"Fleischbeschauung" beim Jobcenter

Begonnen von Gartenzwerg, 13:11:08 Sa. 08.April 2017

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

Gartenzwerg

Hallo Leute

habe das folgende Schreiben von einem Jobcenter in meiner Nähe
bekommen. Es handelt sich nicht um das Jobcenter, dass sonst für
mich zuständig ist, sondern um eins aus der Nachbarstadt.
Offensichtlich werden außer mir mehrere Leute eingeladen und von
einem Mitarbeiter der Firma Stölting begutachtet (Stichwort:
Fleischbeschauung).

https://gartenzwerg23.lima-city.de/Schreiben.jpg

Da das wohl unter der Aufsicht eines Jobcenter Mitarbeiters
ablaufen wird und ich an sowas noch nie teilgenommen habe stellt
sich die Frage wie ich mich dabei verhalten soll. Ich habe mich
über die Firma mal informiert. Offensichtlich nicht besonders
seriös. Habe mir überlegt ob ich folgenden Artikel mal ausdrucken,
mitnehmen und unangenehme Fragen stellen soll.

http://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/verdi-kritisiert-gelsenkirchener-wachdienst-stoelting-id10029433.html

oder ob kritisches Nachfragen z.B. dannach warum es laut Artikel zu
Problemen bei der Auszahlung und Abrechnung von Stundenlöhnen
gekommen sei und ob es sich dabei nur um Einzelfälle handelt und
wie die Firma das erklären kann zu einer Sanktion führen wird.
Eigentlich sollte das nicht der Fall sein, denn wenn das Gehalt
nicht ausgezahlt wird ist dies ja schon ein schwerwiegender Verstoß
gegen die Pflichten eines Arbeitsvertrages. Sowas sollte eigentlich eine
sachliche Rückfrage rechtfertigen.

Laut Vorladung soll ich Lebenslauf und Anschreiben mitbringen. Was
passiert eigentlich wenn man das vergisst? Da man das nachreichen
kann glaube ich nicht, dass es sich dabei um einen Sanktionsgrund
handelt.

Da es sich um eine Jobcenter handelt wo man mich überhaupt nicht
kennt müsste ich mich ausweisen. Ich frage mich was passiert wenn
ich zu dem Termin meinen Personalausweiß "vergessen" würden.
Vielleicht wird man mich nach Hause schicken um ihn zu holen?
Eventuell hat der Mitarbeiter von Stölting nicht genug Zeit zu
warten und wäre bei meiner Rückkehr (brauche ca. 2 Stunden) nicht
mehr anwesend? Falls nichts dagegen spricht würde ich sonst einfach
einen Fragebogen vorbereiten und die Fragen stellen die man auch sonst
stellen würde wenn ich mich direkt bei einer Zeitarbeitsfirma vorstellen würde
(Gibt es einen Betriebsrat, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon nach dem ersten oder erst
nach dem Dritten Tag, Fragen bzgl. Arbeitszeitkonto, auf zweiwöchige Vertragsprüfung bestehen etc.)

Ich frage mich wirklich wie ich mich verhalten soll.

Danke im Vorraus für eure Hilfe

dagmar

Hallo, lieber Gartenzwerg,
unsere Fachleute hier werden Dir sagen können, ob Du da überhaupt antanzen musst oder solltest.

Ich selber würde diese Leute dort behandeln wie jede ZAF. Freundlich, an Arbeit interessiert aber mit Riesenfragenkatalog (natürlich auch was den Zeitungsbericht betrifft). Arbeitszeitkonto interessiert mich - um dann zu fragen "Sagen Sie mal, ist das nicht Zurückhaltung von Sozialabgaben" Ich bin ja dumm und lasse mich belehren ... und gebe den anderen dadurch die Chance zum nachdenken ;-)

Alles das, was bei der Zeitarbeit zu fragen ist würde ich dort anfragen - immer betonend, an welchem Job ich interessiert bin, was ich getan habe und zukünftig zu tun gedenke. Ach ja, und wenn Du an weiterem Wissen und interner Weiterbildung interessiert bist, dann haben die Zafen (bei mir zumindest immer angefangen zu stammeln und dann mit "das machen wir nicht") richtig schön rumgeeiert.

Auf so einer großen Veranstaltung wollen die sich verkaufen als toller und fairer Arbeitgeber, ja klar, wir sind alle eine große Familie, bis dann die Pubertät kommt ;-)

Sag mal, ich habe ab und zu den Personalausweis verloren - gerade ZAFEN geht der Inhalt ja recht wenig an....

Viel Glück - und gute Ratschläge von anderen, die mehr wissen als ich, wünsche ich Dir

Gruß von Dagmar

Rudolf Rocker

Ich glaube, das haben wir neulich in diesem Thread hier angeschnitten, auch wenn es hierbei um einen Meldetermin in den Räumen einer ZAF ging.
http://www.chefduzen.de/index.php?topic=328591.0

Bei dir geht es allerdings um einen Meldetermin in den Räumen des JC, wenn ich das richtig sehe. Das ist wieder eine etwas andere Hausnummer.
Ich würde mir einen Beistand mitnehmen und selbstverständlich kritische Fragen stellen!
Man will ja schließlich wissen, ob der neue Arbeitgeber zuverlässig ist! ;)
Mach dich vorher über die üblichen Tarife schlau und frag die einen Loch in den Bauch zum Thema Lohn, Urlaub, Überstunden, Betriebsrat, Fahrtkosten usw. usw.

Tiefrot

War bei dieser Einbestellung eine RFB (Rechtsfolgenbelehrung) dabei ?
Falls Nein, kannste zwar hingehen, bist aber zu rein gar nichts verpflichtet.
[NT] Auch mit RFB ist nur das Erscheinen verpflichtend. Sonst nichts.

Vergiss aber nicht, dir vom JC-Hansel dein Erscheinen auf der "Einladung"
bestätigen zu lassen. Mit Stempel und Unterschrift, wie sich das gehört.
Übrigens sind solche ZAF- und sonstigen Menschenhöker darauf spezialisiert,
dich mit Sanktionsdrohungen und dergleichen einzufangen.
Lass dich nicht bequatschen, du würdest es sehr reuen !

Sollte sich dann ein JC-Bürohengst später dazu versteigen, dir -warum auch immer-
eine Sanktion eindrehen zu wollen, hat der schlechte Karten. Du warst ja da,
mehr war nicht gefordert.  ;D
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

Wie bekommt man Milllionen von Deutschen zum Protest auf die Straße ?
Verbietet die BILD und schaltet Facebook ab !

Rudolf Rocker

Ach ja! Zu Bewerbungsunterlagen mitbringen:
Du hattest ja bisher keine Möglichkeit, das Angebot auf Rechtmäßigkeit zu prüfen. Erst wenn das abgeschlossen ist, können die eine Bewerbung haben oder auch nicht.
Da das hier aber kein VV ist, besteht auch keine Bewerbungspflicht, sondern nur Anwesenheitspflicht, wie Tiefrot schon angemerkt hat!

Tiefrot

Achtung, ist mein ganz persönliches Vorgehen:

Keinerlei Bewerbungsunterlagen mitnehmen,
keinerlei Kontaktdaten preisgeben. Ist kein Sanktionstatbestand.
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

Wie bekommt man Milllionen von Deutschen zum Protest auf die Straße ?
Verbietet die BILD und schaltet Facebook ab !

Rudolf Rocker

ZitatAchtung, ist mein ganz persönliches Vorgehen
Mache ich auch so! Der Arbeitgeber kann meine Bewerbungsunterlagen gerne haben, wenn ich das Angebot geprüft habe. Seriöse Arbeitgeber haben auch keine Bewerbungsfristen von 5 Minuten. Da reicht es dann locker die Unterlagen und eine Bewerbung mit der Post abzuschicken!

Gartenzwerg

Danke erstmal für all die Antworten   ;D

ZitatWar bei dieser Einbestellung eine RFB (Rechtsfolgenbelehrung) dabei ?
Falls Nein, kannste zwar hingehen, bist aber zu rein gar nichts verpflichtet.
[NT] Auch mit RFB ist nur das Erscheinen verpflichtend. Sonst nichts.

Rechtsfolgebelehrung war dabei. Warum bin ich zu nichts verpflichtet? Habe
ich nicht meine allgemeine Mitwirkungspflicht der ich immer nachkommen muß?
Ich meine wenn die mir sagen, dass ich meine Daten preisgeben soll, dann
muß ich das soweit ich weiß nicht weil die Aufnahme von Daten in einen
Bewerberpool nicht zur allgemeinen Mitwirkungspflicht gehört. Wenn die
mir aber sagen, dass ich die eine konkrete Stelle haben, dann muß ich mich
doch darauf bewerben oder nicht? Nur denke ich auch, dass ich dann ja
eigentlich drei Tage Zeit haben sollte und meine Unterlagen nicht direkt
dabei haben muß. Hmmm....

ZitatSollte sich dann ein JC-Bürohengst später dazu versteigen, dir -warum auch immer-
eine Sanktion eindrehen zu wollen, hat der schlechte Karten. Du warst ja da,
mehr war nicht gefordert.

Ja da ist halt die Frage wo meine allgemeine Mitwirkungspflicht anfängt und
wo die endet. Ich denke, dass man da mit Fingerspitzengefühl rangehen muß
sonst wird mir nachher doch noch irgendwie die Verhinderung einer Einstellung
vorgeworfen.

Tiefrot

Die allgemeine Mitwirkungspflicht besteht hier lediglich im Erscheinen.
Was darüber hinausgeht, liegt in deinem Ermessen, und nirgends anders.
Fingerspitzen brauchst du sowieso, grade evtl. im Streitfall.  ;)

Es gibt meines Wissens auch Rechtsprechung dazu, habe jedoch keine Quelle zur Hand, Sorry
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

Wie bekommt man Milllionen von Deutschen zum Protest auf die Straße ?
Verbietet die BILD und schaltet Facebook ab !

Rudolf Rocker

ZitatWenn die mir aber sagen, dass ich die eine konkrete Stelle haben, dann muß ich mich doch darauf bewerben oder nicht?
Hast Du denn ein konkretes Stellenangebot bekommen oder nur die Einladung nach §59 SGB II i.V.m. § 309 Abs. 1 SGB III?
Lautet die Antwort Nein; gilt oben geschriebenes!

Gartenzwerg

ZitatHast Du denn ein konkretes Stellenangebot bekommen oder nur die Einladung nach §59 SGB II i.V.m. § 309 Abs. 1 SGB III?
Lautet die Antwort Nein; gilt oben geschriebenes!

Konkretes Stellenangebot habe ich nicht bekommen, weiß natürlich nicht ob die mir direkt vor Ort ein Stellenangebot unterbreiten um zu Versuchen an
meine Daten zu kommen. Naja vielleicht mache ich mir auch zuviel Gedanken mal schauen was draus wird.

:D Danke für eure Hilfe fühle mich schon viel besser bei dem Gedanken am Mittwoch da antanzen zum müssen. :D

Rudolf Rocker

ZitatDanke für eure Hilfe
Gerngeschehen!
Noch ein paar Tipps:
- Unterschreibe nichts vor Ort (Außnahme: Anwesenheitsliste).
- Nimm dir einen Beistand mit. (Also eine Person deines Vertrauens. Im besten Fall jemand der sich mit Tarifrecht ein bißchen auskennt.)
- Lass Dich nicht einschüchtern! (Wenn sie Dir in irgend einer Art und Weise drohen, weil Du nicht so tanzen willst, wie sie es gerne hätten, sag Du möchtest das bitte schriftlich haben!)
- "Wo steht das?" (Immer als Frage im Hinterkopf behalten, wenn dir irgendwas komisch vorkommt!)

Noch eine kleine Geschichte am Rande:

Ich hatte mal eine Einladung zu einer Veranstaltung in den Räumen des JC bei der eine ZAF, Leute für einen großen Versandhandel suchten (nicht Amazon!).
Das war im November und eigentlich klar, das sie nur Aushilfen für die Arbeitsspitze um Weihnachten suchten. Ich bin dann mit zwei Freunden, die erfahrene Gewerkschafter sind,  als Beistand zu dieser Veranstaltung marschiert.
Da saßen etwa 50 Leute im Raum (das war nur eine von mehreren Veranstaltungen) und eine Tante von der ZAF fing an zu erzählen wie toll das alles ist und das es ja gute Übernahnmechancen gäbe....
Irgendwann wurde uns das Gesülze zu nervig und wir fingen dann an Fragen zu stellen: "Das ist ja alles gut und schön, was sie da erzählen, aber was kann man denn da so verdienen?"
Die Tante von der ZAF kam dann so ein bißchen ins stocken (merkwürdig, weil eine solche Frage dürfte doch eigentlich nicht ungewöhnlich sein) und fing dann an mit "Naja, das kommt darauf an..." "Ja, worauf denn? Ungelenter Hilfarbeiter? Was bekommt der die Stunde?" "Da müsste ich noch mal ein meine Unterlagen gucken...." "Ja, machen sie das doch bitte mal!" "Das wären so um die 8,00 € die Stunde." (Das war noch vor Mindestlohnzeiten!)
Meldet sich der Kollege neben mir. "8,00 € die Stunde? Ein Festangestellter bei der Firma kriegt als Ungelernter 12,00 € die Stunde!" "Das kann nicht sein!" "Doch, ich hab hier den Tarifvertrag auf meinem Smartphone!"
Die ersten Leute stehen auf und verlassen den Raum! ;D
"Aber, ähhm sie haben ja die Chance übernommen zu werden!" "Tatsächlich? Wie hoch ist denn der Klebeeffekt so im allgemeinen bei ihnen?" "Dazu kann ich ihnen leider nichts sagen! Ich bin nur hier, um dieser Firma Personal zu vermitteln!"
Weitere Leute verlassen den Raum!
Anschließend noch ein paar Flyer über Leiharbeit verteilt und interessante Gespräche mit anderen Betroffenen geführt.

So kann man den Spieß umdrehen und aus einer Zwangseinladung einen schönen Tag machen! ;D

dagobert

Zitat von: Gartenzwerg am 23:24:46 Sa. 08.April 2017Konkretes Stellenangebot habe ich nicht bekommen, weiß natürlich nicht ob die mir direkt vor Ort ein Stellenangebot unterbreiten
Bevor du da hingehst, den in #2 verlinkten Thread nochmal gründlich lesen. Rudi hat dort auf ein Urteil vom LSG Niedersachsen-Bremen (mit Verweis auf BSG-Rechtsprechung) hingewiesen, wonach rechtsfolgenbewehrte Stellenangebote nur von der Behörde (!) unterbreitet werden dürfen, nicht von privaten Firmen.
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

  • Chefduzen Spendenbutton