70 Jahre JUNGE WELT - Zeitung mit Perspektive!

Begonnen von Rappelkistenrebell, 09:58:46 So. 12.Februar 2017

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Rappelkistenrebell

Aus: Ausgabe vom 11.02.2017, Seite 1 / Titel

Zeitung mit Perspektive
Die junge Welt wird es noch lange geben. Weil sie in Zeiten von Krise und Krieg immer offensichtlicher gebraucht wird



junge-Welt-Titelseiten aus sieben Jahrzehnten
Foto: Montage: jW

Da ist sie also immer noch. Oft totgesagt, von ihren Eigentümern nach 1990 mehrfach in die Pleite geritten, mit liebenswürdigen Vokabeln wie »Dreckspack« (ein bayerischer Innenminister, den keiner mehr kennt) oder wahlweise »stalinistisch/trotzkistisch«, »nationalbolschewistisch/antideutsch«, »terroristisch/revisionistisch/sektiererisch/Querfront/prinzipienlos« bedacht. Nach den Maßstäben der Zeitungsbranche ein Blatt ohne Geld, ohne Personal, ohne Zukunft.

Warum die junge Welt offenbar unbankrottbar weitermacht, erfahren Sie in unserer Beilage zum 70. Geburtstag der Zeitung am 12. Februar. Wir dokumentieren das Geleitwort Erich Honeckers zur ersten Ausgabe, Armin Lufer erinnert sich an die frühe Junge Welt, Andreas Hüllinghorst skizziert die heutigen Perspektiven des Verlages 8. Mai, Stefan Huth geht den Berliner Adressen der Zeitung nach, Dietmar Koschmieder legt ihre heutige wirtschaftliche Situation dar, Frank Schumann schildert seine Arbeit in der Redaktion zu DDR-Zeiten, Peter Steiniger befasst sich mit dem jW-Internetauftritt, Arnold Schölzel nimmt den einschlägigen Wikipedia-Artikel unter die Lupe.

Das Fazit: Es wird diese Zeitung noch lange geben. Weil sie angesichts von Krise und Krieg immer offensichtlicher gebraucht wird.

Quelle

https://www.jungewelt.de/2017/02-11/013.php

Aus: Ausgabe vom 11.02.2017, Seite 16 / Aktion

Ja, die gibt's noch!
70 Jahre junge Welt sind 70 gute Gründe, die Präsenz der Zeitung im Einzelhandel auszubauen. Mit Ihrer Hilfe!


Frau Herrmann mit dem jW-Aktionspaket für ihren Kiosk in Berlin
Foto: Sabine Milow
Die ökonomisch entscheidende Größe für die weitere Entwicklung der Tageszeitung junge Welt sind Aboeinnahmen: Vor allem über sie decken wir die hohen Kosten, die nun mal mit der Herstellung und dem Vertrieb einer Zeitung verbunden sind. Aber wie gewinnen wir möglichst viele Abonnenten? Es kommt vor, dass eine zugesteckte Zeitung bei einer Verteilaktion oder das dreiwöchige kostenlose und unverbindliche Probeabo so überzeugen, dass der Leser, die Leserin sofort abonniert. Aber meistens lenken wir durch solche Aktivitäten erst einmal Aufmerksamkeit auf unsere Zeitung – das Abo kommt später. Um so wichtiger ist es, dass die junge Welt in möglichst vielen Einzelhandelsgeschäften präsent ist. So reißt der Kontakt nicht ab. Und noch einen entscheidenden Vorteil bietet der Einzelhandel: Hier erreichen wir viele Menschen, die erst bei ihrem Zeitungshändler mitbekommen, dass es die junge Welt überhaupt gibt! Unsere aktuelle Kampagne »Dein Abo zur rechten Zeit« wendet sich auch an diese Kioskleser mit der Bitte, ein Abo abzuschließen. Damit das weiterhin und immer besser funktioniert, legen wir großen Wert darauf, gemeinsam mit dem Einzelhandel neue Kioskkunden zu gewinnen.

Deshalb nehmen wir unseren 70. Geburtstag zum Anlass, um mit einer Kampagne möglichst viele Menschen anzuregen, sich eine junge Welt am Kiosk zu kaufen! Das können jW-Leser sein, die bisher nur die jW-Onlineausgabe nutzen und die wir davon überzeugen wollen, dass es gelegentlich Laune macht, die Zeitung gedruckt in Händen zu halten. Mit der Aktion sprechen wir vor allem in den neuen Bundesländern jene an, die die junge Welt noch von früher kennen. »Was, die gibt's noch?« bekommen wir häufig zu hören, viele Menschen im Osten verbindet etwas mit der jungen Welt, immerhin war sie die auflagenstärkste Tageszeitung der DDR.

Und deshalb haben wir gemeinsam mit Pressegroßhändlern, die für die zuverlässige Auslieferung der Presseprodukte zuständig sind, vielen Einzelhändlern in den neuen Bundesländern ein Paket mit Werbematerial zur Verfügung gestellt: Da sind Kalender mit unterschiedlichen Titelseiten aus den letzten 70 Jahren dabei, Plakate, Aufkleber und Aufsteller. Und weil wir wissen, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass die Einzelhändler eine kleine linke Zeitung unterstützen, haben wir uns bei vielen von ihnen mit einer Flasche Rotkäppchen-Sekt bedankt. Der Verkauf wird zudem durch Radiospots, Plakatwerbung und unsere Artikelserie »Was blüht im Osten?« angekurbelt. Und bei diesen Aktivitäten können uns nun unsere Leserinnen und Leser gerne unterstützen: Schauen Sie sich doch mal in Ihrem Wohn- und Arbeitsbereich um, ob da die junge Welt schon ausliegt. Bitten Sie den Einzelhändler gegebenenfalls, die junge Welt ins Angebot aufzunehmen. Damit die Nachbarn mitbekommen, dass es die junge Welt auch in ihrem Kiez gibt, können Sie bei uns ein Aktionspaket bestellen und das Material in Kneipen, Treffpunkten usw. verteilen. Nutzen Sie den nebenstehenden Coupon. Zusammen werden wir die Erfolgsgeschichte junge Welt fortsetzen!

Quelle

https://www.jungewelt.de/2017/02-11/076.php

Aus: Ausgabe vom 11.02.2017, Seite 2 / Inland
»Die junge Welt ist meine Zeitung«
Die LPG junge Welt eG begrüßt den 2000. Genossen, der mithilft, unsere finanzielle Basis zu sichern. Ein Gespräch mit Bernd Stiller
Interview: Claudia Wrobel



Glückwunsch Herr Stiller, Sie sind der 2.000. Genosse der LPG junge Welt eG. Wie kam es dazu, dass Sie sich entschieden haben, einzutreten?

Ich lese die junge Welt mittlerweile seit drei Jahrzehnten, vielleicht auch schon seit vier. Vom inhaltlichen Angebot ist sie genau das, was meinem Seelenleben entspricht. Insofern ist das Abo, das ehrlich gesagt finanziell ja auch nicht ohne ist jeden Monat, die eine Sache. Aber ich wünsche mir sehr, dass die junge Welt auf dem deutschen Zeitungsmarkt vertreten bleibt. Und mir ist klar, dass das ein täglicher, monatlicher, jährlicher Kampf ist. Seitdem ich beruflich mal wieder eine Projektstelle erwischt habe und es mir deshalb nun leisten kann, war für mich klar, die junge Welt mit einem Genossenschaftsanteil zu unterstützen. Erst mal mit dem ersten, alles andere sehen wir dann nächstes Jahr.

Solche Ankündigungen freuen uns natürlich ganz besonders.

Von meiner Frau kam zu dem Thema weitere Genossenschaftsanteile nur eine Frage: »Warum bekommst nur du welche? Warum ich nicht auch einen?« Ist ja auch unser gemeinsames Geld.

Wie haben Sie in all den Jahren die Veränderungen der Zeitung erlebt?

Auch vor 1990 war die junge Welt ein Versuch, vor allem die Jugend anzusprechen. Sie war immer ein bisschen anders. Dass sie sich nicht ganz von den Umständen frei machen konnte – wer will ihr das nachtragen? Ansonsten gibt es an den heutigen Umständen genug zu kritisieren und das nicht mit dem Geschrei, auf das man zunehmend trifft, sondern mit Hintergrundinformationen, mit Analysen, auch mit einem Schuss Humor. Ich lese zum Beispiel gerne die Texte von Wiglaf Droste. Und morgens als erstes immer den jeweiligen Mann oder die Frau oder den Trump des Tages auf Seite 8. Es baut mich auf, wenn ich merke, dass andere ähnlich in den Tag starten. Oder auch die Hinweise auf das Fernsehprogramm, etwa auf »Die Anstalt« oder die »Heute-Show«. Manchmal merkt man es an den kleinen Sachen: Die junge Welt ist meine Zeitung.

Lustig, dass Sie Wiglaf Droste ansprechen. An den Leserbriefen merken wir: Kaum etwas polarisiert so sehr wie er. Die Leser lieben ihn oder mögen seine Beiträge absolut nicht. Dazwischen gibt es wenig.

Vielleicht ist das etwas, was man erst wieder lernen muss: Auszuhalten, dass sich die Lebensweisen ausdifferenzieren. Das erleben wir ja auch gesellschaftlich jeden Tag. Schade ist nur, dass auf der anderen Seite dadurch so viele Blödköpfe entstehen. Als Meteorologen haben wir es da zum Beispiel oft mit Anhängern von Chemtrails zu tun, die uns jeden Kondensstreifen als Angriff der Amerikaner verkaufen.

Das ist kein alltäglicher Beruf. Wie haben Sie sich für den entschieden?

Ich bin Jahrgang 1955 und habe in den 70er Jahren Meteorologie studiert, weil das ein Fachgebiet war, auf dem ich Mathematik praktisch anwenden konnte. In den 80ern bin ich dann ins Berufsleben eingestiegen, in dem ich zwei deutsche Armeen erlebt haben: die NVA und die Bundeswehr. Ich habe als Meteorologe für die Wettervorhersage der Luftstreitkräfte gearbeitet. Danach ging es beruflich in verschiedene Städte, ich habe Gutachten geschrieben, was man so macht, um die Miete zu zahlen.

Natürlich ist ein Job zum einen der schnöde Broterwerb, aber darauf kann man sich ja nicht immer zurückziehen, wenn er mit der eigenen Moral kollidiert. Wie war es für Sie, mit Ihrem politischen Hintergrund für die Bundeswehr zu arbeiten?

1990 war die Bundeswehr noch keine Armee im Einsatz, vor allen Dingen nicht im Auslandseinsatz. Während der Vereinigungsphase sind sich die Angehörigen beider Armeen auf Augenhöhe begegnet. Zwar haben wir festgestellt, dass wir deutlich öfter am Wochenende in der Bereitschaft saßen, aber dafür hatten die Bundeswehr-Angehörigen ja auch Nach­teile, durften etwa keine Ostbesuche machen. Innerhalb der Bundeswehr herrschte durchaus noch der Gedanke: Wir sind keine Angriffs-, sondern eine Verteidigungsarmee. So ließ sich das für mich vereinbaren. Wobei man anerkennen muss, dass die junge Welt schon zu der Zeit die Entwicklungen ganz genau verfolgt hat. Sie hat schon früh darauf hingewiesen, dass der Bau von Brunnen und das Entsenden von Ärzten genau dahin führen wird, wo wir heute sind. Auch ich bin nach wenigen Jahren aus dem Bundeswehrverband ausgetreten, weil das nicht mehr meine Welt war und ist.

Bernd Stiller ist ­Meteorologe und Vorsitzender des Vereins ­Wettermuseum e.V.

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https://www.jungewelt.de/2017/02-11/017.php









Gegen System und Kapital!


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Rappelkistenrebell

Aus: Ausgabe vom 15.02.2017, Seite 1 / Titel

MDR killt Friedenstaube
Radiosender weigern sich, Spots für die junge Welt zu senden, weil Werbung für den Frieden eine Weltanschauung transportiere
Von Sebastian Carlens



Visualisierung des jW-Werbespots »Was, die gibts noch?«. Die unzensierten Radiospots können Sie auf Youtube hören: www.jungewelt.de/jW-Werbespots
Foto: Grafik: jW

Kennen Sie das Kinderlied »Kleine weiße Friedenstaube«? Es stammt aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und war in der DDR sehr populär. »Du sollst fliegen, Friedenstaube, allen sag es hier, dass nie wieder Krieg wir wollen, Frieden wollen wir«, heißt es im Liedtext von 1948. Es ist, klar, ein Friedenssong. Aber auch: »Werbung politischer und weltanschaulicher Art« – in der Einschätzung des privaten Senders Ostseewelle Hitradio aus Mecklenburg-Vorpommern. Mit dieser Begründung lehnte der Rundfunksender einen der sechs von junge Welt eingereichten Radiospots ab, mit denen die Zeitung zum 70. Jahrestag ihres Bestehens auf sich aufmerksam machen möchte. Für die anderen fünf mussten andere Begründungen herhalten, doch bei der Ablehnung blieb es: »Die Werbung stellt aufgrund ihres Inhalts sowie des ideologischen Hintergrunds der Zeitung junge Welt, Werbung politischer und weltanschaulicher Art dar, so dass der Sender aufgrund der Regelungen in Paragraph 7 Absatz 9 Rundfunkstaatsvertrag gehalten ist, den Auftrag abzulehnen«, teilte der Sender am 8. Februar mit.

Am Dienstag läuft die Werbekampagne der jW, die crossmedial geplant ist: Plakate hängen, manche Sender senden. Doch auch der öffentlich-rechtliche MDR Jump beruft sich auf derart strenge Vorgaben, dass die junge Welt kaum eine Chance hat: »So dürfen wir bspw. ausschließlich nur Wirtschaftswerbung für Produkte und Dienstleistungen ausstrahlen. Darunter fällt nicht die Werbung für Weltanschauungen und Ideologien«, so MDR Jump am 7. Februar. »Leider können wir diese Spots in der Form nicht ausstrahlen.« Auf Wunsch des Senders wurden die Spots um die beanstandeten Passagen – ein Sprechchor, der »Nazis raus« ruft, und auch die kurz eingespielte Erkennungsmelodie des Kinderliedes »Kleine weiße Friedenstaube« – geschnitten. Doch auch danach war MDR Jump nur bereit, zwei der nunmehr verstümmelten Spots zu senden: »Danke für Ihre Mühe zur Anpassung der Spotmotive. Wir haben diese wieder durch unseren Juristen prüfen lassen«, hieß es am 9. Februar. »Die übrigen Motive sind leider nicht nach der Einschätzung unseres Juristen zulässig, da durch diese Aussagen im Spot (u. a. ›Zeitung gegen Krieg‹, ›Zeitung gegen Faschismus‹) eine Weltanschauung transportiert wird.«

Nun muss kein Sender Werbung ausstrahlen, die er nicht senden möchte; es gilt die Vertragsfreiheit. Doch die Maßstäbe sollten die gleichen sein: Für die Bundeswehr zum Beispiel wirbt Jump FM, Teil des Senderangebots des MDR, anstandslos, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linkspartei vom 2. Juni 2014 hervorgeht. Für 300 Euro ist auch ein »abgeschlossener« Werbeauftrag der Bundeswehr beim mitteldeutschen Sender aufgelistet. Das ist natürlich niemals Politik – die ersten drei Sekunden eines Friedensliedes hingegen sollen es schon sein.

Und nicht nur das: Telefonisch wurde auch der Spot »Zeitung für soziale Gerechtigkeit« beanstandet: Dieser erinnere »an die SPD«, und Werbung für Parteien dürfe der Sender nicht machen. Immerhin: Die Sorgen und Nöte von MDR und Ostseewelle scheinen individueller Natur zu sein: Auf Radio eins laufen aktuell alle jW-Werbespots – unbeanstandet und in voller Länge.

»Wenn ein linkes Blatt wie die junge Welt 70 Jahre nach ihrem Erst­erscheinen wegen der Botschaft, ›Zeitung gegen den Krieg‹ zu sein oder ›Nazis raus‹ zu fordern, einen bezahlten Werbespot selbst bei öffentlich-rechtlichen Sendern nicht plaziert bekommt, weil das zuviel Weltanschaung transportiere, ist es um Meinungs- und Medienfreiheit in dieser Republik beängstigend schlimm bestellt«, kommentierte Klaus Bartl, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied des Fraktionsvorstandes der sächsischen Linkspartei, am Dienstag den Werbeboykott.

Quelle

https://www.jungewelt.de/2017/02-15/002.php



Aus: Ausgabe vom 15.02.2017, Seite 4 / Inland

Demokratie braucht Meinungsstreit
Werbung der jungen Welt wird mit der Begründung abgelehnt, dass sie zu politisch ist. Gastkommentar
Von Andreas Fisahn



Macht auch Werbung: Die Tageszeitung junge Welt. Für manche Radiosender ist das aber Politik – und verboten
Foto: jW-Archiv

Demokratie braucht Meinungsstreit. Der Satz dürfte auf allgemeine Zustimmung stoßen. Er ist Grundlage für die Auslegung der Meinungsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht. Schwieriger wird es, wenn es darum geht, für den Meinungsstreit ausreichende Foren und Arenen der Öffentlichkeit zur Verfügung zur stellen. Dann stößt die abweichende Meinung unangenehm auf – der Meinungsstreit soll sich doch bitte innerhalb bestimmter Grenzen bewegen, und das sind die Grenzen der herrschenden Meinung, die – das weiß man – in der Regel die Meinung der Herrschenden ist. Die Denkverbote sind so stark, dass sich eine Gruppe junger Ökonomen zusammengetan hat und dafür kämpft, dass unterschiedliche Lehrmeinungen an der Universität präsent sein sollen – wobei schon Keynesianismus als heterodox gilt. Sie nennen sich selbst »postautistische Ökonomen«. Vielfalt ist erst recht in der Presselandschaft erforderlich, wenn eine Demokratie lebendig sein soll. Meinungsfreiheit im stillen Kämmerlein gehört in den Biedermeier – Meinungsfreiheit braucht die Öffentlichkeit, d. h. auch Medien, die heterodoxe Meinungen verbreiten.

Da klingt es merkwürdig, wenn Werbeanzeigen der jungen Welt von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zurückgewiesen werden, weil sie zu politisch sind. Die Anstalten berufen sich auf den Rundfunkstaatsvertrag. Dort heißt es in Paragraph 7 Absatz 1: »Werbung und Teleshopping dürfen nicht: 1. die Menschenwürde verletzen, 2. Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Staatsangehörigkeit, Religion oder Glauben, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung beinhalten oder fördern.« Das ist ein überzeugender Ansatz. In Paragraph 7 Absatz 9 heißt es dann: »Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art ist unzulässig.«

Weil die junge Welt damit wirbt, dass sie für Frieden und gegen Nazis ist, könne man ihre Werbespots nicht senden, teilten ihr verschiedene öffentliche Sender mit. Das klingt wie eine faule Ausrede, um die Werbung der jW nicht senden zu müssen. Denn man muss fragen, ob es sich bei der Werbung für eine Zeitung um politische Werbung handelt – wohl nicht. Es wird für ein Produkt geworben, das wie jede andere Ware auch Kunden finden muss. Werbung für die junge Welt unterscheidet sich nicht von Werbung für Mercedes, »gelben Strom« oder ein Schlafmittel. Und natürlich muss man dabei etwas zu dem Produkt sagen. Schaut man mal die Werbung etwa der Autofirmen an, so werden keineswegs technische Details des Produktes aufgezählt, sondern es wird versucht, ein Gefühl von Freiheit, Sicherheit oder Ökologie aufzubauen – alles höchst politische Themen. Da kann es nicht sein, dass Spots einer Zeitung, die auf ihre Schwerpunkte und Ausrichtung hinweisen, als »politische Werbung« eingestuft werden, die deshalb unzulässig ist.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG ) hat − vom Bundesgerichtshof für unlauter erklärte – Anzeigen der Firma Benetton in zwei Fällen für zulässig erklärt, obwohl die Firma Werbung für Pullover über politische Inhalte betreiben wollte. Der nackte Hintern mit einem HIV-Stempel oder der ölverschmierte, verendende Vogel auf den Benetton-Anzeigen sind einigen noch im Gedächtnis. War das Werbung für Politik? Die Gerichte sagten ja: Es war auch Werbung für Politik, die Werbung hatte einen sozialkritischen Inhalt. Dieser falle aber, so das BVerfG, unter die Meinungsfreiheit und dürfe deshalb verbreitet werden. Wer für Pullover wirbt, darf also auch Politik verkaufen, wer für eine Zeitung wirbt aber nicht? Das ist verkehrte Welt.

Man muss schließlich fragen, ob das Verbot des Staatsvertrages, Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art zu betreiben, mit Meinungsfreiheit und Demokratie vereinbar ist. Das BVerfG begündete im Fall Benetton: »Wollte man kommerziellen Werbeanzeigen wegen des mit ihnen stets verbundenen Eigennutzes die Thematisierung von Leid verbieten, hätte ein wesentlicher Teil der Realität in (...) der Werbewelt von vornherein keinen Platz. Das kann angesichts des besonders schützenswerten Interesses an der Thematisierung gesellschaftlicher Probleme kein mit der Meinungs- und der Pressefreiheit vereinbares Ergebnis sein.« (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 11. März 2003 – 1 BvR 426/02 – Rn. 29, http://www.bverfg.de/e/rs20030311_1bvr042602.html) Wenn aus der Meinungsfreiheit folgt, dass es ein besonders schützenswertes Interesse an der Thematisierung gesellschaftlicher Probleme gibt, scheint es abwegig, politische Werbung grundsätzlich auszuschließen – geboten wäre allenfalls, annähernde Gleichheit der Werbetreibenden zu wahren.

Aber die jW wollte kommerzielle Werbung betreiben, um für ihr Produkt, die Zeitung, zu werben. Da ist es kein mit der Meinungs- und der Pressefreiheit vereinbares Ergebnis, wenn der Hinweis auf politische Probleme, die von einer Zeitung thematisiert werden, von der Werbung ausgeschlossen werden, weil es politische Probleme sind.

Andreas Fisahn ist Professor für öffentliches Recht, Umwelt- und Technikrecht und Rechtstheorie an der Universität Bielefeld

Quelle

https://www.jungewelt.de/2017/02-15/016.php
Gegen System und Kapital!


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Rappelkistenrebell

Aus: Ausgabe vom 18.02.2017, Seite 16 / Aktion

Selber kümmern!
Behinderung durch Zensur ist Ausdruck des Verfalls bürgerlicher Demokratie. junge Welt sucht alternative Werbewege
Von Dietmar Koschmieder



Der Zukunft zugewandt? Verboten!
Foto: Screenshot jW-Radiospot via youtube/ ! No longer available

Der Spiegel wird 70 Jahre alt – Grund genug für andere Medien, das Deutschland-Magazin wochenlang zu lobpreisen. Auch die junge Welt würdigt die Gründung des Magazins, immerhin jahrelang wichtiges Instrument im Kalten Krieg gegen den realen Sozialismus. Allerdings fällt der Tenor dieser Würdigung durch die spitze Feder von Otto Köhler, einst selbst Redakteur im Hamburger Blatt, etwas anders aus als üblich. Wie man es von der jungen Welt zu Recht erwarten darf.

Fast gleichzeitig erschien auch die junge Welt vor 70 Jahren das erste Mal. Nun haben wir keineswegs mit einer wohlwollenden Berichterstattung zu unserem 70. Geburtstag gerechnet, dafür müssten wir erst eine andere Klassenposition einnehmen. Das komplette Ignorieren dieses Themas sogar in linken oder linksliberalen Tagesblättern überrascht uns aber dann doch. Zuvor hatte man dort auch einheitlich unsere Rosa-Luxemburg-Konferenz vom Januar, mit mehr als 2.800 Teilnehmern die größte Konferenz linker Kräfte in der BRD, verschwiegen. Und danach auch den Zensur- und Boykottfall, bei dem zwei Rundfunksender mit dubiosen politischen Begründungen bezahlte jW-Werbespots gar nicht oder nicht in der von uns erstellten Form senden wollten. Die Nachrichtenagentur dpa etwa äußerte zunächst Interesse am Vorgang – gebracht wurde die Meldung jedoch nicht, angeblich weil sich der Hausjustiziar dagegen ausgesprochen haben soll. Dabei handelt es sich nicht um einen juristischen, sondern um einen politischen Skandal, der zudem kein Einzelfall ist: Die Deutsche Bahn lehnt immer wieder Plakatwände mit jW-Motiven mit dubiosen Begründungen ab. Zeitungen verweigern jW-Anzeigentexte, und auch andere Radiosender haben Einfluss auf Inhalte unserer Radiospots genommen oder diese abgelehnt. Bei diesen Vorgängen handelt es sich um Anzeichen des Verfalls bürgerlicher Demokratie, die eigentlich auch bürgerliche Demokraten beunruhigen müssten.

Was lehren uns aber diese Vorgänge? Um uns selber müssen wir uns selber kümmern! Ganz praktisch heißt das: Dass es die junge Welt und ihr konkretes journalistisches Angebot gibt, darauf werden neue Leserinnen und Leser nicht durch andere Medien hingewiesen. Das müssen wir schon selber tun! Wir werden einen größeren Verbreitungsgrad der jungen Welt und damit eine höhere Auflage und letztlich mehr Einnahmen durch Print- und Onlineabonnements sowie Kioskverkauf auch weiterhin durch vielfältige und originelle Aktivitäten erkämpfen müssen. Und wir werden dabei noch stärker auf die Unterstützung durch Leserinnen und Leser setzen! Übrigens ist das ein weiterer wichtiger Grund, warum wir dringend eine größere Leserschaft brauchen.

Wir kümmern uns selber. Aber trotzdem geht es nicht ohne kommerzielle Werbemaßnahmen. Das kostet viel Geld – und funktioniert nur dann, wenn das dahinterstehende Konzept auch umgesetzt werden kann. Wenn nun unsere an der einen oder anderen Stelle gebuchten Werbungen verboten oder erst nach Entstellung zur Unkenntlichkeit gesendet werden, ist unser gesamter crossmedialer Ansatz nur noch eingeschränkt oder gar nicht tauglich, führt also nicht zu den erwünschten Ergebnissen. Gerade deshalb treffen uns die Verbote hart: Wir investieren unsere hart erwirtschafteten ökonomischen Mittel und brauchen den Erfolg der Maßnahmen, damit sich die Ausgaben wieder refinanzieren.

Zwar werden wir auch weiterhin auf herkömmliche Werbewege setzen, solange das irgendwie geht. Allerdings wissen wir heute nicht, wie rasch der Verfall der bürgerlichen Freiheiten voranschreitet. Deshalb werden wir noch stärker Werbestrategien für die Erhöhung des Bekanntheitsgrades der jungen Welt entwickeln, bei denen wir weitgehend unabhängig von kommerziellen Werbefirmen und anderen Medien bleiben. Entscheidend wird dabei sein, ob und wie es uns gelingt, Leserinnen und Leser als Unterstützer für diesen Kampf zu gewinnen.

Quelle

https://www.jungewelt.de/2017/02-18/149.php



Aus: Ausgabe vom 18.02.2017, Seite 16 / Aktion
Hat Ihr Kiosk die junge Welt im Angebot?


jW sichtbar machen (Werbung im Berliner Einzelhandel)
Foto: jW

Trotz aller Schwierigkeiten: Es gibt natürlich Geschäftspartner, die uns engagiert unterstützen! Dazu zählen der Einzelhandel, die Grossisten und unser Nationalvertrieb. Mittlerweile ist die junge Welt an jeden Kiosk in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz lieferbar. Das heißt, technisch können wir über unsere Partner jedes Einzelhandelsgeschäft beliefern, das Zeitungen anbietet – das wird aber nur dann passieren, wenn die junge Welt nachgefragt wird. Machen Sie also Ihren Einzelhändler auf diese Möglichkeit aufmerksam, helfen Sie ihm aber auch, den jW-Verkauf anzukurbeln. Zum Beispiel mit Hilfe der Werbemittel, die Sie mit dem nebenstehenden Coupon bestellen können. Dabei setzen wir erreichbare Ziele: Es ist viel gewonnen, wenn Ihr Kiosk täglich zwei Zeitungen verkauft – regelmäßig, versteht sich. Und da Kioskkäufer eben nicht jeden Tag eine Zeitung kaufen (sonst könnten sie ja gleich abonnieren), braucht man also acht bis zehn Interessenten, die am ausgewählten Kiosk hin und wieder mal eine Zeitung kaufen. Deshalb: Schauen Sie doch einmal, ob es auch in Ihrem Wohngebiet oder auf dem Weg zur Arbeit eine Zeitungsverkaufsstelle gibt, die die junge Welt in ihr Angebot aufnehmen könnte. Ein kleiner, aber sehr wichtiger und wirksamer Beitrag zur Erweiterung des Bekanntheitsgrades unserer Zeitung.
Aktionsbüro

Quelle

https://www.jungewelt.de/2017/02-18/150.php
Gegen System und Kapital!


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