Marinus van der Lubbe - Einzeltäter oder Werkzeug ?

Begonnen von Hochseefischer, 12:18:22 Fr. 25.Januar 2008

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Hochseefischer

Umfrage:

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Marinus van der Lubbe:

a) hat den Reichstagsbrand eigenhändig, ohne Hilfestellung durch die Nazis oder durch Kommunisten, in Brand gesteckt. Denn er hat sich nicht als Kommunist betrachtet und sich vom Kommunismus distanziert.

b) war ein Werkzeug der Nazis

c) war ein Werkzeug der Kommunisten

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Das sind mir zufolge die drei Thesen, die in der Geschichtsschreibung existier(t)en.

Ich bin mir nicht sicher, ob c) heutzutage außerhalb der Geschichtsschreibung der rechten Szene existiert. Das wurde ja von den Nazis damals behauptet.

Was ist richtig? a), b) oder c)?
Was meint Ihr?

Mal sehen, welche Diskussion ich hier losgetreten habe - bitte kein Stechen und Hauen untereinander :D

Gruß

Hochseefischer

kleiner_Schläfer

Eindeutig
c) war ein Werkzeug der Kommunisten

Begründung:

1. Die Kommunisten sind von Grund auf Pöse und sind eh immer an allem $chlechten, was über die Menschheit kommt, Schuld
2. Der Kapitalismus ist für die Menschen auf der Erde besser, als der Kommunismus,
Beweis für 2. Das kann man jeden Tag in den Medien erfahren (wenn man will)  :cheer:

mfg
c.r.
alte sig-->Ich möchte eine mit Gleichstrom gegrillte Bratwurst...
neue sig->"Thomas Roth: wir haben versucht, den inneren sinn des interviews zu erhalten, damit der zuschauer dem interview auch inhaltlich folgen kann..."

Hartzbeat

@ Hochseefischer,
ich möchte auf Auszüge aus dem Lebenslauf van der Lubbes verweisen...

- Holländisches Scheidungskind, mutterlos, Ausbildung als Maurer - also einfacher Arbeiter.
-  1925 Arbeitsunfall. Darauf vermutlich arbeitslos und musste wegen des daraus resultierenden Augenleidens vermutlich zum "Medizinischen Dienst, der dann feststellte, dass er seinen Beruf nicht weiter ausüben konnte.
- Mitglied einer Splittergruppe der Kommunistischen Partei und engagierte sich für diese auch öffentlich.
- 1927 Umzug nach Leiden wegen einer Auseinandersetzung mit seiner Schwester ("Du arbeitsloser Faulenzer!"), dort Arbeitslosmeldung und Gründung des ,,Leninhaus", einem Ort für politische Vorträge und Treffen. In Leiden kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
- 1930 musste van der Lubbe für zwei Wochen in Arrest, weil er bei der Sozialbehörde Scheiben eingeworfen hatte.
- Von den parlamentarisch aktiven Kommunisten entfernte sich van der Lubbe immer mehr, da sie ihm zu wenig radikal und kämpferisch waren. Er favorisierte die Direkte Aktion.
- 1928 bis 1932 Wanderschaft durch Europa. Plan, in die Sowjetunion auszuwandern, scheiterte, da ihm Einreise verwehrt.
- 1933 Kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten Reise nach Berlin, um sich dort am aktiven Widerstand zu beteiligen. Sein Versuch, die Arbeitslosen und Arbeiter gegen die Machtübernahme der Nationalsozialisten zu mobilisieren, misslang.
- 25. Februar 1933, Versuch, das Wohlfahrtsamt in Berlin-Neukölln und das Berliner Rathaus, schließlich sogar das Berliner Schloss in Brand zu stecken. Alle Brände wurden schnell entdeckt und gelöscht.
- 27. Februar 1933 van der Lubbe in Hennigsdorfer Obdachlosen-Asyl. Am Abend Festnahme im brennenden Reichstagsgebäude festgenommen, der Brandstiftung beschuldigt, welche er in Verhören auch zugab.
- 9. März 1933 wurde gegen ihn Anklage erhoben. Das geistig verwirrte Auftreten van der Lubbes im Prozess ließ zweifeln, ob er allein das Parlamentsgebäude angezündet hat – bis zu zwanzig Brandherde.
- 22. Dezember 1933 wegen ,,Hochverrat in Tateinheit mit vorsätzlicher Brandstiftung" in Leipzig zum Tode verurteilt.
- 10.01.1934 Todesurteil vollstreckt. Die Leistungen der Sozialbehörde Leiden wurden vermutlich wegen unerlaubter Ortsabwesenheit eingestellt.
- 1967 - also 34 Jahre nach van der Lubbes Hinrichtung - wurde das Urteil 1967 vom Berliner Landgericht teilweise abgeändert und zu einer Zuchthausstrafe von acht Jahren Zuchthaus ermäßigt. Vermutlich weil die Justiz mit der Afuarbeitung der Naziverbrechen so überlastet war.
- 1980 wurde der Beschluss von 1967 aufgehoben und van der Lubbe freigesprochen. Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein.
- 6. Dezember 2007 Bundesanwaltschaft stellt fest ,,dass das Urteil gegen den im ,,Reichstagsbrandprozess" verurteilten Marinus van der Lubbe aufgehoben ist."  (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Marinus_van_der_Lubbe)

Fazit: Für mich kommt daher nur These a) infrage. wenn man das Schiksal dieses Mannes berücksichtigt, braucht es weder Kommunisten noch Nazis, dass man sich und anderes "erhitzt".
Dennoch - egal, für mich war er niemandes Werkzeug und Opfer der Staatsraison.

Fragt sich ohnehin desöfteren, ob derzeit nicht gerade jede Menge van der Lubbes nachproduziert werden und erwischt sich gelegentlich selbst desöfteren in einem geistig verwirrten Zustand...

Hartzbeat

Hochseefischer

ZitatOriginal von Hartzbeat
Fazit: Für mich kommt daher nur These a) infrage

Für mich auch.

Allerdings habe ich das hier gefunden:

http://www.eforum-zeitgeschichte.at/moll03.html :

ZitatDie Alleintäterthese Tobias' und seiner Jünger muss als nachhaltig erschüttert gelten. Ihre Verfechter bleiben diskreditiert zurück, da ihnen Bahar und Kugel anhand unzähliger Beispiele haarsträubende Manipulationen, Verdrehungen und sinnentstellende Weglassungen bei den von ihnen zitierten Quellen nachweisen können. Ein neuerlicher Paradigmenwechsel zeichnete sich schon ab, als 1999 die renommierte "Historische Zeitschrift" eine Vorveröffentlichung zu diesem Buch abdruckte.13 Darin hatten die Autoren noch dafür plädiert, die Lösung des Rätsels offen zu halten; dies sei das Mindeste, für das man sorgen müsse, auch wenn es vielleicht nie endgültig zu beantworten sei.14 An diesem Urteil ändert sich auch durch die nun vorliegenden mehr als 800 Textseiten des Buches nichts Grundlegendes. Deutlich wird immerhin, dass und in welche Richtung beim heutigen Forschungsstand weitergearbeitet werden muss. Der zeitweilig entschieden geglaubte Streit ist keineswegs zu Ende, sondern geht in eine neue Runde. Die mehr als 40 Jahre alten Publikationen des Amateurs Tobias, mögen seine Anhänger auch heftige Rückzugsgefechte liefern, kann man ruhigen Gewissens als überholt bezeichnen

Hm.

(Die gesamte Quelle muss ich mir erst aber noch mal in Ruhe durchlesen, mache ich später)

Keine Ahnung, wie der aktuelle Stand der Forschung ist. Hat jemand Quellen, die neuer sind als aus dem Jahre 2001?

ZitatOriginal von Hartzbeat
Das geistig verwirrte Auftreten van der Lubbes im Prozess ließ zweifeln, ob er allein das Parlamentsgebäude angezündet hat – bis zu zwanzig Brandherde.

Ich habe mal irgendwo (Quelle mir leider aktuell nicht bekannt) gelesen oder gehört, dass die Nazis ihn unter Drogen gesetzt haben bis zum Ende des Prozesses (ist das eine bewiesene Tatsache oder nur eine Vermutung?). Damit die Weltöffentlichkeit den Eindruck bekommen sollte, dass er das nie und nimmer allein hätte durchführen können.

Gruß

Hochseefischer

Hartzbeat

ZitatHochseefischer: Ich habe mal irgendwo (Quelle mir leider aktuell nicht bekannt) gelesen oder gehört, dass die Nazis ihn unter Drogen gesetzt haben bis zum Ende des Prozesses (ist das eine bewiesene Tatsache oder nur eine Vermutung?). Damit die Weltöffentlichkeit den Eindruck bekommen sollte, dass er das nie und nimmer allein hätte durchführen können.

Steht bei http://de.wikipedia.org/wiki/Marinus_van_der_Lubbe, da gibts auch weitere Literatur-Links zum Thema. Ob Vermutung oder These - ich denke, da er vorher schon ein recht feuriges Temperament hatte und aufgrund seines vorangegangenen Schicksals leicht "entflammbar" für soziale Belange und direkte Aktion war, brauchte es keine Nazis, die ihn unter Drogen setzten, damit alle glauben sollen, dass er das nicht hätte auch allein fertig bringen können.

Die mit ihm verhafteten anderen Mitglieder der kommunistischen Partei, wurden zwar ebenfalls verdächtigt aber wegen Mangels an Beweisen wieder freigelassen. (Quelle: ebenfalls bei wikipedia) Da hätten die Nazis es sich aufgrund ihres Machtstatus' und politischen Einflussmöglichkeit einfacher machen und alle gleich da behalten können, um eine kommunistische Gemeinschaftstat zu inszenieren...

spekuliert Hartzbeat

Hochseefischer

Über das hier bin ich gerade gestolpert:

//www.zlb.de/projekte/kulturbox-archiv/brand
von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Da gibt es wohl dann genug zu lesen ....

Paul Brömmel

"Da hätten die Nazis es sich aufgrund ihres Machtstatus' und politischen Einflussmöglichkeit einfacher machen und alle gleich da behalten können, um eine kommunistische Gemeinschaftstat zu inszenieren..."

Das ging nicht,weil man sich damals an Gesetze hielt.
Es kam da auch keiner auf die Idee,diese Gesetze für verfassungswidrig zu halten,obwohl es keine Verfassung gab.

Hochseefischer

@Hatzbeat:
ZitatOriginal von Hartzbeat
[Es] brauchte keine Nazis, die ihn unter Drogen setzten, damit alle glauben sollen, dass er das nicht hätte auch allein fertig bringen können.

Ist Van der Lubbes Geisteszustand während des Prozesses durch Drogen oder Hypnose manipuliert worden?

Wigbert Benz schreibt auf http://www.zlb.de/projekte/kulturbox-archiv/brand/benz2006_2.htm#12 :

ZitatSchmidt schreibt im SPIEGEL vom 16.1.1957: "[...][Der Prozess um den Reichstagsbrand] ist zudem in das Bewusstsein der Welt als Beispiel für einen Prozess eingegangen, in dem man den Widerstand eines Angeklagten mit Hilfe geheimnisvoller Drogen gebrochen haben soll [...]"

Benz zitiert außerdem aus dem o.g. Spiegel-Artikel Folgendes:

Zitat"Trotzdem bleibt die Frage, warum dieser Mann in der öffentlichen Verhandlung so abnorm wirkte, nachdem er sich in der Voruntersuchung wenn auch nicht intelligenter, so doch aufgeschlossener benommen hatte. Manches spricht für das Urteil eines alten Kriminalbeamten, der an den Vernehmungen van der Lubbes teilgenommen hatte. Er erklärte das stupide Verhalten van der Lubbes in der Hauptverhandlung mit der neuen Rechtslage, der sich der Täter während der Verhandlungen vor dem Reichsgericht, noch nicht aber während der ersten Vernehmungen der Politischen Polizei gegenübersah. Nach dieser Theorie wusste der krankhaft veranlagte Pyromane Lubbe, dass die Todesstrafe durch den Strang, von Hitler unter Bruch geltender Rechtsgrundsätze rückwirkend für politische Attentäter eingeführt, dass die sogenannte Lex van der Lubbe für ihn mit größter Wahrscheinlichkeit den Galgentod bedeutete."

Jürgen Wendler schreibt auf http://www.zlb.de/projekte/kulturbox-archiv/brand/wendler.htm :

ZitatVan der Lubbe unter Drogen?
Zu den Merkwürdigkeiten des Falles gehört, dass der gewöhnlich selbstbewusst auftretende junge Mann während der Verhandlung völlig apathisch wirkte. Er sagte nur wenig, und sein Gesicht wurde immer aufgedunsener, Schon damals wurde die Vermutung laut, er stehe unter Drogen. Ein Arzt spekulierte über eine Vergiftung mit Bromsalzen, und von einem der Mitangeklagten gibt es Hinweise, dass van der Lubbes Essen im Gefängnis vergiftet gewesen sein könnte. Dies konnte jedoch niemals überprüft werden; die NS-Führung verweigerte die Herausgabe der Leiche, die Obduktion unterblieb.

Bahar und Kugel führen akribisch alle Anhaltspunkte für die Vermutung auf, dass der Holländer von den Nationalsozialisten geschickt benutzt worden sein könnte, ohne dass ihm dies klar gewesen wäre. Eine Rolle spielt dabei auch der Hypnotiseur Erik Jan Hanussen, der trotz seiner jüdischen Abstammung intensive freundschaftliche Kontakte zu hohen SA-Führern pflegte. Er soll kurz vor dem Reichstagsbrand mit van der Lubbe zusammengetroffen sein und ihn dabei in den "Trancezustand des Pyromanen" versetzt haben - so schilderte es jedenfalls 1935 Walther Korodi, der vor seiner Emigration in die Schweiz Leiter der Nationalen Abwehrstelle gegen bolschewistische Umtriebe war. Hanussen wurde im März 1933 von SA-Leuten ermordet. Weil die polizeilichen Ermittlungsakten bis heute verschollen sind, bleiben die Hintergründe im Dunkeln.

Iring Fetscher schreibt auf http://www.zlb.de/projekte/kulturbox-archiv/brand/fetscher3.htm#fischler :

ZitatDie seinerzeit veröffentlichten Fotos des Angeklagten während des Prozesses legten zudem stärkere Beeinflussung durch Medikamente oder u.U. auch durch Suggestion nahe. [...] Die labile Verwirrtheit des Angeklagten macht jedenfalls seine Suggestibilität eher wahrscheinlich als daß sie ausgeschlossen wäre.

Hier noch ein Link zu einer Seite mit einem Bild, auf dem Van der Lubbe während des Prozesses zu sehen ist:

http://www.willy-brandt.org/bwbs_biografie/Reichstagsbrand_B1101.html

Gruß

Hochseefischer

Hartzbeat

@ Hochseefischer,
Deine erste Frage war doch, wenn ich mich recht erinnere, ob van der Lubbe den Reichstag
a) allein
b) als Werkzeug der Nazis
c) als Werkzeug der Kommunisten
angesteckt hat?

Ich hatte mich für a) aufgrund seines Lebenslaufes entschieden. Hinzu kommt:
ZitatVan der Lubbe erklärte in der Voruntersuchung, er habe den Reichstag allein angesteckt. Er gab auch in der Hauptverhandlung vor dem Leipziger Reichsgericht keine andere Erklärung ab, obwohl der Ankläger und das NS-Regime zweifellos daran interessiert waren, dass er die mitangeklagten Kommunisten belastete, darunter Dimitroff und den deutschen kommunistischen Abgeordneten Torgler. [...] sie wollten die angeklagten kommunistischen Führer als Mittäter verurteilt sehen. Das gelang nicht. Alle Mitangeklagten wurden wegen "Mangels an Beweisen" freigesprochen. Wäre also van der Lubbe ,chemisch behandelt' worden, so wäre diese Behandlung ohne Effekt gewesen.
(Quelle: http://www.zlb.de/projekte/kulturbox-archiv/brand/benz2006_2.htm#12)

Genau so sehe ich das ebenfalls, d.h. letzlich spielt es keine Rolle, ob er unter Drogen stand oder seine geistige Urteilskraft beeinträchtigt war, er ist bei seiner Aussage (bei Inhaftierung) geblieben und hat sein Geständnis weder wiederrufen noch andere dieser Tat beschuldigt.

Da Du aber diese Frage aufgeworfen hast...
ZitatIst Van der Lubbes Geisteszustand während des Prozesses durch Drogen oder Hypnose manipuliert worden?
Ja, das scheint mir anhand des Bildmaterials möglich. Van der Lubbe wirkt sediert und sein Gesicht ist aufgedunsen, wenn man die Prozessfotos mit dem Tatort-Foto kurz nach der Inhaftierung vergleicht.
(Quelle: http://www.zlb.de/projekte/kulturbox-archiv/brand/bilder.htm)
Auf dem Tatort- und früheren Fotos wirkt er wacher und sein Gesicht schmaler. Dennoch haben Manipulationen bei ihm nicht gewirkt, er blieb ja bei seiner ersten Aussage. Was ist also an der Drogengeschichte so wichtig?

fragt sich Hartzbeat

Hochseefischer

@Hartbeat

Zitat@ Hochseefischer,
Deine erste Frage war doch, wenn ich mich recht erinnere, ob van der Lubbe den Reichstag
a) allein
b) als Werkzeug der Nazis
c) als Werkzeug der Kommunisten
angesteckt hat?

Ja, ich weiss. Mir sind sozusagen die Pferde durchgegangen, bin vom Thema abgeschweift ("Sechs, Hochseefischer, setzen") ;)

ZitatWas ist also an der Drogengeschichte so wichtig?

Weil das ein Aspekt einer Sache ist (Reichstagsbrand), der mich sehr interessiert. Außerdem tut mir das Schicksal von Marinus van der Lubbe leid.

Gruß

Hochseefischer

Hartzbeat

@ Hochseefischer,
Pferde durchgehen lassen, gehört einfach zum Handwerk, ist nicht weiter schlimm.

Dass Dir van der Lubbe leid tut, ist nachvollziehbar - angesichts des Schicksals und des Lebenslaufes dieses einfachen, aber leidenschaftlichen Menschens. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass wir das allesamt gerne tun mit solchen vom Schicksal "ungerecht" behandelten Leuten, erwähne hier nur die Geschwister-Scholl und viele ungenannte Widerstandskämpfer, die neben ihrer Berühmtheit auch den Tod erfahren haben. Warum?

Könnte man nicht mal sachlich feststellen, dass es nicht nur notwendig ist, die Schlichen, Ungerechtigkeiten, Lügen etc. eines Systems zu erkennen, sondern auch wirklich die richtigen Mittel gegen solche Systeme anzuwenden?

Was nützt uns eine lange Denkmalerei all derjenigen, die sich vorgewagt haben und allesamt ihr Leben (und damit ihre wertvollen Gedanken und Erfahrungen) lassen mussten?

Hat diese Verehrung etwa Methode?
Mir kam neulich sogar der Gedanke, dass uns vielleicht auch dabei das derzeit bestehende Herrschergeschlecht (darunter haufenweise - nur vordergründig - gereinigte Imperialisten, Nazis, Neoliberale, Reaktionäre) prima in die falsche Richtung manipuliert.

Solange wir "gescheiterte" Helden feiern und diese zur "Nachahmung" verleiten, sind sich die "Heldendefinierer" sicher, dass wir den gleichen Fehler machen wie unsere "Idole" - wir werden mit deren Vorbildhandlungen einfach scheitern. Sei es faktisch durch sozialen oder wahrhaftigen Tod.

Wo sind die Helden, die durch ihr überlegtes angemessenes Handeln Erfolg hatten? Kennt jemand solche? Vielleicht könnten wir von solchen erheblich effizienter lernen als von Marinus von der Lubbe?

Mal sehen, ob man mit genauer Taxierung des Gegners und guter taktischen Überlegung dennoch gegen solche Systeme angehen und trotzdem sozial wie reell am Leben bleiben kann? Wäre das nicht erstrebenswerter?

fragt sich Hartzbeat

Irrlichtprojektor

schönes Thema Hartzbeat,

Helden habe ich erst kürzlich wieder entdeckt. Die Nordhausener Kollegen mit ihrer Strike Bike Aktion. Die durch Eigeninitiative für allerhand "Stress" bei den "Entlassern" gesorgt haben und auch ohne stilisierten "Überheld" auskamen.

Held! -> Leidenschaft, Patriotismus, Selbstaufgabe? Wären so meine ersten Schlagwörter die mir dazu einfallen würden.

Kritisch betrachtet als Anleitung zum "Held" werden könnte man es auslegen in , ,
Danach taugt man recht gut beispielgebend als das Vorbild dargestellt zu werden.

Sind Helden künstliche Produkte?
Auf Grundlage von Systemen oder Ideologien sehr wahrscheinlich.

Dennoch ist oben genanntes ungenau, denn es gibt ja noch die "persönlichen Helden". Vater, Mutter, Geschwister, Kollegen oder eben auch Personen die nicht in den "Genuss" eines "Personenkultes" gekommen sind aber dennoch beachtliches, vorbildhaftes, erstrebenswertes zustande gebracht haben.

gruß irrlicht

Edit: Ist vielleicht aus dem Zusammenhang heraus gerissen, übergeht es dann einfach.

Hartzbeat

@ Irrlichtprojektor,
danke Dir für diese wichtige, nicht zu vernachlässigende Ergänzung:
ZitatDennoch ist oben genanntes ungenau, denn es gibt ja noch die "persönlichen Helden". Vater, Mutter, Geschwister, Kollegen oder eben auch Personen die nicht in den "Genuss" eines "Personenkultes" gekommen sind aber dennoch beachtliches, vorbildhaftes, erstrebenswertes zustande gebracht haben.

Gebe Dir darin völlig Recht. Diese "nahen" Helden, die sowas zustande gebracht haben, sind auch meist noch am Leben und hatten - je nach Tat - auch meist recht guten Erfolg auf diesem oder jenem Gebiet. Persönlich überprüfbarer und weniger durch das System instrumentarbar sind sie zudem. Sich an diesen Orientierung zu suchen, wäre machbar und jetzt wäre nur noch zu überlegen, wie man deren Taten mehr und mehr in die politische Landschaft übertragen kann?

Dazu überlege ich gerade, dass diese - uns nahen - Helden zu politischen Aktionen teilweise ebenfalls ihre eigene Vorgehensweise entwickelt haben - und muss feststellen, sie haben es oft ohne Gewalt und vermehrt eher durch demokratische Aktionen getan.

REgrüßt Hartzbeat

Hochseefischer

@Hartzbeat
 
Zu Deiner Frage (ich erlaube mir mal, sie genauer auszuformulieren):

Warum tun einem Menschen leid, die aufgrund ihres Widerstands + ihres Kampfes für eine gerechte Sache + gegen ein unmenschliches und tödliches Systems dran glauben mussten?

Antwort: Immerhin gibt es Menschen, denen solche Schicksale leid tun. Denn es gibt auch Menschen, denen sind solche Schicksale schnuppe. Ist doch schon mal was, wenn man mitempfinden kann ...

ZitatHartzbeat: Könnte man nicht mal sachlich feststellen, dass es nicht nur notwendig ist, die Schlichen, Ungerechtigkeiten, Lügen etc. eines Systems zu erkennen, sondern auch wirklich die richtigen Mittel gegen solche Systeme anzuwenden?

Was sind "richtige Mittel"? Die Wahl der Mittel hängt mir zufolge davon ab, welche Art von System geändert werden soll.
Ich bin nicht für Gewaltmittel in einem System, das nicht diktatorisch ist.
Es gibt ja auch Mittel, die auf nicht-gewalttätige Weise Dinge ändern wollen. Beispiel: Attac. Selbst das Mittel "Parlamentarismus" kann die Dinge ändern, indem eine Partei gewählt wird, die das Potential hat, Ungerechtigkeiten zu korrigieren.

ZitatHartzbeat: Was nützt uns eine lange Denkmalerei all derjenigen, die sich vorgewagt haben und allesamt ihr Leben (und damit ihre wertvollen Gedanken und Erfahrungen) lassen mussten?

Man kann sich fragen: hätte ich in der gleichen Situation auch so gehandelt? Das dient der Selbstreflektion.
 
ZitatHartzbeat: Hat diese Verehrung etwa Methode?

Nein, ich glaube nicht, dass wir von irgendwas oder -jemanden in dieser Hinsicht manipuliert werden, falls Du das meinst.

ZitatHartzbeat: Mir kam neulich sogar der Gedanke, dass uns vielleicht auch dabei das derzeit bestehende Herrschergeschlecht (darunter haufenweise - nur vordergründig - gereinigte Imperialisten, Nazis, Neoliberale, Reaktionäre) prima in die falsche Richtung manipuliert.

Ich glaube, dass versucht wird, die breiten Massen der Bevölkerung eher durch einseitige ("mehr Eigenverantwortung! Weniger Staat!") oder abstumpfende Fernsehsendungen (z.B. Kochsendungen) ruhig zu halten.
 
ZitatHartzbeat: Solange wir "gescheiterte" Helden feiern und diese zur "Nachahmung" verleiten, sind sich die "Heldendefinierer" sicher, dass wir den gleichen Fehler machen wie unsere "Idole" - wir werden mit deren Vorbildhandlungen einfach scheitern. Sei es faktisch durch sozialen oder wahrhaftigen Tod.

Wie soll sich denn der nicht-manipulierte Held verhalten?

ZitatHartzbeat: Wo sind die Helden, die durch ihr überlegtes angemessenes Handeln Erfolg hatten? Kennt jemand solche?

Vielleicht Ghandi? Martin Luther King?

ZitatHartzbeat: Mal sehen, ob man mit genauer Taxierung des Gegners und guter taktischen Überlegung dennoch gegen solche Systeme angehen und trotzdem sozial wie reell am Leben bleiben kann? Wäre das nicht erstrebenswerter?

I agree ;)

Kater

Buchhinweis:

ZitatInternationales van der Lubbe-Komitee
Marinus van der Lubbe und der Reichtagsbrand. - übers. a. d. Niederländischen u. hrsg. v. Josh van Soer. - 1. Aufl. - Hamburg: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, 1983. - 179 S., div. Abb.

(...)

Aus Protest gegen das "Braunbuch" entstand in den Niederlanden 1933 das (hier vorliegende) "Roodboek" ("Rotbuch"), zusammengestellt von einigen Freunden van der Lubbes, die wie er Rätekommunisten waren.

http://projekte.free.de/dada/dada-l/L0000364.HTM

das Buch ist vergriffen, man kann es aber noch antiquarisch erwerben

http://cgi.zvab.com/SESSz182787216911201378371/cgi-bin/n_xsearch.cgi?uc=de&shp=0&dcurr=EUR&noimg=0&lang=de&term=Lubbe+Nautilus&days=--&x=23&y=10

jensen-ex

ZitatOriginal von Kater
Buchhinweis:

ZitatInternationales van der Lubbe-Komitee
Marinus van der Lubbe und der Reichtagsbrand. - übers. a. d. Niederländischen u. hrsg. v. Josh van Soer. - 1. Aufl. - Hamburg: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, 1983. - 179 S., div. Abb.

(...)

Aus Protest gegen das "Braunbuch" entstand in den Niederlanden 1933 das (hier vorliegende) "Roodboek" ("Rotbuch"), zusammengestellt von einigen Freunden van der Lubbes, die wie er Rätekommunisten waren.

http://projekte.free.de/dada/dada-l/L0000364.HTM

das Buch ist vergriffen, man kann es aber noch antiquarisch erwerben

http://cgi.zvab.com/SESSz182787216911201378371/cgi-bin/n_xsearch.cgi?uc=de&shp=0&dcurr=EUR&noimg=0&lang=de&term=Lubbe+Nautilus&days=--&x=23&y=10


Hm, ich hab mich mal darangemacht, das Roodboek einzuscannen, aber im Moment ist das noch ne riesige Datei (ca. 800 MB bei etwas mehr als 150 Seiten), ich krieg die bei den derzeitigen Scanergebnissen aber auch nicht kleiner komprimiert.
So it goes.

Kurt Vonnegut

Hartzbeat

Moin, moin Hochseefischer,
danke Dir vorab für Deine Antwort, die ich in einigen Punkten sehr interessant fand. Leider habe ich das Thema "Marinus van der Lubbe" bei meinem Beitrag etwas vernachlässigt - sorry. Stattdessen kommt es nun mehr zu Erläuterungen zum Thema Helden". Falls Dich ausschließlich van der Lubbe interessiert hat, gehe ich hier nur auf Deinen letzten Beitrag ein und widme mich dann später wieder van der Lubbe.

ZitatWas sind "richtige Mittel"? Die Wahl der Mittel hängt mir zufolge davon ab, welche Art von System geändert werden soll. Ich bin nicht für Gewaltmittel in einem System, das nicht diktatorisch ist. Es gibt ja auch Mittel, die auf nicht-gewalttätige Weise Dinge ändern wollen. Beispiel: Attac. Selbst das Mittel "Parlamentarismus" kann die Dinge ändern, indem eine Partei gewählt wird, die das Potential hat, Ungerechtigkeiten zu korrigieren.

Die richtigen Mittel wären meiner Ansicht nach so zu wählen, dass JEDER von uns sie anwenden könnte - dann braucht es weniger "Helden", meine ich. Zumal es in BRDigen Landen durchschnittlich nur 2% Helden gibt. Das Mittel sollte...
a) dem Ziel angemessen (wirkend)
b) für jeden oder viele machbar (ohne besondere Qualifikationen)
c) möglichst bequem und leicht anzuwenden (parlamentarisch, rechtlich) sein.

Es bedarf - bei richtiger Mittelanwendung - also keiner Todesfälle, keines überaus hohen Risikos für den einzelnen und keines sozialen Abstieges, was wir bei den "vergangenen Helden" (†) leider immer feststellen mussten.

Meine Frage, was uns eine lange Denkmalerei all derjenigen nütze, hast Du mit dem Satz ...
Zitat[...] Man kann sich fragen: hätte ich in der gleichen Situation auch so gehandelt? Das dient der Selbstreflektion.
... sehr treffend beantwortet. Stimme dem voll und ganz zu.

Ich glaube nicht nur, dass versucht wird, die breiten Massen der Bevölkerung eher durch einseitige ("mehr Eigenverantwortung! Weniger Staat!") oder abstumpfende Fernsehsendungen (z.B. Kochsendungen) ruhig zu halten. Man hört es ja auch - ohne Umschweife - als nicht kaschierte Forderung der CDU- und FDP-Politiker. Auch SPD und Grüne hatten kürzlich noch innerhalb der Hartz-"Reform" fleißig mitgefordert.

Du fragst...
ZitatWie soll sich denn der nicht-manipulierte Held verhalten?
Ich hatte das nicht erfragt. Wieso ergibt sich bei Dir die Frage nach "nicht-manipulierten" Helden? Meiner Ansicht gibt es die nicht, weil wir alle aufgrund unserer Erziehung par excellence "manipuliert" sind - das heißt aber nicht, dass man nicht die richtigen Ziele mit den richtigen (siehe oben) Mitteln verfolgen kann. Jeder ist dazu fähig, jeder ein Held nach meiner Vorstellung, wenn das Ziel erreicht und niemand "umsonst" gestorben oder verfemt ist.

Deshalb schrieb ich: Solange wir "gescheiterte" Helden feiern und diese zur "Nachahmung" verleiten, sind sich die "Heldendefinierer" sicher, dass wir den gleichen Fehler machen wie unsere "Idole" - wir werden mit deren Vorbildhandlungen einfach scheitern. Sei es faktisch durch sozialen oder wahrhaftigen Tod. Also möchte ich aufräumen mit dem Mythos, dass nur ein toter Held ein guter Held ist. Gut dosierte gelegentliche Feigheit statt impulsives, radikales Vorpreschen sowie eine gewisse Verschwiegenheit, Verdecktheit bzw. Geheimhaltung sind gute Lebensretter und weitau bessere Heldenbewahrer für unsere Nachfahren. Räumen wir mit den Mythen auf.

Ich hatte nach Helden, die durch ihr überlegtes angemessenes Handeln Erfolg hatten, gefragt und Du präsentierst mir Ghandi (Mahatma Gandhi) und Martin Luther King. Obgleich ich ihre Ideen schätze, muss ich die Vorgehensweise, wie sie ihre Ziele vertreten haben, ablehnen. Die sind beide ermordet (erschossen) in Ausübung ihres Heldentums, soweit ich unterrichtet bin. Diese hatte ich ausdrücklich - weil tot und für mich kein echtes machbares Vorbild - nicht gemeint. Davon gibt es zuhauf, das hatte ich moniert - oder?

In diesem Sinne
Hartzbeat

Hochseefischer

ZitatReichstagsbrand 1933
Brennende Fragen
Von Uwe Soukup

Noch immer ist der Reichstagsbrand von 1933 nicht geklärt. Neue Hinweise lassen zunehmend an der Alleintäter-These zweifeln. So soll die SA Marinus van der Lubbe kurz vor dem Brand einen Spezial-Ausweis ausgestellt haben.

http://www.tagesspiegel.de/wissen/reichstagsbrand-1933-brennende-fragen/11176620.html

Rudolf Rocker

ZitatWird Geschichte zum Reichstagsbrand neu geschrieben?
Es ist eines der rätselhaftesten Kapitel der Zeitgeschichte - und nur die wenigsten wissen, dass ausgerechnet Männer aus Hannover dabei eine wichtige Rolle spielten. Es geht um die Deutungshoheit eines Ereignisses, um die Geschichtsschreibung eines Wendepunktes in der deutschen Geschichte. Es geht um den Reichstagsbrand in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933. Damals ging das deutsche Parlament in Flammen auf. Die politischen Folgen waren verheerend: Die Nationalsozialisten erließen Verordnungen, die das Verhaften von politischen Gegnern möglich machten. Als Brandstifter verurteilt wurde nur eine einzige Person: der Holländer Marinus van der Lubbe. "Man kann es in Schulbüchern lesen, man kann es im Brockhaus lesen, offizielle Geschichtsschreibung ist: Ein Täter, Marinus van der Lubbe, hat den Reichstag angezündet. Es gibt viele Zweifel und sehr viele Zweifler, gezweifelt wird zu Recht", sagt Karola Hagemann vom Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen. Sie ist Teil eines Teams im LKA, das die Vergangenheit der Behörde nach dem Krieg erforscht.
http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Wird-Geschichte-zum-Reichstagsbrand-neu-geschrieben,reichstagsbrand100.html

ManOfConstantSorrow

Interessant!

Daß wir auf klärende historische Recherche ausgerechnet vom LKA hoffen können, ist ja schon überraschend.

ZitatDas Interesse ... gilt vor allem dem ersten Leiter des Landeskriminalpolizeiamtes. Er heißt Walter Zirpins und ist ein Mann, der unter den Nazis Karriere gemacht hatte. Nach dem Krieg fasste er als hochrangiger, einflussreicher Kriminalbeamter in Hannover Fuß.
... Im niedersächsischen Innenministerium der fünfziger Jahre trifft Zirpins auf eine weitere interessante Person. Sein Name ist Fritz Tobias. Er baut in Niedersachsen nach dem Krieg den Geheimdienst, die Nachrichtenpolizei, auf.
...  Steuerte Fritz Tobias diese Geschichtsschreibung von Hannover aus in vollem Bewusstsein? Dafür gibt es Anzeichen.
... Die Ein-Täter-Theorie könnte also von interessierten Polizeikreisen in Hannover über einen Verfassungsschützer, der im Spiegel schrieb, gesteuert worden sein. Und einer der Profiteure könnte Walter Zirpins gewesen sein. Aber auch Rudolf Diels, ehemaliger Gestapo-Chef, lebte mittlerweile in der niedersächsischen Hauptstadt. ...

Ich bin gespannt.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Kuddel

ZitatSA-Mann will an Reichstagsbrand beteiligt gewesen sein

Jahrzehntelang galt der Holländer van der Lubbe als Einzeltäter. Ein Archivfund in Hannover stellt diese These nun massiv in Frage.

(...)
Die Nazis hielten sich damals nicht allzu lange mit der Tätersuche auf. Noch am Ort des Brandes soll Reichsminister Hermann Göring die Marschroute vorgegeben haben. ,,Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagen! Es darf keine Minute versäumt werden", soll er ausgerufen haben.
(...)
Schon am Tag nach dem Brand folgte die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, mit der die Grundrechte aus der Weimarer Verfassung wieder außer Kraft gesetzt wurden und der legalen Verfolgung politischer Gegner quasi keine Grenzen mehr gesetzt waren. Der Weg in die Diktatur war mit dieser Notstandsverordnung geebnet.
(...)
Allein in Berlin wurden noch in der Brandnacht weit über 1.000 KPD-Mitglieder festgenommen. Andere stellten sich freiwillig, um der Behauptung, an dem Brand beteiligt gewesen zu sein, entgegenzutreten. Auch Sozialdemokraten und andere Gegner der Nazis gerieten schnell ins Visier des Regimes. Doch die Mär von der politischen Linken, die in den Brand verstrickt gewesen sein soll, konnten die Nationalsozialisten nicht lange aufrecht erhalten.
(...)
In der eidesstaatlichen Versicherung erklärt Hans-Martin Lennings, dass er selbst in der Brandnacht den verurteilten van der Lubbe erst zum Tatort gebracht habe.
(...)
Lennings wurde im Jahr 1904 im heutigen Wuppertal geboren. Er starb 1962. Seine Erklärung habe er im Jahr 1955 für den Fall notariell abfassen lassen, dass es zur damals diskutierten posthumen Wiederaufnahme des Prozesses gegen van der Lubbe gekommen wäre. Das Papier dokumentiert erstmalig die eigene Aussage eines früheren Mitglieds der NSDSAP, in die Brandstiftung verstrickt gewesen zu sein.

Diese Versicherung bringt die jahrzehntelang gängige These der Einzeltäterschaft van der Lubbes, von der bislang die meisten Historiker ausgingen, zumindest ins Wanken. Zweifel daran gab es schon lange: Zuletzt hatte der New Yorker Historiker Benjamin C. Hett im Jahr 2016 in einem Buch Belege dafür zusammengetragen, dass der Reichstagsbrand nicht von Marinus van der Lubbe allein gelegt worden sein kann.

Über das jetzt in Hannover aufgetauchte Papier sagte Hett der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung": ,,Ein Dokument wie diese Erklärung hätte ich gern für mein Buch gehabt."
https://www.fr.de/politik/sa-mann-will-reichstagsbrand-beteiligt-gewesen-sein-12861189.html

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