.
Das "Du" wird einem meistens schon beim Vorstellungsgespräch angeboten und scheint so eine Art "Vertrauensvorschuss" zu sein. Ich hab das bisher immer so akzeptiert, weil ich es auch gar nicht anders kenne.
Der Umgangston ist generell sehr rauh. Daher würde ein "Sie" irgendwie auch nicht ins Bild passen.


Was ich sagen wollte: Man muss wohl schauen, wie das im gesamten Arbeitsumfeld aussieht. In größeren Firmen dürfte das anders sein. Meine Schwester z.B. hat Kollegen die sie duzt und Kollegen die gesiezt werden möchten.

Aber wir sind ja hier bei ChefDUZEN.de! ;D

  • Chefduzen Spendenbutton