LSG Sachsen: Abweichung vom Kopfteilprinzip auch bei Leistungsversagung

Begonnen von dagobert, 22:58:21 Fr. 16.Juni 2017

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dagobert

ZitatHier liegen die Voraussetzungen für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen vor. Bei der Aufteilung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen handelt es sich um eine aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität eingeführte Durchbrechung des Prinzips der Bedarfsdeckung. Denn das Kind der Kläger ist nicht Partei des Mietvertrages und mithin nicht (Miet-)Schuldner des Mietzinses gegenüber dem Vermieter. Die rechtliche Verpflichtung zur Tragung der Wohnungskosten trifft allein die Kläger als Gesamtschuldner. Die Aufteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen bewirkt hier, dass der tatsächliche Bedarf der Kläger unterdeckt und der des Sohnes erhöht wird. Diese Abweichung vom Prinzip der Bedarfsdeckung ist ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität allenfalls so lange hinnehmbar, wie die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in der Haushalts- oder Bedarfsgemeinschaft in der Summe auch in tatsächlicher Höhe gedeckt sind. Wenn, wie hier, aber für einen Teil der Bedarfsgemeinschaft (den Sohn) Leistungen nicht erbracht werden, sei es infolge einer Sanktionierung nach §§ 30 ff. SGB II oder infolge einer Entscheidung nach § 66 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) im Sinne einer Versagung oder Entziehung einer Leistung, ist es den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft, sofern sie – wie hier – im Außenverhältnis allein für die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung haften, nicht zumutbar, die nicht gedeckten Kosten aus ihrer Regelleistung zu bestreiten oder gar eine Verschuldung mit dem Risiko des Verlustes der Wohnung hinzunehmen.

Eine Versagung nach § 66 SGB I richtet sich allein an den seine Mitwirkung Verweigernden. Eine Mithaftung Dritter, sei diese auch nur mittelbar, ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Auch das Argument des Beklagten, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Durchbrechung des Kopfteilprinzips im Falle von Sanktionsentscheidungen sei hier nicht übertragbar, da ohne die Mitwirkung des Sohnes nicht festgestellt werden könne, ob die Kläger überhaupt hilfebedürftig sind, überzeugt hier nicht. Wenn das Einkommen des Sohnes seine Hilfebedürftigkeit entfallen lässt, so ist er wegen § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Die Hilfebedürftigkeit der Kläger entfällt deswegen in diesem Fall nicht.
LSG Sachsen, 09.02.2017, L 3 AS 432/14
https://dejure.org/2017,18684
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

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