"Hartz IV löst nur Leid aus"

Begonnen von Regenwurm, 12:24:43 Mo. 27.November 2006

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Regenwurm

taz: Herr Werner, Deutschland hat gerade voller Überraschung festgestellt, dass an seinem sozialen Rand eine völlig neue Spezies lebt: die Unterschicht, angeblich alle faul und asozial. Wenn man denen nicht Hartz IV kürzt, kriegen die ihren Arsch nie mehr hoch, glauben viele. Richtig oder falsch?

Götz Werner: Falsch. Aber der Mensch denkt eben schlecht vom Menschen - nicht von sich selbst natürlich, sondern immer vom jeweils anderen. Wer sich jedoch über den anderen erhebt, der handelt im Prinzip unmenschlich. Von der Unterschicht ist man schnell beim Untermenschen.

Wer ist schuld an diesem Skandal der neuen Armut? Die Betroffenen selbst? Der Sozialstaat? Hartz IV?
Sagen wir mal so: Wir haben eher ein Oberschichtenproblem als ein Unterschichtenproblem in Deutschland. Die Oberschicht ist nicht in der Lage, gesamtgesellschaftlich zu denken. Sie setzt ihre intellektuellen Fähigkeiten und finanziellen Möglichkeiten nicht so ein, dass sie dem Ganzen gerecht wird.

Union und SPD fordern, alle Arbeitsunwilligen härter zu bestrafen.
Wenn ich dem anderen Menschen keinen Freiraum gebe, wenn ich ihn drangsalieren und kujonieren will, dann werde ich ihm nicht gerecht. Das war doch eines der Ziele der Französischen Revolution: Gleichheit! Das heißt: einander auf Augenhöhe zu begegnen. Dem anderen die gleichen Stärken und Schwächen zuzubilligen wie mir selbst.

Viele Arbeitslose, so wird argumentiert, fordern für sich und ihre Kinder Hartz IV wie Gehälter.
Wir leben doch mittlerweile in einer Gesellschaft der totalen Fremdversorgung. Der moderne Mensch stellt nichts mehr selbst her, sondern kauft alles ein. Wer an dieser Gesellschaft teilnehmen will, ist darauf angewiesen, ein Einkommen zu beziehen. Jeder von uns braucht ein solches Stück Teilhabe. Das kann sehr bescheiden sein - aber ohne das geht nichts. Ich nenne das das sozioosmotische Prinzip: Wenn Sie das Wasser nicht mit ein bisschen Zuckerlösung anreichern, dann können Sie nicht den Zucker aus der Zuckerrübe holen.

Teilhabe als Menschenrecht?
Sie ist Voraussetzung für menschenwürdiges Leben. Artikel 1 des Grundgesetzes lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

SPD-Fraktionschef Peter Struck sagt, das Menschenbild, das Rot-Grün hatte, als es Hartz IV einführte, sei "vielleicht zu positiv" gewesen.
Struck ist entweder zynisch, oder er macht sich über die Arbeitslosen lustig.

Unionsfraktionschef Volker Kauder behauptet, die Regierung müsse mehr von den Leuten verlangen. Von ihm zum Beispiel könne man, wenn er arbeitslos sei, erwarten, dass er abends in der Kneipe bediene.

Ja, ja, der Mensch muss parieren, er hat das zu machen, was die Obrigkeit, was der Angestellte der Arbeitsagentur von ihm verlangt. Mein Gott, was Politiker so reden! Das klingt nicht nach Demokratie, sondern nach Aristokratie. Wenn ich Politiker wäre, würde ich sagen: Sorry, Hartz IV habe ich mir ganz anders vorgestellt. Die Reform war ein Fehler. Volle Kraft zurück. Hartz IV löst doch nur menschliches Leid aus.

"Hartz IV ist offener Strafvollzug", haben Sie einmal gesagt. "Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität."

Das gilt immer noch. Ist es das, was wir uns unter einer freiheitlichen Gesellschaft vorgestellt haben: dass die Behörden hinterherschnüffeln, wie die Arbeitslosen leben? Hartz IV verstößt gegen einen elementaren Grundsatz: Was du nicht willst, das man dir antut, das füg auch keinem andern zu. Mit Hartz IV werden die Menschen sozial ausgegrenzt. Es gehört abgeschafft.

Sozial ist, was Arbeit schafft, sagen die Politiker. Egal, wie die Arbeit bezahlt wird. Egal, ob die Arbeit zum Arbeitslosen passt. Ganz egal, ob überhaupt genug Arbeit da ist.

Die Politiker glauben immer noch an den Mythos der Vollbeschäftigung. Sie sind ganz benebelt davon. Aber Vollbeschäftigung ist eine Lüge.

Hängt nicht trotzdem einfach alles an der Erwerbsarbeit: Wohlstand, Identität, Selbstachtung, Zugehörigkeitsgefühl?Nein! Dieses manische Schauen auf Arbeit macht uns krank.

Werden wir nicht krank, wenn uns die Arbeit entzogen wird? Widerspruch! Wir haben kein Problem mit der Arbeitslosigkeit.

Bitte?Wir haben ein kulturelles Problem. Zum ersten Mal nach über 5.000 Jahren Menschheitsgeschichte leben wir im Überfluss. Aber wir kommen mit dieser neuen Wirklichkeit nicht klar. Wir schaffen es nicht, dass alle Menschen davon profitieren und daran teilhaben.

Das erzählen Sie mal einem Arbeitslosen, der sich nichts sehnlicher wünscht als einen ordentlichen Job.
Die Arbeitslosen haben wir nur, weil wir den Begriff der Arbeitslosigkeit verwenden. Die meisten so genannten Arbeitslosen haben ja Arbeit, sie liegen nicht den ganzen Tag auf der Couch und gucken Pro 7. Sie sind beschäftigt, in der Familie, in der sozialen Arbeit, im Sportverein. Sie tun wertvolle Dinge. Wenn sich jemand um seine Kinder kümmert, dann ist er für die Gesellschaft doch viel wertvoller, als wenn er in einer Fabrik Deckel auf die Flaschen dreht.

Reden Sie jetzt nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, die darunter leiden, dass Sie ihre Arbeit verlieren und damit auch ihren inneren Halt?
Diese Menschen leiden darunter, dass sie nicht respektiert und anerkannt werden. Dass sie von der Gesellschaft stigmatisiert werden, weil sie angeblich nutzlos sind. Als Arbeit gilt nur das, was Werte schafft. Wenn eine Frau ihre drei Kinder großzieht, dann wird sie gefragt: Arbeitest du oder bist du zu Hause?

Arbeitsminister Franz Müntefering zitiert gern die Bibel und August Bebel: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.Müntefering ist ein paar hundert Jahre zurückgeblieben. Er lebt noch in der Selbstversorgungsgesellschaft, als alle gegen den Mangel gewirtschaftet haben. Damals galt: Wer seinen Acker nicht bebaute und sein Feld nicht bestellte, der war selbst daran schuld, wenn er nichts zu essen hatte. Jetzt leben wir in der Fremdversorgungsgesellschaft. Ich kann gar nicht für mich allein arbeiten. Immer wenn ich arbeite, arbeite ich für jemand anderen. Ich brauche also ein Einkommen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

Und jetzt kommen Sie und sagen: Es ist gut, wenn die Menschen nicht arbeiten müssen?Ich sage: Wir brauchen kein Recht auf Arbeit, jedenfalls nicht auf weisungsgebundene, sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen ein Recht auf Einkommen. Auf ein bedingungsloses Grundeinkommen.

das ganze interview ist Hier nachzulesen
Das System macht keine Fehler, es ist der Fehler.

mel2384

ZitatStruck ist entweder zynisch, oder er macht sich über die Arbeitslosen lustig.
:D

ZitatArtikel 1 des Grundgesetzes lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
:]

ZitatJa, ja, der Mensch muss parieren, er hat das zu machen, was die Obrigkeit, was der Angestellte der Arbeitsagentur von ihm verlangt. Mein Gott, was Politiker so reden! Das klingt nicht nach Demokratie, sondern nach Aristokratie. Wenn ich Politiker wäre, würde ich sagen: Sorry, Hartz IV habe ich mir ganz anders vorgestellt. Die Reform war ein Fehler. Volle Kraft zurück. Hartz IV löst doch nur menschliches Leid aus.


ZitatDie Arbeitslosen haben wir nur, weil wir den Begriff der Arbeitslosigkeit verwenden. Die meisten so genannten Arbeitslosen haben ja Arbeit, sie liegen nicht den ganzen Tag auf der Couch und gucken Pro 7. Sie sind beschäftigt, in der Familie, in der sozialen Arbeit, im Sportverein. Sie tun wertvolle Dinge. Wenn sich jemand um seine Kinder kümmert, dann ist er für die Gesellschaft doch viel wertvoller, als wenn er in einer Fabrik Deckel auf die Flaschen dreht.



ZitatMüntefering ist ein paar hundert Jahre zurückgeblieben. Er lebt noch in der Selbstversorgungsgesellschaft, als alle gegen den Mangel gewirtschaftet haben. Damals galt: Wer seinen Acker nicht bebaute und sein Feld nicht bestellte, der war selbst daran schuld, wenn er nichts zu essen hatte. Jetzt leben wir in der Fremdversorgungsgesellschaft. Ich kann gar nicht für mich allein arbeiten. Immer wenn ich arbeite, arbeite ich für jemand anderen. Ich brauche also ein Einkommen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.



Irgendwie is mir der Herr sympatisch...
,,Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0.
Und das nennen sie ihren Standpunkt."

Paul Brömmel

"Wir brauchen ein Recht auf Einkommen. Auf ein bedingungsloses Grundeinkommen."
So ein Rattenfänger regiert sogar ein Bundesland und will damit noch höher steigen !  :D

jensen-ex

ZitatOriginal von Paul Brömmel
"Wir brauchen ein Recht auf Einkommen. Auf ein bedingungsloses Grundeinkommen."
So ein Rattenfänger regiert sogar ein Bundesland und will damit noch höher steigen !  :D

wer ist götz werner?
So it goes.

Kurt Vonnegut

Paul Brömmel


jensen-ex

ZitatOriginal von Paul Brömmel
:D Wer war Jensen ???

nun offenbar hast DU doch den götz werner zitiert und ihm im gleichen satz untergejubelt, er sei ministerpräsident eines bundeslandes. entschuldige bitte, dass ich dich inhaltlich korrigiert habe.
So it goes.

Kurt Vonnegut

Paul Brömmel

:D Prost ,Jensen-ex,
ich hatte nur ne klar formulierte Frage gestellt.

jensen-ex

ZitatOriginal von Paul Brömmel
:D Prost ,Jensen-ex,
ich hatte nur ne klar formulierte Frage gestellt.

lieber paul, du kannst mir auch noch öfter zuprosten: ich trinke garantiert nicht mit jedem.

plonk
So it goes.

Kurt Vonnegut

Paul Brömmel

Aber wenn ich Dir ganz untertänigst Fragen stelle,antwortest Du doch,Durchlaucht ??? :D

jensen-ex

So it goes.

Kurt Vonnegut

Paul Brömmel

:D  Ja,wer war nun eigentlich Jensen ?
Mit Toiletten und vollgepinkielten Badewannen hatte der jedenfalls nichts am Hut ! :D

Pinnswin

Hey - Kindergarten, des iss nu ´grad n´ernstes Thema...  :D :D tzsss...

Der Götz hat Recht wer gibt einen aus??

 :D :D
Das Ende Der Welt brach Anno Domini 1420 doch nicht herein.
Obwohl vieles darauf hin deutete, das es kaeme... A. Sapkowski

Aragorn

Hartz4 ist besser als mit einem einfachen Einkommen eine Familie zu ernähren und Miete zu zahlen.

Da ich für bedingungsloses Grundeinkommen und 50%Besteuerung wäre bin ich natürlich auch nicht für Hartz4-Kürzungen, denn es ist eben nur gerade zum leben ausreichend.
Kürzung könnte man schon fast als Mord oder Aufforderung zur Kriminalität (den kein Mensch will freiwillig verhungern/auf der Strasse landen) auffassen.

Trotz allem, in Zeiten wo hunderttausende umsonst als Praktikanten ihren brotlosen Job verrichten, weitere etwa 1,2Mio unter Sozialhilfeniveau (und das auch in AU/CH die größten Zuwächse in der Sozialhilfe sind - nicht arbeitslose sondern Working Poor) meine ich das Hartz4 grundsätzlich schon ok ist. Mit der Theorie endlich Arbeit zu fördern erst recht. WIe die Praxis aussieht mag etwas anderes sein, ich kann nur sagen Arbeit unter Sozialhilfeniveau war im alten System einfach nur katastrophal.
Ich habe mir sowas wie Hartz4 herbeigesehent habe weil ich mir damit endlich die Arbeit hätte leisten können. Durch Familie und Miete war in den ersten vier Jahren seit Kind mit jedem Job ein oft sehr grosser Verlust gegenüber Sozialhilfe verbunden. Wer Hartz4 bezieht weiss das nicht viel übrigbleibt und nun denkt euch nochmal 200€ davon weg die für die Arbeit draufgehen (Fahrt,Arbeitsmittel, etc.).
Und genau da hat (rein rechtlich) die Hartz4-Reform viel positives gebracht.

uwenutz

Nichts fürungut, selten soviel Unsinn gelesen, ohne darauf
vertiefend einzugehen, die absurde, prekäre Istsituation
hat sehr viel und ist natürlich nur in Zusammenhang zu
verstehen mit der aktuell und gewohlten Hartz IV Thematik
zutun, wo bitte schön geht es dem vermeintlichen
Hartz IV Empf. gegenüber einem früheren BSHG / Sozi-empf.
besser?, Was hat sich ihm denn positiv erschlossen?

Wie gesagt weniger neoliberale Propaganda lesen und
mehr selbst darüber reflektieren, für Gegenargumente
stehe ich gern jederzeit bereit.

besorgter bürger

Zitat...weil ich mir damit endlich die Arbeit hätte leisten können

 8o

ich glaube du machst irgendwas falsch.
Viele Menschen würden eher sterben als denken. Und in der Tat: Sie tun es.

Kuddel

ZitatOriginal von Aragorn

Ich habe mir sowas wie Hartz4 herbeigesehent habe weil ich mir damit endlich die Arbeit hätte leisten können.


Das erinnert mich daran, wie seinerzeit mich ein Arbeitskollege vollgequatscht hat, unsere Lohnnebenkosten seien viel zu hoch.

Sein Ruf wurde erhört und den Firmen wurde ein Anteil an Renten- und Krankenkassenkosten geschenkt. Jetzt darf er 10 EUR Arzteintrittsgeld zahlen und bis 67 arbeiten.

So ist das, wenn man die Propaganda aus den Medien nachplappert.

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