Beratungsarbeit, politische Organisierung und Erwartungshaltungen

Begonnen von admin, 13:52:48 Fr. 25.Mai 2018

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admin

Ein Thema eher für den Praxisbereich?

Es geht hier darum, warum man sich in einer Beratungsarbeit engagiert. Was man davon erwartet und wie die praktischen Erfahrungen mit dieser Arbeit sind. Das sind ganz wesentliche Fragen, deshalb fange ich hier einen neuen Diskussionstrang an, weil die Gedanken dazu nicht in dem "Termine"-Bereich untergehen soll.

Zitat von: tleary am 22:57:25 Fr. 18.Mai 2018
Zitat von: admin am 13:20:33 Mi. 09.Mai 2018
Das wird problematisch, wenn es reine Diensleistung wird. Und wenn Leute glauben, sie hätten Anspruch auf diese unbezahlte Dienstleistung, sonst aber null Interesse an Soldiarität und gemeinsamer Gegenwehr haben.
Darüber habe ich die letzte Zeit auch nachgedacht. Ein möglicher Lösungsansatz wäre, daß man demjenigen anbietet, bei "Ämterstreß" zwar zu helfen. Andererseits ihm aber auch klar macht, daß man erwartet, daß er sich dafür im Gegenzug an einigen Aktionen (Flugblattverteilung, Plakate kleben, "Mitläufer" für andere Jobcenter-Geknechtete) - zumindest für einen begrenzten Zeitraum - beteiligt. Erklärt er sich grundsätzlich dazu nicht bereit, schickt man ihn zu Institutionen, die auf solche Kämpfe gegen das "Abwehren" von Ansprüchen der Prekarisierten ohnehin besser gerüstet sind: z.B. a) durch eine Gewerkschaftsmitgliedschaft, um damit ihn den Genuß von Rechtsschutz und -beratung in Arbeitsrechsfragen zu kommen oder b) denjenigen zum Mieterverein schicken oder c) zur Caritas, VdK etc., die auch dafür bezahlt werden, sich um solche Dinge zu kümmern. Die Mitgliedschaftsbeiträge in diesen Vereinen sind auch nicht so teuer, so daß sie sich auch ein Hartz-IV-Empfänger noch leisten können sollte. Kann derjenige sich das nicht leisten, und will auch sonst nicht bei Aktionen mitarbeiten, sollte man keine Unterstützung leisten. Ansonsten vergeudet man glaube ich nur seine Energie mit "Charity". Man mag den einzelnen dann zwar mit viel Aufwand aus der Patsche geholfen haben, aber es bleibt keine Zeit mehr für den wichtigeren politischen Kampf und die Agitation gegen dieses System der Unterdrückung und Ausbeutung. - Und das muß unbedingt Priorität haben!

Zitat von: admin am 09:03:52 Sa. 19.Mai 2018
Du bist nicht der erste, der sich diese Gedanken macht.

Es ist wichtig, eigene Aktivitäten regelmäßig zu hinterfragen und, wenn nötig, Konsequenzen daraus ziehen.
Als das Jobcenter in Kiel den "Kunden" empfahl, zum Erwerbslosenfrühstück zu gehen für eine Beratung, stellte die Initiative dieses Angebot ein. Man wollte nicht unbezahlter Teil der Erwerbsosenmaschinerie werden.

Aktivsten in der Flüchtlingsberatung machten ähnliche Erfahrungen. Sie wurden von Migranten mit der Haltung konfrontiert, ihnen würde diese Dienstleistung zustehen, aber bitte zackzack!

Es muß klargestellt werden, daß man es unbezahlt macht, einmal aus purer Mitmenschlichkeit, weil man es nicht erträgt, wie jemand im Stich gelassen wird und bösartigen Behörden ausgeliefert ist, und aus politischen Gründen: Man glaubt an das Prinzip der Solidarität. Gegenseitige Hilfe als Gegenmodell zu Konkurrenzkampf und nur auf Kohle ausgerichtetes Handeln. Wenn Leuten dieses Prinzip der Solidarität scheißegal ist, dann sollen sie doch sehen, wie weit sie mit der neoliberalen Einzelkämpfermentalität kommen. Fuck off and die!

In Griechenland hat sich unter der sozialen Not ein Netzwerk der Solidarität entwickelt. Weil viele auch ihre Krankenversicherung verloren haben, bieten Ärzte kostenlose Behandlungen an. Viele weisen darauf hin, genau wie du es vorgeschlagen hast, daß man sich revanchieren kann durch solidarisches Handeln: Teilnahme an einer Demo, Flugblattverteilen, Küchendienst in einem besetzten Hotel, das als Flüchtlingsunterkunft dient...

Zitat von: Onkel Tom am 21:11:22 Mo. 21.Mai 2018
Zitat von: admin am 09:03:52 Sa. 19.Mai 2018
...
Wenn Leuten dieses Prinzip der Solidarität scheißegal ist, dann sollen sie doch sehen, wie weit sie mit der neoliberalen Einzelkämpfermentalität kommen. Fuck off and die!
...

Ich vermute, das dieses unsolidarische Verhalten seid Anfang 2005 stark zugenommen hat.

Bis ca. 2010 hatte das bei der Erwerbslosenselbsthilfe (ELSE) noch ganz gut geklappt, sich
gegenseitig zu begleiten etc. Ich hatte auch auf gegenseitigkeit plädiert u.s.w. aber nun ein
Ratsuchenden vor der Wahl zu stellen "Entweder machst Du dann bei uns mit oder kannst
dir den Rat woanders holen" funzt überhaupt nicht, geht sogar voll nach hinten los, das nicht
nur mögliche Mitstreiter weg laufen, sondern anbei noch darüber negativ getratscht wird..

Um Erfahrungen zu sammeln, welche Abwehrmasnahmen funzten oder scheitern, war es
sogar zu viel erwartet, das Ratsuchende wieder kommen um zu berichten, ob was geklappt
hat oder nicht.. Nachdem ich bei einem interesannten Fall eine Woche später den Betroffenen
anrief, um ein Ergebnis zu erfahren, dauerte es nicht lange, das es hieß "Die ELSE telefoniert
den Ratsuchenden hinterher"..

Ich habe die Erfahrung gemacht, das bei ca. 100 Ratsuchende 1 bis 2 sich nach ihren
Erfolgserfahrungen gegen das JC-Tamtam, bereit waren, mit zu machen. Den gleichen
Eindruck habe ich auch aus der Internetwelt..

Ansätze, der zu Mitstreitergewinnung dienen ist Kontinuität und wenn es um Aktion etc. geht,
es anbei durch Piffigkeit und Aktionsformen für Mitstreiter sogar lustig wird.
Ach ja, Neugierde trägt auch ganz gut dazu bei..  ;D

Jo, das ist schon ein Problem, wenn Bewegung nur anhand möglicher Vorteile zu wuppen ist.

Zitat von: tleary am 13:22:21 Fr. 25.Mai 2018
Zitat von: Onkel Tom am 21:11:22 Mo. 21.Mai 2018
Nachdem ich bei einem interesannten Fall eine Woche später den Betroffenen
anrief, um ein Ergebnis zu erfahren, dauerte es nicht lange, das es hieß "Die ELSE telefoniert
den Ratsuchenden hinterher"..
Toll, da wird man auch noch als Stasi-Spitzel hingestellt, wenn man sich danach erkundigt hat, wie es in einem Jobcenter-Fall weiterging.

Zitat
Ich habe die Erfahrung gemacht, das bei ca. 100 Ratsuchende 1 bis 2 sich nach ihren
Erfolgserfahrungen gegen das JC-Tamtam, bereit waren, mit zu machen. Den gleichen
Eindruck habe ich auch aus der Internetwelt..
Also, das ist ja eine erschütternd miese Quote!

Zitat
Ansätze, die zu Mitstreitergewinnung dienen, ist Kontinuität und wenn es um Aktion etc. geht,
es anbei durch Piffigkeit und Aktionsformen für Mitstreiter sogar lustig wird.
Ach ja, Neugierde trägt auch ganz gut dazu bei..  ;D
"Spiele fürs Volk", sozusagen. - Aber Klassenkampf ist halt kein Unterhaltungsspiel, sondern oft blutiger Ernst.

Zitat von: Onkel Tom am 21:11:22 Mo. 21.Mai 2018
Ich vermute, das dieses unsolidarische Verhalten seid Anfang 2005 stark zugenommen hat.
Im Prinzip ist es in diesem kapitalistischen Konkurrenzsystem selbst schon immer angelegt gewesen. Und das gibt's schon viel länger als erst seit 2005. Es wird ja von den Herrschenden allseits gepredigt "Jeder ist seines Glückes Schmied" und das an den Egoismus des einzelnen zielende "Streben nach Glück". Man soll sich also einzig um sein eigenes Fortkommen innerhalb dieser Konkurrenzgesellschaft kümmern. Daß dabei auch "Verlierer" erzeugt werden, ist zwangläufig. Diese Konkurrenz, mit der die Menschen täglich in der Arbeitswelt und auch außerhalb konfrontiert werden, prägt sie natürlich bis in den letzten Winkel ihrer privaten Beziehungen und führt letztendlich dazu, daß auch zwischenmenschliche Beziehungen nur noch unter "Kosten-/Nutzengesichtspunkten" gesehen werden.

Onkel Tom

Zitat
"Spiele fürs Volk", sozusagen. - Aber Klassenkampf ist halt kein Unterhaltungsspiel, sondern oft blutiger Ernst.

Naja, man kann es so auffassen, doch wenn man sich darüber Gedanken
machen muss, ausreichend Mitstreiter_innen herbei zu locken, kommt man
mit einer reinen "Protestbekundungs-Latschdemo" nicht wirklich weiter,
gerade dann, wenn es um Protest geht, der weniger Mitmenschen betrifft.

Anbei ist Konzeption nicht allein auf mein Mist gewachsen. Ich habe an
Vorbereitungen der Euromayday Hamburg teilgenommen und konnte
somit denen über die Schulter schauen, welche Punkte anbei eine Rolle
spielen, Mitstreiter_innen oder Demoteilnehmer_innen zu mobilisieren..

Protest ist ja natürlicherweise immer mit negativen Eindrücken bis hin zu
Wutgefühlen verbunden. Einerseits sollte bei einer Aktion der Protest vorne
an an den Pranger gestellt werden, doch das alleinig führt bei vielen zu
noch mehr Frust und Wut..

Ein Protest krabbelt so langsam aber sicher den Eskalationsstufen
hinauf und es ist dann eine Frage der Zeit, ob die Organisatoren
diese Eskallationsspirale im Griff halten können oder die Polizei daraus
Nutzen ziehen kann, eine Versammlung vorzeitig auf zu lösen.

Ich finde, das es nicht verkehrt ist, Protestaktionen auch mit Elementen
zu bestücken, worüber Mitstreiter_innen auch was zu schmunzeln zu
bekommen.

Hedunismus hin oder her.. Frustausdruck und Fun sollten m.E. soweit im
Gleichgewicht liegen, das Neulinge und Erfahrene gleichermaßen nach
der Aktion das Gefühl mit nach Hause nehmen :

"Jo, das hat Spaß gemacht und unsere Gegner waren alles andere als
begeistert.."

Und je nach dem, warum man protestiert, können künstlerische Einlagen
dazu beitragen, das es was zu schmunzeln oder lachen gibt.

Beim G20-Protest in Hamburg kamen solche Aktionsformen auch zu
Tage und hat den Wutpegel, bezüglich wie sich die Polizei zu der Zeit
verhielt, um einiges abgemildert.

Besser so, als eine "rundum gelungene Polizeiübung gegen Aufstand"
erleben zu müssen.. Dudde war ja auf sowas oder ähnliches heiß drauf,
in Form seiner "Null Toleranz Politik". Jo richtig durchgeballert.

::)
Lass Dich nicht verhartzen !

Kuddel

Ich war gerade bei einem Treffen einer Stadtteilinitiative.
Sie macht u.a. Mieterarbeit und erreichte mit in Briefkästen verteilten Flyern und Infoständen im Stadtteil viele Mieter der Vonovia (Dax Konzern und mit 350.134 verwalteten Wohnungen das größte Wohnungsunternehmen und der größte private Vermieter Deutschlands.) Die Mieter reagierten sehr positiv. Jetzt wird eine Mieterversammlung vorbereitet. Es wurde diskutiert, daß es nicht allein darum geht, daß die Mieter sich wehren, sondern, daß sie sich gemeinsam wehren. Es ist ok, wenn sie zum Anwalt gehen und vor Gericht ziehen, doch wichtiger ist es, daß sie sich gemeinsam zeigen, daß sie mit gemeinsamen Forderungen und gut sichtbar an die Öffentlichkeit und die Presse treten.

Eine inspirierende Idee. Die kann man auf viele andere Bereiche übertragen.
Erwerblosenarbeit ist bisher zu sehr auf individuelle Lösungen fokussiert.

Onkel Tom

Zitat von: Kuddel am 13:10:11 So. 15.Juli 2018
...

Eine inspirierende Idee. Die kann man auf viele andere Bereiche übertragen.
Erwerblosenarbeit ist bisher zu sehr auf individuelle Lösungen fokussiert.


Sehe ich auch so, muss jedoch auch verstehen, warum sich das unter Erwerbslosen
so entwickelt hat. Diese stetigen Angriffe des JC sind das Übel des Zustandes.

Ich finde anbei jedoch fazinierend, das es BASTA gelungen ist, eine Brücke von
den Erwerbslosen gegen die Machenschaften des JC mit Amazon zu bauen..

Ich vermute, das die Einsicht wächst, das Erwerbslose, Leiharbeiter und
Festangestellte in einem Boot sitzen und sich nicht untereinander ausspielen
lassen sollten.. Von daher macht anbei Förderung des Zusammenhalt Sinn  ;)
Lass Dich nicht verhartzen !

Kuddel

Ja, genauso habe ich das gemeint.
Es war ja so nervtötend, wie die Diskussion um die Erwerbslosenarbeit vor 1-2 Jahren hier im Forum völlig außer Rand und Band geraten ist und ein Gegensatz zwischen Erwerbslosenarbeit und Betriebsarbeit gezogen und beides gegeneinander ausgespielt wurde. Genau das war unser Problem.

Die Spaltungungen sind ein großes Problem. Es wurde bisher aber auch zu wenig diskutiert, daß die individuelle Hilfe auch schnell an seine politischen Grenzen stößt. Man hilft vielleicht dem Einzelnen, man rüttelt aber nicht an dem bestehenden Unrecht selbst. Ausbeutung, Entrechtung, Veramung, Erniedrigung müssen von den Betroffenen auch als (noch so kleine) Gruppe bekämpft werden. Es gilt über den Widerstand des Einzelkämpfers hinauszukommen!

Gemeinsame Probleme als Schritt zu gemeinsamem Handeln, Solidarität und kollektivem Widerstand.

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