Ausgebeutete Stadtführer

Begonnen von Kater, 20:43:27 Do. 11.März 2010

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Kater

ZitatAusgebeutete Stadtführer
Zwangsabgabe beim Trinkgeld
von Joe Sperling

Kostenlose Stadtführungen, das zieht zahlreiche Touristen an. Das Unternehmen "Sandemans New Europe" bietet solche "Free-Tours" in drei deutschen und etlichen europäischen Großstädten an. Die kundigen Führer arbeiten nur fürs Trinkgeld. Doch was die Touristen nicht wissen: Der Boss hält dabei klammheimlich auch die Hand auf.

Michael Dempsey ist Brite und führt Touristen durch Berlin. Wie viel Trinkgeld er am Ende bekommt, weiß er nie. Wie viel er aber an "Sandeman New Europe" bezahlen muss, weiß er immer. Eine Mitarbeiterin der Firma notiert gleich zu Beginn der Tour die Zahl der Gäste, schreibt sie auf, und gibt das dem Stadtführer weiter. Drei Euro pro Kopf müssen Stadtführer wie Michael Dempsey zahlen - auch wenn das Trinkgeld spärlich fließt. Michael Dempsey zählt die Gäste: "Ich hatte heute 26 Leute. Jetzt muss ich 3 mal 26, also 78 Euro, an die Firma zahlen. Bleiben 18 oder 19 Euro für mich".

Vor jeder "Free-Tour" müssen die Stadtführer den Standardspruch aufsagen: "Ich und meine Kollegen arbeiten nur fürs Trinkgeld". Das Kopfgeld dürfen sie nicht erwähnen, berichtet Michael Dempsey, sonst droht der Rausschmiss. Und so ahnen die Touristen davon nichts, geben das Trinkgeld in dem guten Glauben, es sei für den Stadtführer. Dass ein großer Teil davon an die Firma fließt, empört sie. Eine Touristin gegenüber Frontal21: "Das ist nicht in Ordnung, ich finde das nicht fair. Und es ist irreführende Werbung" Ein anderer erregt sich:" "Das hatte ich nicht erwartet. Das ist ja eigentlich nicht free, wie heißt das - gratis."

Zahlungsaufforderungen per SMS
"Sandeman New Europe" bezahlt Stadtführern wie Michael Dempsey keinen Lohn, weder Urlaubs- und Krankengeld noch Sozialversicherungsbeiträge. Peter Schüren, Professor für Arbeitsrecht an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster, hat solche Verträge der Firma Sandeman geprüft. Er sieht darin einen grob rechtswidrigen Missbrauch des Arbeitsrechts: "Wir haben einen Arbeitnehmer, dem wird kein Geld bezahlt, zusätzlich wird ihm das Trinkgeld, das ihm die Kunden geben, teilweise weggenommen. In Wirklichkeit müsste der Arbeitgeber ihm einen Stundenlohn zahlen und das Trinkgeld, dass er bekommt, darf er behalten."

Michael Dempsey bekommt einmal pro Woche die Zahlungsaufforderung der Firma per SMS aufs Handy. 303 Euro muss er diesmal aufs Sandeman-Konto einzahlen - selbst dann, wenn er soviel Trinkgeld gar nicht bekommen hätte. Dann müsste er also sogar draufzahlen. Das bestätigt eine Mitarbeiterin der Berliner Firmenzentrale von "Sandeman New Europe", als wir uns als Bewerber ausgeben und mit versteckter Kamera drehen. Unsere Frage aus dem Wortprotokoll: "Was bliebe dem Stadtführer als Lohn, wenn aus einer Touristengruppe von zehn Personen weniger als 30 Euro Trinkgeld gegeben würden?" Die Antwort der Mitarbeiterin: "Trotzdem muss das abgegeben werden".

Kein Kommentar von Mr. Sandeman
Frontal 21 fragt offiziell nach beim Firmenchef Cristopher Sandeman, ein Erbe der Sherry-Dynastie gleichen Namens. Doch der hat keine Zeit, wiegelt ab. Stadtführer Michael Dempsey hat die Konsequenzen gezogen. Er arbeitet inzwischen für einen Konkurrenten von "Sandeman New Europe". Der bezahlt ihn für seine Arbeit.

http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/4/0,1872,8048100,00.html

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