Urteile für behinderte und kranke Menschen

Begonnen von Hajo, 20:17:47 Mi. 07.April 2004

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Hajo

Kfz-Kosten bei Behinderten mit geringer Fahrleistung –

Ein Behinderter kann bei einer Fahrleistung von nur 3601 Kilometer im Jahr die tatsächlichen Fahrtkosten in Höhe von 1,16 Euro pro Kilometer als außergewöhnliche Belastung ansetzen. Er muss sich nicht mit dem Pauschbetrag von 0,30 Euro zufrieden geben. Diese Auffassung vertritt das Finanzgericht Schleswig-Holstein.

Behinderte mit den Merkmalen "aG", "Bl" oder "H" können für alle nicht beruflichen Fahrten neben dem Behinderten-Pauschbetrag 0,30 Euro pro gefahrenem Kilometer als außergewöhnliche Belastung abziehen. Ein höherer Kilometersatz kann geltend gemacht werden, wenn die Fahrleistung außergewöhnlich weit unter den als üblich angesehenen 15 000 Kilometer liegt und deshalb pro gefahrenem Kilometer sehr hohe Aufwendungen entstehen. Wann ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist umstritten. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer Fahrleistung von 6960 Kilometer noch keinen Ausnahmefall gesehen (Urteil vom 13. Dezember 2001, Az: III R 40/99).

In der Revision zur Entscheidung aus Schleswig-Holstein wird sich der BFH erneut mit dieser Frage auseinander setzen müssen (Aktenzeichen: III R 31/03). Er hat damit Gelegenheit, die Anforderungen an einen Ausnahmefall zu konkretisieren. (Urteil vom 19. Mai 2002, Az: 2 K 157/02)



Kasse muss Behindertem keine Einladevorrichtung für Rollstuhl zahlen –

Die Krankenkasse muss einem Schwerbehinderten für seinen Rollstuhl in der Regel keine Vorrichtung zum Einladen ins Auto bezahlen. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden. Die Kasse müsse nur Hilfsmittel für die medizinische Behandlung und die Befriedigung von Grundbedürfnissen bezahlen, urteilte das Gericht. Zu den Grundbedürfnissen gehörten die Bewegungsfreiheit in der eigenen Wohnung und kurze Spaziergänge an der frischen Luft, nicht aber Autofahrten. (AZ.: B 3 KR 23/02 R)



ENERGIEKOSTEN FÜR HILFSMITTEL

Urteil des Bundessozialgericht (BSG) vom 06.02.1997 - 3 RK 12/96,

In dem Urteil vom 06.02.1997 hat das BSG sich mit der Frage befasst, ob die beklagte Krankenkasse für den Strom zum Wiederaufladen des Akkus im Elektrorollstuhl der Klägerin aufzukommen habe. Die Krankenkasse, die der Klägerin den Elektrorollstuhl als Hilfsmittel zuerkannt hatte, lehnte den entsprechenden Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, die Übernahme der Ladekosten gehöre nicht zu ihren Leistungen.

Das BSG hat entschieden:

Der Anspruch auf Versorgung mit dem Hilfsmittel "Elektrorollstuhl mit Akku" umfasst auch die Versorgung mit der zum Aufladen des Akkus erforderlichen Elektrizität bzw. die Erstattung entsprechender Stromkosten. Das BSG stellt zunächst fest, dass gemäß Sozialgesetzbuch V Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln haben, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder per Rechtsverordnung des Bundesministers für Gesundheit von der Versorgung ausgeschlossen sind. Der Bundesminister für Gesundheit kann Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. Die Rechtsverordnung kann auch festlegen, inwieweit die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch was grundsätzlich erstattungsfähig ist - bei Geringfügigkeit der Kosten nicht übernommen wird. Eine solche Verordnung besteht, sieht jedoch den Ausschluss von Ladestrom für Rollstühle nicht vor. Das BSG schickt seiner weiteren Begründung die sehr wichtige Bemerkung voraus, es sei unschädlich, dass die Klägerin für ihre Ansprüche aus der Vergangenheit nicht die Sachleistung, sondern Kostenerstattung für die von ihr bereits an den Stromlieferanten gezahlten Stromgebühren verlange. Denn zum einen gehe es nicht um Leistungen für Zeiträume vor Antragsstellung, denn die Antragstellung für die Betriebskosten eines Hilfsmittels sei bereits in dem Antrag auf das Hilfsmittel selbst, hier also den Elektrorollstuhl, zu sehen. Im übrigen handele es sich um eine unaufschiebbare, nicht rechtzeitig erbrachte Leistung, da die Klägerin auf die Einsatzfähigkeit des Rollstuhls angewiesen sei, so dass ihr ein Kostenerstattungsanspruch zustehe, soweit der Sachleistungsanspruch nicht mehr erfüllt werden könne.

Hierzu muss man wissen, dass im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich das Sachleistungsprinzip gilt. Es kann also normalerweise kein Anspruch auf Kostenerstattung, sondern nur auf die Sachleistung geltend gemacht werden. Eine Ausnahme hiervon regelt § 13 Abs. 3 SGB V: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Falls die erste Alternative - unaufschiebbare Leistung - nicht vorliegt, muss der Versicherte demnach grundsätzlich zunächst die Gewährung der Sachleistung bei der Krankenkasse beantragen. Lehnt diese die Leistung ab und ist diese Ablehnung rechtswidrig, kann der Versicherte sich die Leistung auf eigene Kosten beschaffen und dann Kostenerstattung beantragen. Erweist sich im folgenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren die Ablehnung als rechtswidrig, besteht der Anspruch auf Kostenerstattung. Mit anderen Worten: Handelt es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung und gibt der Versicherte der Krankenkasse keine Möglichkeit zur Prüfung der Notwendigkeit der Leistung beziehungsweise wartet deren (ablehnende) Entscheidung nicht ab, besteht kein Anspruch auf Kostenerstattung. Im Zweifelsfall sollte also immer zunächst ein Antrag auf Sachleistung gestellt werden. Im vorliegenden Fall ging das BSG von einer vorherigen Antragstellung aus und hielt die begehrte Leistung für unaufschiebbar. Weiterhin führt das BSG aus, bei einem Elektrorollstuhl falle unter den Begriff des Hilfsmittels auch der zum Gebrauch erforderliche Akku und das zu seinem Aufladen erforderliche Ladegerät. Der Anspruch auf ein Hilfsmittel umfasse aber - noch weitergehend - alles, was erforderlich sei, um dem Versicherten den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Hilfsmittels zu ermöglichen. Dies müsse kein "körperliche Gegenstand" sein. So habe der Senat in einem früheren Urteil auch die Kosten einer gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung für einen Elektrorollstuhl bereits zugesprochen. Soweit zum Betrieb eines Hilfsmittels auch eine Energieversorgung gehöre, sei diese ebenfalls von der Krankenkasse zu übernehmen. Dementsprechend sei für den Betrieb des Hilfsmittels "Hörgerät" auch die (Erst-) Ausstattung mit Batterien zuerkannt worden. Ein Ausschluss der Energiekosten als geringfügig (bis DM 150,00 pro Jahr) komme nicht in Betracht. Ohnehin könne ein Ausschluss wegen Geringfügigkeit nur greifen, wenn er in der genannten Verordnung ausdrücklich angeordnet worden wäre, was aber nicht der Fall sei. Es bestünden auch in technischer oder abrechnungsmäßiger Hinsicht für eine Kostenübernahme keine unüberwindbaren Hindernisse. So lasse sich daran denken, dass die Kasse für die Klägerin einen besonderen, nur zum Aufladen des Akkus dienenden Stromanschluss mit eigenem Zähler installiere. Sofern dies einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordere, sei die Beklagte unter Umständen auch berechtigt, die durchschnittlichen monatlichen Kosten zu ermitteln und pauschal zu erstatten. Auch der Umstand, dass Stromkosten praktisch in jedem Haushalt anfielen und somit Kosten der allgemeinen Lebenshaltung seien, rechtfertige keine andere Entscheidung. Die Krankenkasse brauche zwar allgemeine Gegenstände des täglichen Lebens nicht als Hilfsmittel zu gewähren. Wenn aber die Leistungspflicht der Krankenkasse für ein Hilfsmittel feststehe, gehöre es zur vollständigen Leistungserbringung, auch die anfallenden Betriebskosten zu übernehmen.



Dauerzustand einer Behinderung schließt Neubegutachtung durch MDK aus

Das Bundessozialgericht gab der Klage einer Behinderten recht, dass bei gleichbleibendem Gesundheitszustand eine erneute Begutachtung in häuslicher Umgebung durch den MDK unnötig ist.
Die Klägerin leidet an einer angeborenen Behinderung und erhielt bereits vor Inkrafttreten der Pflegeversicherung Pflegegeld. Damals war seitens des Gutachters eine Dauerbehinderung, bei der Besserungsmöglichkeiten nicht erkennbar seien, festgestellt. Mit Inkrafttreten der Pflegeversicherung wurde die Klägerin gesetzlich in die Pflegestufe II übergeleitet.
Die leistungsgebende Pflegeversicherung wollte nun eine erneute Untersuchung im häuslichen Bereich durchführen lassen und führte als Begründung die Berufstätigkeit der Behinderten und die verstrichene Zeit an. Als die Frau dies verweigerte, stellte die Versicherung die Zahlung der Leistungen ein. Eine Klage auf Wiederaufnahme der Leistung blieb in zwei Instanzen erfolglos.
Erst das Bundessozialgericht gab der Klage der behinderten Frau recht. Als Urteilsbegründung wurde das Gutachten des MDK bereits zu Beginn der Leistungszahlung angeführt, in dem keine Aussicht auf Besserung attestiert wurde. Wenn sich der unveränderte Zustand des Leistungsbeziehers aus der Aktenlage ergibt, sei eine erneute Untersuchung im häuslichen Bereich ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre. Auch die Berufstätigkeit der Klägerin sei kein Grund für eine erneute Untersuchung, da diese schon zu Beginn der Leistungen bestanden habe. Der behinderten Frau sind die verweigerten Leistungen nachzuzahlen.



Medizinische Fußpflege muss von der Kasse bezahlt werden

Kostenübernahme  vorher abklären - Folgeschäden vermeiden
Mitgeteilt von Dr. Franz Josef Oldiges

Die medizinische Fußpflege ist wieder Kassenleistung. Der  Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen hatte sie im Mai 1994 gemäß Anlage zu  den Heilmittelrichtlinien als Leistung im Rahmen der vertragsärztlichen  Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil sie der allgemeinen Körperpflege zuzuordnen sei. Der VdK hat diese Entscheidung seinerzeit heftig kritisiert.

Das Bundessozialgericht hat in einem Urteil  vom 16. November 1999 (B 1 KR 9/97) entschieden, dass der Bundesausschuss nach geltendem Recht zu einem dahin gehenden umfassenden Leistungsausschuss nicht befugt ist.

Voraussetzung allerdings ist gemäß dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt, dass es sich im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 Absatz 1 Sozialgesetzbuch V um eine notwendige ärztliche Behandlung handelt.  Insofern hat das Bundessozialgericht wieder einen schmalen Korridor für die Kostenübernahme durch die Krankenkassen geöffnet.

Versicherte haben nach § 27  Absatz 1 SGBV Anspruch auf ärztliche Behandlung im Rahmen einer  Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu  heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.  Diese Voraussetzungen sind, so das Urteil, für die medizinische Fußpflege zum  Beispiel in der Form, dass Nägel geschnitten sowie Hornhaut oder Schwielen entfernt werden, durchweg nicht unter dem Gesichtspunkt der Heilung einer  Krankheit gegeben. Denn heilende Wirkung hat die Fußpflege in der Regel nicht.  Die Voraussetzungen können aber unter dem Gesichtspunkt der Verhütung der  Verschlimmerung einer Krankheit, zum Beispiel Diabetes, oder deren Folgeschäden oder von Folgeerkrankungen erfüllt sein, insbesondere wenn für die Durchführung eine gewisse Professionalität erforderlich ist, um die angestrebte therapeutische Wirkung zu erzielen.

Entscheidend ist, ob auf Grund der vorhandenen Krankheit (Grundkrankheit) und seiner Auswirkungen für den Gesamtgesundheitszustand eine unmittelbare und konkrete Gefahr besteht. Das heißt, dass zum Beispiel ohne regelmäßige medizinische Fußpflege besondere Folgeschäden auftreten, mit denen bei einem gesunden Versicherten nicht zu rechnen ist. Zieht eine Krankheit im unbehandelten Zustand zwangsläufig oder mit  hoher Wahrscheinlichkeit weitere Erkrankungen nach sich, so sind medizinische Maßnahmen, die dem entgegenwirken und eine Verschlechterung des  Gesundheitszustands verhüten sollen, als Behandlung der Grundkrankheit und damit als Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Absatz 1 Sozialgesetzbuch V aufzufassen.  Dazu kann nach dem Urteil eben auch Fußpflege zählen.

Voraussetzung ist  ferner, dass es sich nicht um eine Fußpflege als allgemeine Körperpflege  handelt. Diese zählt zur allgemeinen Lebensführung. Kosten hierfür hat der Versicherte selbst zu tragen. Fußpflege als allgemeine Körperpflege ist dann anzunehmen, wenn sie nicht gezielt und eindeutig der Bekämpfung einer konkreten Krankheit beziehungsweise deren Folgeerscheinungen dient. Bei Maßnahmen, die ihrer Art nach keinen eindeutigen Krankheitsbezug aufweisen, wie die Fußpflege,  reicht das allgemeine Ziel, Folgeerkrankungen zu verhüten, nicht aus. Insofern scheidet Fußpflege in der Regel auch als Vorsorgemaßnahme nach § 23 Absatz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch V aus, weil sie nicht geeignet ist, eine Schwächung der  Gesundheit zu beseitigen.

Völlig unberührt hiervon ist der Fall, wenn es sich um eine Erkrankung an den Füßen handelt. Hier ist in der Regel  Krankenpflege zu Lasten der Krankenkassen angezeigt. Fußpflegerische Maßnahmen  sind in der Regel nicht auf Körperzustände gerichtet, die allein für sich gesehen als Krankheit anzusehen sind. Sie müssen schon außergewöhnlich sein.

Zurzeit sind weder von den Krankenkassen zugelassene Therapeuten vorhanden, noch liegen Richtlinien für die Leistungserbringung und Verträge mit Leistungserbringern vor. Deshalb müssen sich die Patienten bei einer vom Arzt als notwendig verordneten Fußpflege diese Leistung nach § 13 Absatz 3 Sozialgesetzbuch V selbst beschaffen und sich von ihrer Krankenkasse notwendige  Auslagen erstatten lassen. Um jedoch nicht Gefahr zu laufen, wegen der  sicherlich gegebenen Abgrenzungsprobleme auf den Kosten hängen zu bleiben, ist  anzuraten, vor der Selbstbeschaffung der Leistung von der eigenen Kasse bis zu einer generellen Regelung eine Kostenübernahmeerklärung zu verlangen.



Einschränkung der Pflegekraft spielt keine Rolle

KASSEL (mwo). Die Einstufung in der Pflegeversicherung richtet sich allein nach den Erfordernissen des Pflegebedürftigen. Besonderheiten und Einschränkungen der Leistungsfähigkeit auf Seiten der Pflegekraft werden bei der privaten häuslichen Pflege dagegen nicht berücksichtigt, wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschied. Danach orientiert sich die zeitliche Bewertung des Pflegebedarfs an einer "durchschnittlich geeigneten Pflegeperson ohne Fachkenntnisse".

Im konkreten Fall wurde eine Frau abends und nachts von ihrem Mann gepflegt, tagsüber von ihrer Mutter. Weil die Mutter aufgrund eines eigenen Unfalls ihre Wohnung nicht mehr verlassen kann, brachte der Ehemann die Pflegebedürftige morgens zu ihrer Mutter hin und holte sie
nachmittags nach der Arbeit wieder dort ab.

Streitig war nun, ob die Transportzeit von 54 Minuten täglich als "Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" berücksichtigt werden kann. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte dies bejaht, weil nur mit dem Transport die häusliche Pflege überhaupt aufrechterhalten werden könne.

Nach dem Gleichheitsgebot müßten Pflegebedürftige mit gleichen Einschränkungen auch gleich viel Pflegegeld bekommen, so das BSG. Besonderheiten auf Seiten der Pflegepersonen könnten daher nicht berücksichtigt werden.

Urteil des Bundessozialgerichts Aktenzeichen: B 3 P 12/01 R




Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 04.06.1992

(5C82/88 - BVerwGE 90, 217 = FEVS 43, 109 = NDV 1993, 27 = NVwZ 1993,66 = ZfSH/SGB 1993, 76)

Hier hatte das Verwaltungsgericht zu entscheiden, ob von einer Ehefrau bezogenes Pflegegeld (§ 69 Abs. 4 Nr. 1 BSHG a. F.), das sie an ihren pflegenden Ehemann, der Hilfe zum Lebensunterhalt erhielt, weitergegeben hatte, bei diesem als Einkommen zu berücksichtigen gewesen ist.

Das Gericht bezieht sich auf seine ältere Rechtsprechung (Urteil vom 24.04.1968 (V C62/67 - BVerwGE 29, 295 = FEVS 15, 441 = NDV 1968, 257) "Vormonats-Arbeitsentgelt" und 19.06.1968 (V C38/67 -NDV 1968, 333) "Rentennachzahlung 12668,20 DM" sowie die Bundestags-Drucksache 3/1799, S. 51 (Entwurfsbegründung zu § 72 = § 76 BSHG, wo es heißt:

Nach der Bestimmung "soll für die Sozialhilfe das Einkommen maßgebend sein, das dem Hilfesuchenden oder demjenigen, auf dessen Einkommen es gleichfalls ankommt, für seinen eigenen Bedarf tatsächlich zur Verfügung steht"), und schließt daran die Aussage an, dass der Begriff des Einkommens an dem Bedarf zu orientieren sei, der mit seiner Hilfe gedeckt werden solle. Das Pflegegeld sei - anders als die Hilfe zum Lebensunterhalt - nicht für den Unterhalt des Pflegebedürftigen und seiner Familie im allgemeinen bestimmt und diene auch nicht dazu, den Pflegeaufwand abzugelten. Seine Zweckbestimmung liege vielmehr darin, es dem Pflegebedürftigen zu ermöglichen, mit Hilfe ausreichender Barmittel die Pflegebereitschaft von nahestehenden Personen oder Nachbarn anzuregen und zu erhalten. Diese sozialpolitische Zweckbestimmung des Pflegegelds würde vereitelt, wenn einer nahestehenden Pflegeperson, welche der Pflegebedürftige das Pflegegeld bestimmungsgemäß zur Deckung ihrer Aufwendungen und als Anerkennung für ihre Hilfeleistungen zugewendet habe, zugemutet würde, die Mittel zur Deckung ihres allgemeinen Unterhaltsbedarfs einzusetzen. Das würde der eindeutigen Zielsetzung des Gesetzes zuwiderlaufen, weil dann das Pflegegeld die ihm zugedachte Funktion, dem Pflegebedürftigen ein zusätzliches Mittel zur Erhaltung der unentgeltlichen Pflegebereitschaft einer nahestehenden Person oder eines Nachbarn in die Hand zu geben, nicht mehr erfülle. Zusätzlich weist das Gericht darauf hin, dass die Formulierung des § 76 BSHG, nach dem Einkommen im Sinne dieses Gesetzes alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen sind, nicht umfassend gemeint gewesen sei, wie ihr Wortlaut nahelege. Das ergebe sich schon daraus, dass der Gesetzgeber die Herausnahme der "Leistungen nach diesem Gesetz" aus dem Einkommensbegriff lediglich als Klarstellung bezeichnet habe (unter Bezug auf BT-Dr. 3/2673, S8 zu § 72 Entwurf: Die Ergänzung des Absatzes I dient der Klarstellung"). Darin werde eine theologische Einschränkung des Einkommensbegriffs dahin erkennbar, das Pflegegeld dann, wenn es seinem gesetzlichen Zweck entsprechend verwendet werde und in diesem Rahmen an eine nahestehende Pflegeperson gelange, hinsichtlich dieser Person in der Regel wie eine Leistung nach dem BSHG zu behandeln.

 

Anspruch auf Einsicht in Krankenunterlagen

BGH, Urt. v. 23.11.1982 – VI ZR 222/79 (Bremen)

1. Der Patient hat gegenüber Arzt und Krankenhaus grundsätzlich auch außerhalb eines Rechtsstreits Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen, soweit sie Aufzeichnungen über objektive physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen (Medikation, Operation etc.) betreffen.

Zum Sachverhalt: Der im Jahre 1911 geborene Kläger, welcher sich wegen einer Nervenerkrankung mit Lähmungserscheinungen in stationärer Behandlung befand, wurde am 18.5.1976 in die Neurochirurgische Klinik eines Krankenhauses überwiesen, dessen Träger die beklagte Stadtgemeinde ist. Dort wurde am 25.5.1976 im Bereich der Halswirbelsäule operiert. Die Operation sollte das durch Einengung des Halswirbelkanals beeinträchtigte Cervilcalmark entlastet und so einen fortschreitenden Lähmungsprozess anhalten. In der postoperativen Phase traten beim Kläger schwere Komplikationen auf, vor allem eine Verstärkung der Lähmungserscheinungen. Der vorher noch gehfähig gewesene Kläger musste weiterhin stationär behandelt werden und ist seitdem pflegebedürftig. Der Kläger möchte die Frage eines Behandlungsfehlers prüfen. Er hat deshalb von der Beklagten Auskunft über Operationsverlauf und Behandlungsmaßnahmen verlangt, ferner Gewährung der Einsicht in die Behandlungsunterlagen durch seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten, hilfsweiße durch einen vom Kläger zu benennenden Arzt. Das Auskunftsverlangen haben die Parteien nach einem Schreiben der Beklagten vom 17.1.1979 für erledigt erklärt. Den Hilfsantrag (Einsicht durch einen Arzt) er- kennt die Beklagte an, mit der Einschränkung freilich, dass dieser nicht seinerseits dem klägerischen An- walt Einsicht gewähren dürfe.

Das LG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Ein- sicht durch seinem Prozessbevollmächtigten in seine vollständige Krankenakte über die Behandlung in der Neurochirurgischen Klinik zu gewähren. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Auf die – zu- gelassene Revision wurde die Beklagte verurteilt, dem Kläger Einsicht in seine Krankenakte zu gewähren, jedoch nur nach näherer Maßgabe der nachfolgenden Entscheidungsgründe.Aus den Gründen: A. Das BerGer. hält die Beklagte für zur Gewährung der Einsichtnahme in Krankenakte des Klägers durch seinen Prozessbevollmächtigten verpflichtet.

Es meint, für den Arzt bestehe, jedenfalls soweit der Patient daran ein berechtigtes Interesse hat, eine aus seiner Dokumentationspflicht folgende vertragliche Nebenpflicht, dem Patienten selbst, aber auch seinen

Prozessbevollmächtigten Einsicht in die vom Arzt an- gelegten, bei ihm oder beim behandelnden Kranken- haus geführten Krankenunterlagen zu gewähren, wo- bei sich die inhaltliche Ausgestaltung des Anspruchs aus der entsprechenden Anwendung des § 259 BGB ableiten lasse. Es könne daher dahinstehen, ob als weitere Anspruchsgrundlage § 810 BGB, die ent- sprechende Anwendung des Auftragsrechts oder Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes in Be- tracht kämen.

B.I.1. Die Entscheidung des BerGer. ist – allerdings nur mit gewissen Einschränkungen – zuzustimmen. Dieses ist der Auffassung, dass einem Patienten, der ein berechtigtes Interesse daran hat, grundsätzlich volle Einsicht in die Krankenunterlagen zu gewähren sei. Der erkennende Senat hat einen solchen Grundsatz bisher nicht aufgestellt, vielmehr nur ausgesprochen, dass eine ordnungsmäßige Dokumentation über die Behandlung des Patienten nicht, wie früher noch von der Rechtssprechung angenommen wurde, allein eine im Belieben des Arztes stehende Gedächtnisstütze darstellt, sondern dem Patienten als Bestandteil einer sorgfältigen Behandlung vom Arzt geschuldet wird (grundlegend BGHZ 72, 132 [137] = NJW 1978, 2337). Ein Recht des Patienten auf Ein- sicht in diese im wesentlichen in seinem Interesse gefertigten Unterlagen ergibt sich hieraus nicht un- mittelbar. Es lässt sich aus jenen Grundsätzen nur ab- leiten, dass die gefertigten Unterlagen für die weitere Behandlung des Patienten gegebenenfalls auch durch einen anderen Arzt, dem sich anzuvertrauen dem Patienten freistehen muss, verfügbar sein sollen. Damit ist die Verweigerung der Herausgabe der Unterlagen an einen nachbehandelnden Arzt keinesfalls zulässig (anders noch OLG Celle, NJW 1978, 1200); es geht dabei auch nicht nur um einen Akt der Standescourtoisie. Dass der Arzt überdies die vertragliche Pflicht hat, den Patienten, der das wünscht, in einem Arztgespräch in angemessene Form über Befunde und Prognose zu unterrichten, sei zur Vermeidung von Missverständnissen erwähnt, hab aber mit einem Recht auf Einsicht in Unterlagen nicht unmittelbar etwas zu tun.2. Indessen ist in Weiterbildung der Grundsätze des Senatsurteils BGHZ 72,132 = NJW 1978, 2337, die im Berufungsurteil vertretene Meinung, dass auch dem Patienten selbst ein Einsichtsrecht zustehe, nicht nur vom BerGer. auch anderweitig (NJW 1980, 644, rechtskr.), sonder mehr oder weniger uneingeschränkt auch von anderen Instanzgerichten geteilt worden (LG Limburg, NJW 1979, 607; LG Göttingen, NJW 1979, 601 mit zustimmender Anmerkung).

II. Der erkennende Senat vermag sich der neueren Tendenz in Rechtssprechung und Schrifttum nicht grundsätzlich zu verschließen, hält allerdings Einschränkungen für erforderlich.

1. a.) Aus den unmittelbaren Konsens des Arztvertrages aus dem der Einsichtsanspruch gemeinhin abgeleitet wird, kann sich dieser deshalb nicht ergeben, weil auch nach heute noch ganz herrschender ärztlicher Meinung eine solche Einsicht jedenfalls nicht im Belieben des Patienten stehen soll, - eine Einstellung für die sich nicht nur ethisch abzulehnen- de, sondern auch durchaus achtbare Beweggründe anführen lassen. Es kann also mangels besonderer Vereinbarungen ein entsprechender Vertragswille des Arztes (bzw. Krankenhausträgers) nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Eine besondere Vereinbarung ist im vorliegenden Falle nicht behauptet.

b) Das würde freilich schon nicht ausschließen, dass den Arzt aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine ungeschriebene vertragliche Nebenpflicht treffen kann, dem Patienten Einsicht in Behandlungsunterlagen insoweit zu gewähren, als dieser daran ein ersichtliches Interesse hat und billigenswerte Gründe für die Verweigerung nicht vor- liegen. Vieles spricht dafür, dass im vorliegenden Falle dem Kläger schon unter diesem Gesichtspunkt Einsicht in diejenigen Aufzeichnungen zu gewähren ist, dies ihm bzw. einem ihn beratenden Fachkundigen ermöglichen, die Ursache des unglücklichen Operationsverlaufs zu prüfen. Ersichtlich geht es nur noch darum, während nach Abschluss der Behandlung in der neurochirurgischen Klinik insbesondere therapeutische Gegengründe kaum denkbar sind und auch von der Beklagten nicht geltend gemacht werden

2. Der Senat ist aber darüber hinaus der Auffassung, dass sich der Arzt dem ernstlichen Verlangen des Patienten nicht widersetzen darf, in die objektiven Feststellungen über seine körperliche Befindlichkeit und die Aufzeichnungen über die Umstände und den Verlauf der ihm zuteil gewordenen Behandlung Einsicht zu erlangen. Im letzteren Punkt kommen vor allem etwa die Medikationen sowie der Verlauf und das Ergebnis von Operationen in Frage. Dieser zusätzliche Vertragsanspruch ergibt sich schon aus dem durch grundrechtliche Wertung geprägten Selbstbestimmungsrecht und der personalen Würde des Patienten, die es verbieten, ihm im Rahmen der Behandlung die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen. Aus dieser Sicht erscheint es im Regelfall nicht tragbar, dass dem Patienten gegen seinen Ausdrücklichen und ernstlichen Wunsch persönliche Fakten vorenthalten werden, die in seinem Auftrag (das gilt im Ergebnis nicht weniger für sogenannte Kassenpatienten) und in seinem Interesse vom Arzt nur im Rahmen des zwischen Arzt und Patient notwendigen besonderen Vertrauensverhältnisses erhoben worden sind und erhoben werden konnten.

a.) Dem lässt sich nicht, wie dies häufig geschieht, entgegenhalten, dass der Patient gar nicht in der Lage sei, solche Aufzeichnungen medizinischer und technischer Art zu verstehen. Abgesehen davon, dass dies nicht auf alle Patienten zutrifft, ist es dann gegebenenfalls Sache des Patienten, sich sachkundig von einer Person seines Vertrauens beraten zu lassen, und keine Rechtfertigung für die Verweigerung der Einsicht durch den Arzt. Auch die von ärztlicher Seite oft geltend gemachten Urheber- und Eigentumsrechte an solchen Aufzeichnungen müssen nach der Sachlage hinter dem Persönlichkeitsrecht des betroffenen Patienten zurückstehen, soweit von ihnen bei den hier allein in Frage stehenden sachlichen Befunden und Berichten überhaupt die Rede sein kann
.
b) Der Senat verkennt allerdings nicht, dass bereits die Einsicht in objektive Befunde dem Patienten mittelbar eine ungünstige Prognose erschließen kann, deren Kenntnis sein befinden verschlechtern und ihn für die verbleibende Lebenszeit resignieren lassen, ja und auch die Gefahr eines körperlichen und seelischen Zusammenbruchs heraufbeschwören könnte. Das muss aber nach Auffassung des Senats im Interesse des Selbstbestimmungsrechts in Kauf genommen werden, zumal es dem Patienten freigestanden hätte, eine volle Offenlegung der Befunde von vornherein zum Inhalt des Behandlungsvertrages zu machen.

c) Es ist nicht zu verkennen, dass es besondere Situationen geben kann, in denen der Arzt dem Patienten aus therapeutischen Gründen gewisse Erkenntnisse vorenthalten darf und muss, was in nicht ganz glücklicher Weise als therapeutisches „Privileg" bezeichnet worden ist. Das ist in der Rechtsprechung selbst hinsichtlich der rechtfertigenden Aufklärung über die Risiken eines Eingriffs anerkannt. Ebenso wie dort sind die Grenzen für solche Ausnahmefälle aber auch hinsichtlich der Offenlegung von Befunden sehr eng zu ziehen, da die Gefahr einer mitunter gutgemeinten ärztlichen Zurückhaltung sonst den grundsätzlichen Anspruch des Patienten untergraben kann. Zu näheren Ausführungen darüber, wie gegebenenfalls diese Grenze zu ziehen sind, gibt indessen der zur Entscheidung stehende Fall aus den schon erwähnten Gründen keinen Anlas.3. Die Informationen des Patienten über die Behandlungsunterlagen, um die es insoweit geht (es handelt sich um die naturwissenschaftlich konkretisierbaren Befunde und die Aufzeichnungen über Behandlungsmaßnahmen – insbesondere Angaben über Medikation und Operationsberichte), wird ihm auf Wunsch auch in der Form von eigener Einsicht zu gewähren sein. Diese wird im Regelfall im Rahmen eines Arztgesprächs stattfinden, doch sollten dem Patienten auf ausdrückliches Verlangen solche Aufzeichnungen auch zum selbständigen Studium überlassen werden, wobei an die Stelle der Originale gegen deren Überlassung mitunter Bedenken bestehen können, auch auf Kosten des Patienten zu fertigenden Ablichtungen treten mögen. Gegengründe gerade gegen dieses Verfahren sind im Streitfall nicht ersichtlich. Bei alledem ist allerdings selbstverständlich, dass der Patient sein Einsichtsrecht nicht missbräuchlich oder zur Unzeit ausüben darf und dabei insbesondere auf den geordneten Ablauf des Praxis bzw. Krankenhausbetriebes Rücksicht nehmen muss.III. Das bisher Ausgeführte bezieht sich indessen nur auf die Aufzeichnungen über naturwissenschaftlich objektivierbare Befunde und auf Behandlungsfakten, die die Person des Patienten betreffen. Nur insoweit lässt sich sein Informations- und Einsichtsrecht , auch wenn es der Arzt nicht ausdrücklich eingeräumt hat, aus dem vorrangigen Gesichtspunkt des Persönlichkeitsrechts rechtfertigen. Bezüglich weiterer Inhalte der Krankenakte gilt es auch abgesehen von den später noch zu erörternden Besonderheiten der Arzt/Patienten-Beziehung festzuhalten, dass die Verpflichtung eines Vertragspartners, dem anderen seine gesamten Aufzeichnungen jederzeit offen zulegen, auch sonst dem Rechtsverkehr eher fremd ist.

1. Einschränkungen ergeben sich nicht nur daraus, dass solche Aufzeichnungen nicht selten auch Aufschluss über Dinge geben, an deren Kenntnis der andere kein berechtigtes Interesse hat (Geschäftsgeheimnisse etc.). Viel wichtiger ist in dem hier gegebenen Zusammenhang, dass viele Vertragsbeziehungen auch eine persönliche Komponente haben, die in den den Vertrag betreffenden Aufzeichnungen ihren Niederschlag finden. Auch solche Aufzeichnungen, etwa über persönliche Eindrücke bei Gesprächen mit dem Vertragspartner oder über die Motive für einen ihm Rahmen der Vertragsabwicklung getroffenen Entschluss, mögen teilweise zu einer ordnungsmäßigen Vertragserfüllung gegenüber dem Partner gehören. Sie werden aber nicht etwa mit dem Ziel gefertigt, sie gegebenenfalls dem Vertragspartner auch unmittelbar zur Kenntnis zu bringen, sondern sind in ihrer Fassung vielmehr oft von dem Bewusstsein geprägt, dass dieser zu ihnen keinen Zugang haben werde. Diese Aufzeichnungen können eben wegen dieser Erwartung oft einerseits zwangloser und andererseits deutlicher abgefasst werden, was dem Interesse auch des Vertragspartners im Regelfall nicht entgegensteht, sondern förderlich ist.
2. So ist selbst derjenige, der in vermögensrechtlichen Angelegenheiten zur Rechenschaft verpflichtet ist, in der Regel nicht gehalten, auch weitere Unterlagen preiszugeben, die nicht nur über das Tun im Rahmen der Vertragserfüllung, sonder über dessen sachliche oder gar persönliche Motivation Aufschluss geben können. Eine besondere Bedeutung können solche zusätzlichen Aufzeichnungen etwa im Rahmen eines Anwaltsvertrages gewinnen, insbesondere wo es sich nicht um rein vermögensrechtliche Belange des Mandanten handelt. Aufzeichnungen des Anwalts über bei einem persönlichen Gespräch mit dem Mandanten gewonnene Eindrücke sind hier oft nützlich, aber sie sind im Zweifel nicht für die Einsicht durch den Mandanten bestimmt, und eine solche wäre dem Anwalt auch nicht zumutbar. Es ist deshalb, soweit ersichtlich, einem Anwalt, der nach der Rechtslage zur Herausgabe seiner Handakten verpflichtet war, noch nie zugemutet worden, auch derartige Aufzeichnungen offenzulegen. Beispiele aus anderen, insbesondere freiberuflichen Bereichen aufzuzeigen liegt nahe, erscheint aber in diesem Zusammenhang nicht erforderlich.

3. Gerade bei der ärztlichen Tätigkeit ist das persönliche Engagement, das auch zu einem Niederschlag personaler Komponenten in den die Behandlung betreffenden Aufzeichnungen führen kann und in aller Regel führt, kaum weg zu denken. Sieht man von Sonderfällen ab, dann erschöpft sich die ärztliche Tätigkeit nicht im technisch-somatischen Bereich und darf das auch nicht, da sie sonst ihren wesentlichen Charakter verlöre. Ihr ist vielmehr eher regelmäßig die gegenseitige Zuwendung zwischen Arzt und Patient wesenseigen, und es gehört zur Berufspflicht des Arztes, diesen Kontakt, der auch seine eigene Person mit einbezieht, herbeizuführen und zu vertiefen. Das gilt nicht nur, soweit – wie im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie – die Einflussnahme auf die geistig-seelische Struktur des Patienten den Schwerpunkt der sondern ist im Regelfall jeder ärztlichen Tätigkeit mehr oder weniger wesenseigen.a) Dass dieser Umstand zu Eintragungen in den Krankenunterlagen führen kann, die einerseits sachgemäß, aber andererseits für die Kenntnisse durch den Patienten weder geeignet noch bestimmt sind, ohne dass man deshalb von unsachlicher Abqualifizierung des Patienten oder unnötiger Ehrverletzung sprechen könnte, ist dem Senat aus langjähriger Erfahrung bekannt. Das führt dazu, dass die Krankenunterlagen derzeit vielfach der Sache nach legitime Bekundungen enthalten, die - nicht nur wegen ihrer zwangsläufig emotionellen Färbung und in ihnen enthaltenen subjektiven Wertungen, sondern etwa auch wegen des Hinweises auf spätere aufgegebene Verdachtsdiagnosen, den indessen zu tilgen ärztlich verfehlt wäre – der Einsicht des Patienten entzogen werden müssen und dürfen.b) Daraus ergeben sich bei einer Einsicht des Patienten in die Krankenunterlagen unverkennbar Schwierigkeiten. Ob sich ihnen durch eine „duale" Gestaltung der Unterlagen (Trennung der offenbarungspflichtigen und der nicht zu offenbarenden Aufzeichnungen) begegnen lässt, kann derzeit offenbleiben, denn bislang ist eine solche getrennte Anlage der Krankenunterlagen jedenfalls hierzulande nicht üblich, und es ist auch nicht behauptet, dass sie im Streitfall stattgefunden habe.IV. 1. Aus diesen Gründen kann es nicht dabei bleiben, dass das angefochtene Urteil dem Klagebegehren uneingeschränkt stattgibt. Dieses Begehren geht auf volle Einsicht der Krankenunterlagen durch den Kläger selbst bzw. seinen Anwalt, hilfsweiße durch einen Arzt seines Vertrauens. Auch dieses Hilfsbegehren ist im Gegensatz zu dem Auskunftsanspruch nicht erledigt, weil die Beklagte insoweit die vom Kläger nicht akzeptierte Bedingung stellt, dass dieser Arzt nicht seinerseits dem Kläger Einsicht gewähren dürfe.

Nach den (oben zu III) Gesagten gilt es zu gewährleisten, dass der Kläger in diejenigen Teile der ihn betreffenden ärztlichen Aufzeichnungen keine Einsicht erhält, die über naturwissenschaftliche Befunde und Behandlungsverlauf hinausgehen und auf die sich das Einsichtsrecht des Klägers und die außerprozessuale Offenbarungspflicht der Beklagten nicht erstrecken. Davon, dass die Krankenunterlagen, wie häufig, auch im Streitfalle solche Aufzeichnungen enthalten, muss, da Feststellungen dazu nicht vorliegen, ausgegangen werden, auch wenn gerade hier wenig konkreter Anhalt in dieser Hinsicht bestehen mag.

a) Dieser Einschränkung stehen auch nicht die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes entgegen, schon abgesehen davon, dass dieses dem von den Daten Betroffenen kein Einsichts-, sondern nur ein Auskunftsrecht gewährt. Wollte man auch die nach obigen Ausführungen zurückhaltenden Teile der Aufzeichnungen als „Daten" betrachten – was fraglich ist -, dann müssten sie unter die Vorschrift des § 26 IV Nr. 3 BDSG fallen. Auch aus § 810 BGB kann sich ein weiteres Einsichtsrecht nicht ergeben. Das ergibt sich aus der Zielsetzung des Behandlungsvertrags und auch aus dem mangelnden Urkundscharakter der betreffenden Aufzeichnungen.b) Es lässt sich auch nicht einwenden, dass der Patient oft die Möglichkeit hat, über eine vorgeschaltete Strafanzeige und die Beiziehung der Ermittlungsakten im nachfolgenden Zivilprozess doch Einsicht in die vollen Krankenunterlagen zu erhalten. Ob dieses Ereignis immer hingenommen werden muss, auch wo es etwa unerwünschte therapeutische Folgen haben kann oder berechtigte Persönlichkeitsbelange von Ärzten und dritten Personen berührt, mag dahinstehen (vgl. die Verfahrensvorschrift SGB X, § 25 II BGB1 1989 I, 1469, 1475). Jedenfalls besteht kein Grund diese Folge schon bei einem außerprozessualen Einsichtsanspruch vorwegzunehmen, zumal dieser keineswegs immer den Verdacht eines strafbaren Arztfehlers voraussetzt.

2. Eine praktikable Abwicklung ist nach Auffassung des Senats nur in der Weise möglich, dass die Zurückhaltung von Aufzeichnungen auf die sich der Einsichtsanspruch des Patienten nicht erstreckt und an deren Ausschluss von der Einsichtnahme ein begründetes Interesse besteht, im wesentlichen dem Arzt bzw. Krankenhaus anvertraut wird. Eine gewisse Missbrauchsgefahr muss dabei zunächst in Kauf genommen werden, soweit sie nicht durch von pflichtwidrigem Vorgehen drohenden Schadensersatzpflichten sowie die Gefahr von Beweisnachteilen in einem nachfolgenden Prozess ausgeglichen wird.

a) Demnach wird der Arzt zunächst zu prüfen haben, ob überhaupt ein Anlas besteht, dem Patienten nicht – gegebenenfalls in vollständiger Ablichtung der Unterlagen – Einsicht zu gewähren. Das wird bei vielen Fällen somatischer Behandlung nicht der Fall sein. So wird z.B. selten ein Grund bestehen, dem Patienten die Anmesse, auf die sich nach Obigem sein außerprozessuales Einsichtsrecht regelmäßig nicht erstreckt, vorzuenthalten.b) Andernfalls mach zunächst die gütliche Einigung auf einen neutralen Arzt empfehlenswert sein, der aber hier vom Kläger abgelehnte Befugnis haben sollte, die Einsicht des Patienten nach pflichtgemäßen Ermessen zu beschränken.

c) Gelingt dies wie im Streitfall nicht, dann muss dem Arzt (Krankenhausträger) gestattet sein, auf den Ablichtungen der Befunde und Behandlungsberichte, auf die sich das Einsichtsrecht der Patienten erstreckt, weitere, nicht hierunter fallende Vermerke abzudecken, was zweckmäßigerweise so zu geschehen hat, dass die Abdeckung als solche erkennbar bleibt. Nur durch eine solche Handhabung sieht der Senat die allseitigen Belange in bestmöglicher Weise gewahrt. Reicht sie nicht aus, ein Mißtrauen des Patienten zu zerstreuen, dann muss er eben doch auf die Einschaltung einer neutralen ärztlichen Vertrauensperson verwiesen werden, wozu die Beklagte hier ohnehin bereit ist.

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